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Dick Francis: Gegenzug

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Dick Francis Gegenzug

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Dick Francis "Gegenzug",original: "The Edge".Schauplatz dieser Geschichte voller Dramatik und Intrigen ist ein Millionärsexpreß, der die spektakuläre Landschaft Kanadas durchquert. An Bord sind reiche Pferdebesitzer, die ihre Pferde in Toronto, Winnipeg und Vancouver an den Start begleiten wollen. Und ein eiskalter Erpresser, für den Mord nur eine Alternative unter vielen darstellt.

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Hobbs Sandwich, sagte er, als er durch die Buntglastür voranging, war nach zwei großen Kricketspielern aus Surrey, aus den Zwischenkriegsjahren benannt — Sir Jack Hobbs, einer der wenigen jemals geadelten Kricketspieler, und Andrew Sandham, der einhundertsiebenmal 100 Läufe im Spitzenkricket geschafft hatte. Lange bevor ich geboren war, sagte er.

Ich hatte seit der fernen Schulzeit kein Kricket gespielt und es auch damals nicht sonderlich gemocht: Clement Cornborough erwies sich als lebenslanger Fan.

In der Bar stellte er mich einem ebenso fanatischen Anhänger vor, seinem Freund Val Catto, der dann mit uns zusammen aß.

Über mein Treuhandvermögen fiel kein Wort. Die beiden redeten fünfzehn Minuten lang ausschließlich über Kricket, dann begann der Freund Catto mich über mein Leben zu befragen. Unbehaglich dämmerte mir nach einiger Zeit, daß ich verhört wurde, auch wenn ich nicht wußte, wozu. Hinterher erfuhr ich, daß Catto eines Tages, in der Teepause während eines Kricketspiels, Cornborough geklagt hatte, was er wirklich brauche, sei jemand, der die Rennsportszene genau kenne, den aber umgekehrt die Szene nicht kenne. Einen Mann, der Augen und Ohren offenhalte. Einen stillen, unbekannten Ermittler. Eine Fliege an der Wand des Rennsports, die keiner bemerke. So jemand, hatten sie gemeinsam geseufzt, sei wohl kaum zu finden. Und ein paar Wochen später, als ich in Cornboroughs Büro trat (zumindest aber, als ich es verließ), war dem Anwalt ein Geistesblitz gekommen, von dem er seinem Freund Val erzählte.

Das Essen im Hobbs Sandwich (bestehend aus allem anderen als Sandwiches) hatte bis weit in den Nachmittag hinein gedauert, und als es vorüber war, hatte ich einen Job. Groß dazu überredet werden mußte ich nicht, da er mir von Anfang an interessant erschien. Ein Monat Probezeit für beide Seiten, sagte Brigadier Catto und nannte ein Gehalt, bei dem Cornborough breit lächelte.

«Was ist denn daran so komisch?«fragte der Brigadier.»Es ist normal. Das zahlen wir den meisten unserer Leute am Anfang.«

«Ich vergaß es zu sagen. Tor ist. ehm. «Er zögerte, vielleicht weil er sich fragte, ob die Beendigung des Satzes unter Verletzung der Schweigepflicht fiel, denn nach einer Weile fuhr er fort:»Am besten sagt er’s Ihnen selbst.«

«Ich akzeptiere das Gehalt«, sagte ich.

«Was haben Sie mir verschwiegen?«fragte Catto, plötzlich ganz der Chef, mit nicht direkt argwöhnischem, aber ernstem Augenausdruck: und ich begriff, daß ich mich nicht einem etwas kauzigen, freundlichen Kricketnarren verdingte, sondern dem zielbewußten, energischen Mann, der eine Brigade befehligt hatte und jetzt den Rennsport sauberhielt. Was ich tun sollte, war kein Spiel, gab er mir zu verstehen, und wenn ich es dafür hielt, erübrigte sich alles Weitere.

Ich sagte trocken:»Ich habe ein Privateinkommen, das nach Steuerabzug rund zwanzigmal so hoch ist wie das von Ihnen angebotene Gehalt, aber ich nehme Ihr Geld trotzdem, Sir, und ich werde dafür arbeiten.«

Er hörte das Engagement, das zugrundeliegende Versprechen heraus, und nach einer langen Pause lächelte er kurz und nickte.

«In Ordnung«, sagte er.»Wann können Sie anfangen?«

Ich hatte am nächsten Tag bei den Rennen in Epsom angefangen, hatte mir die Typen neu eingeprägt, schlafende Erinnerungen aufgeweckt, Tante Vivs muntere Stimme fast so deutlich im Kopf gehört, als ob sie noch lebte.»Da ist Paddy Fredericks. Hab ich dir erzählt, daß er mal mit Betsy verheiratet war, die jetzt Mrs. Glovebinder ist? Brad Glovebinder hatte Pferde bei Paddy Fredericks, aber als er Betsy stibitzte, hat er seine Pferde auch mitgenommen. Unrecht regiert die Welt. Tag, Paddy, wie geht’s? Dies ist mein Neffe Torquil, aber das wissen Sie wohl, Sie sind ihm ja schon öfter begegnet. Glückwunsch zu Ihrem Sieg, Paddy…«, und Paddy war etwas mit uns trinken gegangen und hatte mir eine Cola spendiert.

Ich traf an jenem ersten Tag in Epsom unverhofft mit dem Trainer Paddy Fredericks zusammen, und er hatte mich nicht erkannt. Da war kein Zögern oder Stutzen. Tante Viv war schon fast acht Jahre tot, und ich hatte mich zu sehr verändert; und von diesem frühen Zeitpunkt an war ich beruhigt, daß meine sonderbare neue Nicht-Identität funktionieren würde.

Da Rennsportschurken es sich zur Aufgabe machten, den gesamten Sicherheitsdienst vom Sehen her zu kennen, sagte Brigadier Catto, wenn er mich jemals persönlich sprechen wolle, werde das nicht auf der Rennbahn sein, sondern stets in der Bar des Hobbs Sandwich, und so war es in den letzten drei Jahren auch gewesen. Er und Clement Cornborough hatten sich dafür eingesetzt, daß ich Vollmitglied des Clubs wurde, und mich ermuntert, hin und wieder allein hinzugehen, und obwohl mir die Geheimnistuerei des Brigadiers ein wenig überspannt vorkam, hatte ich mich seinen Wünschen nicht nur gefügt, sondern sogar Gefallen daran gefunden, auch wenn ich dabei viel mehr über Kricket erfuhr, als ich eigentlich wollte.

Am Abend von Derry Welframs Tod trat ich um zehn vor acht in die Bar und bestellte ein Glas Burgunder und zwei Bratensandwiches; sie kamen sofort, weil jetzt in der Nachkricketsaison hundert Getreue weniger zur Stelle waren, die lauthals über Beinbrüche und Vereinspolitik palaverten. Es gab zwar noch eine ganze Reihe Gäste, aber von Ende September bis Mitte April konnte man den Abend über reden, ohne am nächsten Tag heiser zu sein, und als der Brigadier erschien, begrüßte er mich hörbar und vergnügt als alten Clubgefährten und begann mir auseinanderzusetzen, was er von dem soeben für die Wintertournee aufgestellten Länderspielteam hielt.

«Die haben Withers nicht reingeholt«, meckerte er.»Wie wollen sie jemals Balping aus der Mannschaft kriegen, wenn sie unseren besten Werfer daheim vertrocknen lassen?«

Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, und er wußte es. Mit einem winzigen Lächeln bestellte er einen doppelten Scotch, verdünnt mit einem großen Glas Wasser, und führte mich zu einem der kleinen Tische weiter hinten im Raum, wobei er immer noch über das Warum und Weshalb der Mannschaftsaufstellung plauderte.

«Also«, sagte er, ohne Tempo oder Lautstärke zu ändern.

«Welfram ist tot, Shacklebury ist tot, Gideon ist tot, und das Problem ist, was tun wir jetzt?«

Die Frage konnte nur rhetorisch sein. Er rief mich nie ins Hobbs Sandwich, um sich beraten zu lassen, sondern stets, um mich zu neuen Maßnahmen anzuleiten, obgleich er zuhörte und seine Pläne änderte, wenn ich schwerwiegende Einwände vorbrachte, was nicht oft geschah. Er wartete aber einen Moment, als wünsche er eine Antwort, und trank bedächtig einen Schluck dünnen Whisky.

«Hat Mr. Gideon irgendeine Nachricht hinterlassen?«fragte ich schließlich.

«Unseres Wissens nicht. Keine nützliche Erklärung, der wir entnehmen könnten, warum er Filmer die Pferde verkauft hat, falls Sie das meinen. Es sei denn, sie kommt nächste Woche mit der Post, aber das bezweifle ich stark.«

Gideon hatte das Weiterleben mehr gefürchtet als den Tod, dachte ich. Die Drohung mußte den Lebenden gegolten haben: eine anhaltende, ständige Bedrohung.

«Mr. Gideon hat Töchter«, sagte ich.

Der Brigadier nickte.»Drei. Und fünf Enkel. Seine Frau starb vor zwei Jahren, wie Ihnen wohl bekannt ist. Verstehe ich Sie richtig?«

«Daß die Töchter und Enkelkinder Geiseln waren? Ja. Meinen Sie, die könnten das wissen?«

«Bestimmt nicht«, sagte der Brigadier.»Ich habe heute mit seiner ältesten Tochter gesprochen. Nette, vernünftige Frau um die Fünfzig. Gideon erschoß sich gestern abend gegen fünf, nehmen sie an, aber gefunden wurde er erst Stunden später, da er es im Wald getan hat. Ich war heute im Haus. Seine Tochter Sarah sagte, er sei in letzter Zeit äußerst deprimiert gewesen, jeden Tag schlimmer, doch sie habe nicht gewußt, woran es lag. Er habe nicht darüber sprechen wollen. Natürlich weinte Sarah, und natürlich fühlte sie sich schuldig, weil sie es nicht verhindert hat, dabei hätte sie das gar nicht gekonnt. Es ist so gut wie unmöglich, einen beschlossenen Selbstmord zu verhindern, der Mensch läßt sich nicht zum Weiterleben zwingen. Außer in Gefangenschaft natürlich. Jedenfalls, wenn sie irgendeine Art von Geisel war, hat sie nichts davon gewußt. So ein Schuldbewußtsein war das nicht.«

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