«So wie Colin? Aber das war doch kein…«
«Holen Sie ihn, Midge«, sagte ich.»Bitte.«
«Ich kann Sie nicht allein lassen. Nicht in diesem Zustand.«
«Sie müssen.«
Sie sah mich zweifelnd an.
«Schnell.«
«Ich werde auch Hilfe für Sie holen«, sagte sie. Dann hatte sie auch schon auf dem Absatz kehrtgemacht und eilte Richtung Führring davon. Ich lehnte mich mit meinem Hinterteil gegen einen glänzend grauen Jaguar und fragte mich, wie schwierig es wohl war, zu verhindern, daß Carthy-Todd seine Bombe irgendwo unterbrachte. Diese Büchse, sie war klein genug, um in ein Futteral für ein Fernglas zu passen… Vielleicht war sie identisch mit derjenigen, der die Cherokee zum Opfer gefallen war. Wenn ich nicht bereits naßgeschwitzt gewesen wäre, wäre mir jetzt der Schweiß ausgebrochen beim Gedanken an so viel geballte Explosivkraft.
Warum kamen sie nur nicht? Mein Mund wurde immer trockener… Es ging kein Lüftchen… Wenn ich dem Herzog alles erklärt hatte, mußte er sich irgendwo in Sicherheit bringen und warten, bis das Handelsministerium mit Carthy-Todd fertig war.
Gleichmütig sah ich das Blut von meinen Fingern ins Gras tropfen. Ich konnte fühlen, daß der ganze Rücken meiner Jacke damit durchtränkt war. Konnte mir aber keine neue leisten. Würde sie reinigen lassen müssen, den Durchstich kunststopfen lassen. Mußte mich selbst auch zusammenflicken lassen, so gut es ging. Harley würde den Job nicht für mich freihalten. Würde sich jemand anderen suchen, der an meiner Stelle flog. Die Ärzte vom Handelsministerium würden mich wochenlang nicht fliegen lassen. Wenn man nur einen halben Liter Blut spendete, bekam man schon Startverbot für mehr als einen Monat… Ich hatte mehr als einen halben Liter unfreiwillig eingebüßt, so wie es aussah… Obwohl so ein halber Liter auch ganz anders wirkte, wenn man ihn vergoß.
Mit einem Ruck riß ich meinen herabhängenden Kopf hoch. Mußte wach bleiben, bis sie kamen. Mußte dem Herzog alles erklären…
Die Ränder meines Blickfeldes verschwammen langsam. Ich leckte mir die trockenen Lippen. Half auch nichts. Auch in meiner Zunge keine Spur von Feuchtigkeit mehr.
Schließlich sah ich sie, weit entfernt, wie mir schien, durch das Tor vom Führring kommen. Nicht nur Midge und den Herzog, sondern noch zwei. Den kleinen Matthew, der den anderen voraushüpfte.
Und Nancy.
Chanter war in der Vergangenheit verschwunden, unwichtig. Kein Gedanke mehr an ihn. Alles war so, wie es vorher gewesen war, am Tag, als sie nach Haydock flog. Vertraut, freundlich, innig. Das Mädchen, auf das ich mich nicht hatte einlassen wollen, das einen Eisblock weggeschmolzen hatte wie ein Schneidbrenner.
Jenseits des Meeres von Autos zeigte Midge in meine Richtung, und sie kamen auf mich zu, quer durch die Reihen der parkenden Wagen. Als sie nur noch vielleicht zwanzig Meter von mir entfernt waren, auf der anderen Seite der Wagenreihe direkt vor mir, blieben sie ohne ersichtlichen Grund stehen.
Geht weiter, dachte ich. Um Gottes willen, geht weiter.
Sie taten keinen Schritt.
Mit einiger Anstrengung richtete ich mich auf den Jaguar gestützt auf, löste mich von dessen Motorhaube und ging ihnen entgegen. Links von mir, sechs Autos weiter, stand offensichtlich der Rolls des Herzogs. Auf dessen Motorhaube stand eine glänzend rotgoldene Blechdose. Matthew zeigte darauf, wollte hinüberlaufen und sie holen, und Midge sagte drängend:»Nein, komm schon, Matt hat gesagt, wir sollen schnell kommen, und er blutet…«
Matthew blickte sie besorgt an und nickte, aber schließlich wurde die Versuchung zu groß, er rannte hinüber, nahm die Dose und lief dann wieder zurück.
Eine rotgoldene Blechbüchse. Mit kleinen Stückchen Orangenschale mit Schokoladenüberzug. Sie hatte auf dem Schreibtisch gestanden. Und nachher… nicht mehr. Etwas hatte gefehlt. Rotgoldene Büchse.
Hatte auf Carthy-Todds Schreibtisch gefehlt.
Mein Herz schlug mir bis zum Halse. Ich schrie, aber meine Stimme war hoffnungslos schwach.
«Matthew, wirf sie mir zu.«
Er blickte zweifelnd auf. Die anderen gingen jetzt zwischen den Wagen hindurch auf ihn zu. Sie würden ihn erreichen, bevor ich bei ihm sein konnte. Sie würden alle zusammenstehen, Nancy und Midge und der Herzog und der kleine Matthew, der ebenfalls wußte, daß ich noch einmal in Carthy-Todds Büro gegangen war.
Ich ließ meine Blicke verzweifelt über den Parkplatz schweifen, aber es war keine Frage, er mußte hier sein. Er hatte die Büchse auf den Wagen gestellt und wartete schlicht darauf, daß sie nach den Rennen hierherkämen. Das letzte Rennen sollte gleich starten… Die Pferde waren schon am Start, und gerade jetzt wurde über Lautsprecher angesagt:»Sie stehen unter Starters Order…«Er wußte, daß sie bald kommen mußten… Er stand drüben am Zaun der Rennbahn, sein schwarzer Kopf deutlich zu erkennen, die Sonne spiegelte sich auf seinen Brillengläsern. Er hatte zwar nur vor, den kleinen Matthew und den Herzog umzubringen, aber jetzt waren auch noch Nancy und Midge da… Und er wußte nicht, daß er ohnehin nicht davonkommen würde… wußte nicht, daß auch Colin informiert war… und war zu weit entfernt, als daß ich es ihm hätte sagen können… Ich konnte nicht schreien… konnte ja kaum sprechen.
«Matthew, wirf mir die Büchse zu. «Es war höchstens ein Flüstern.
Mühsam setzte ich mich in Bewegung, ging auf ihn zu, streckte meinen rechten Arm aus. Stolperte. Schwankte. Ängstigte ihn.
Die anderen näherten sich ihm.
Keine Zeit mehr. Ich holte tief Luft. Richtete mich auf.
«Matthew«, sagte ich laut.»Es geht um dein Leben. Wirf mir die Büchse zu. Jetzt. Auf der Stelle.«
Er war verwirrt, unsicher, besorgt.
Er warf die Büchse.
Carthy-Todd brauchte mehrere Sekunden, um die Knöpfe des Senders zu drücken. Er war darin nicht so erfahren wie Rupert Tyderman. Er konnte nicht sehen, daß er die Gelegenheit, den Herzog zu töten, bereits verpaßt hatte und daß es jetzt nur noch um mich ging. Aber, was immer er auch tat, er hatte das Spiel verloren.
Die rotgoldene Büchse schwebte auf mich zu wie eine glühend heiße Sonne und schien eine Ewigkeit zu brauchen, um die fünf Meter zu überbrücken, die mich von Matthew trennten. Ich streckte die rechte Hand aus, um sie zu fangen, und als ich sie auf meinem Handteller spürte, warf ich sie in einem Schwung im hohen Bogen durch die Luft, so weit hinter mich, wie es ging, über die Reihen der parkenden Wagen hinweg, denn dahinter war alles leer.
Die Bombe ging in der Luft los. Drei Sekunden nach meinem Wurf, sechs Sekunden nach Matthews. Sechs Sekunden. Die längsten sechs Sekunden meines Lebens.
Die rotgoldene Büchse löste sich mit einem Knall in einen sonnenähnlichen Feuerball auf, und die Druckwelle warf sowohl den kleinen Matthew als auch mich mit einem gewaltigen Stoß flach auf den Boden. Die Fenster der meisten Wagen auf dem Platz zersplitterten, und die beiden Fords, über denen die Bombe explodiert war, wurden wie Spielzeug umhergeschleudert. Nancy, Midge und der Herzog, die zwischen zwei Autos geschützt standen, hatten Mühe, sich auf den Beinen zu halten.
Oben auf der Tribüne, hörten wir später, bemerkte man den Zwischenfall kaum. Das Rennen war gestartet, und die Stimme des Ansagers aus dem Lautsprecher übertönte mit ihrem Dröhnen alles, so daß kein Mensch etwas anderes hörte, als daß Colin Ross gut lag und das Rennen achthundert Meter vor dem Ziel auf dem Favoriten beherrschte.
Der kleine Matthew rappelte sich schnell wieder auf und fragte verwundert:»Was war das?«
Midge war schon an seiner Seite und nahm seine Hand.
«Das war eine Bombe«, sagte sie entsetzt.»Wie Matt sagte, es war eine Bombe.«
Ich versuchte vom Rasen aufzustehen. Selbst wenn der Herzog vorläufig in Sicherheit war, war es das Geld der Versicherung noch nicht. Konnte jetzt versuchen, nach dem Spiel auch Satz und Sieg zu gewinnen…
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