Rose, Norman Osprey, Dr. Force und Hickory saßen in Untersuchungshaft, während Eddie mit seinen kaputten Händen im Krankenhaus lag.
Priam war gegen Abgabe seines Reisepasses freigelassen worden.»Das paßt mir überhaupt nicht«, hatte er erklärt.
«Warum werde ich wie ein gemeiner Verbrecher behandelt?«Weil er einer war, hatte Worthington ihm und jedem anderen, der es wissen wollte, geantwortet.
Professor George Lawson-Young hatte die Videokassette aus Martins Wagen bekommen. Das hätte beinah Reibereien gegeben, da der Hauptkommissar sie als Beweisstück einbehalten wollte. Aber nachdem Lawson-Young die schon einmal verlorenen Informationen endlich wiederhatte, dachte er nicht daran, sie noch einmal aus der Hand zu geben. Widerstrebend hatte ihm die Polizei dann erlaubt, eine Kopie davon zu erstellen.
Catherine, die sich jede Nacht in meine Arme schmiegte, hielt mich über das Geschehen im Polizeirevier auf dem laufenden:
Rose schimpfte praktisch nur noch, und die meisten ihrer Beschimpfungen galten offenbar mir.
Hickory machte mich, Rose und die Welt im allgemeinen für seine Misere verantwortlich.
Dr. Force hatte viel abgestritten und wenig gesagt. Allerdings hatte nach seiner Aussage Martin Stukely nicht gewußt, daß die Informationen auf der Kassette gestohlen waren. Im Gegenteil, der Arzt hatte Martin weisgemacht, es handele sich um Ergebnisse seiner eigenen Arbeit, die er vor Dieben schützen wolle.
Das freute mich. Hatte ich etwas anderes befürchtet?
Am Donnerstag öffneten wir wieder. Im Verkaufsraum war mehr Betrieb als je zuvor an einem Wochentag im Januar, und das Geschäft brummte. Aber um die Wahrheit zu sagen, war das Interesse an den schwer zu entfernenden Blutflecken zwischen den Bodenfliesen weitaus größer als das an der Ware.
Pamela Jane hatte sich so weit erholt, daß sie am Wochenende wieder zur Arbeit kommen konnte, aber sie hielt sich nach Möglichkeit im Verkaufsraum auf und huschte nur, wenn es sich nicht vermeiden ließ, rasch einmal durch die Werkstatt zu ihrem Spind.
Am Sonntag, eine Woche nach der Katastrophe, nahm ich die Arbeit an der Pferdefigur wieder auf.
Irish, der Zuverlässige, hatte sich bereit erklärt, mir zu assistieren, und wir hatten einen einzigen Zuschauer. Catherine saß in ihrem mittlerweile vertrauten Sessel und sah zu, wie ich wieder mein Werkzeug bereitlegte und mein Hemd auszog.
Ich stieg auf das Pedal zum Öffnen der Ofentür, um die Hitze in den Raum strömen zu lassen.
Catherine zog ihre Jacke aus.
«Häng sie in meinen Schrank«, sagte ich und warf ihr die Spindschlüssel zu.
Sie ging zu der grauen Schrankwand am anderen Ende der Werkstatt, und ich hörte sie eine Tür aufschließen.
«Was hast du denn da?«Sie hielt eine Videokassette hoch.
«Auf dem Etikett steht: >Kretischer Sonnenaufgang, selbstgemacht<.«
Schon war ich bei ihr. Sie hatte versehentlich Hickorys Spind geöffnet, und darin fanden wir nicht nur die Herstellungsanleitung für die Kette, sondern auch, in einer braunen Papiertüte versteckt, ein paar bunte Schnürsenkel, grünweiß gestreift.
Ich lachte.»Drei Kassetten hat die Geschichte, und eine davon war die ganze Zeit vor meiner Nase.«
«Drei Kassetten?«fragte sie.»Zwei waren doch schon schlimm genug.«
«Es waren drei«, erwiderte ich.»Wirklich wichtig, wertvoll und vielleicht einzigartig war nur das Band von Force mit den gestohlenen Krebsforschungsergebnissen. Das gab er Martin, und der gab es über Eddie an mich weiter. Priam hat es dann vertauscht, weil er es irrtümlich für einen Wegweiser zu schnellem Reichtum hielt. Als er merkte, daß es das nicht war, hat er es unauffällig wieder in Martins Wagen gelegt. Das war das Band, nach dem Rose und Dr. Force so fieberhaft gesucht haben.«
«Und das Halskettenvideo?«fragte Catherine.»Dieses hier?«
«Die Herstellungsanleitung hatte ich Martin geliehen«, sagte ich,»und sie lag bei ihm zu Hause, bis Hickory sie zusammen mit den ganzen anderen Videos aus seinem Zimmer stahl. Hickory hat sie behalten, weil sie für ihn interessant war. Vielleicht wollte er von der Kette eine Kopie machen. Offensichtlich hat er das Band hier bei seinen Arbeitssachen aufbewahrt.«
«Und welches ist das dritte Band?«fragte sie.
«Das Band, das Priam noch vor Hickorys Beutezug aus Martins Zimmer mitnahm. Er hat es mir in die Tasche meines Regenmantels gesteckt, und das ist das Band, das Force mir in der Neujahrsnacht gestohlen hat in der Annahme, es sei sein Krebsforschungsvideo. Ich hätte zu gern sein Gesicht gesehen, als er es abspielte und sah, daß nichts als Pferderennen darauf war.«
Ich machte die Pferdefigur. Mit Irishs Hilfe holte ich das Glas aus dem Ofen und formte noch einmal den Rumpf des Pferdes, die Beine und den Schweif. Doch diesmal ließ ich mir Zeit und wandte mit der nötigen Sorgfalt das Wissen und das Talent an, das ich von meinem Onkel Ron gelernt und geerbt hatte. Ich formte Hals und Kopf eines intelligenten Tieres, mit hohen Backenknochen und festem Maul. Ich gab ihm eine fliegende Mähne wie in vollem Galopp und fügte sie nahtlos an den Körper an.
Angefangen hatte es als Auftragsarbeit für Marigold und Kenneth Trubshaw und seine Cheltenhamer Rennplanungskommission.
Am Ende wurde ein Denkmal für einen getreuen und schmerzlich vermißten Freund daraus. Ein Denkmal, das seines Könnens und seines Mutes würdig war.
Schließlich kam das springende Pferd auf die Bank, und Irish und ich stellten es schnell, aber vorsichtig in einen der Kühlöfen. Dort würde es langsam und sicher abkühlen, während sich die Spannungen im Material allmählich ausglichen. Keine Scherben diesmal.
Ich ging mit Catherine zu der Beerdigung von Paul Federfuchser, überließ sie an der Kirchentür jedoch ihren Kollegen in Uniform und in Zivil. Eine kleine Gruppe zivil Gekleideter nahm sie in ihrer Mitte auf, und es war eine nachdenkliche, bedrückte Kriminalbeamtin, die eine Stunde später ihr Motorrad bestieg, kurz innehielt, bevor sie den Motor anließ, und zu ihrem Sozius sagte:»Die Einäscherung findet morgen in aller Stille statt, und heute abend gibt es ihm zu Ehren einen Umtrunk in der Kneipe. Für den Rest des Tages habe ich freibekommen, wo möchtest du jetzt also hin?«
«Ins Bett«, sagte ich ohne Zögern und setzte hinzu, daß Paul Federfuchser damit bestimmt einverstanden gewesen wäre.
Die Trauer fiel von Catherine ab wie tauender Schnee.
Ich sagte:»Du weißt ja, daß ich noch nicht gesehen habe, wie du wohnst. Wie wäre es denn jetzt damit?«
Sie lächelte ein wenig verschmitzt, dann trat sie die Maschine an und bat mich aufzusteigen.
Ihre Wohnung lag etwa fünf Gehminuten und noch keine Fahrminute vom Polizeirevier entfernt, die lange graue
Straße immer geradeaus. Sie hielt vor einem eingeschossigen Doppelbungalow in einer Reihe genau gleicher stuckverzierter Kästen, und schon stand für mich fest, daß die Wohnung nicht mein Fall war. Dorthin zu fahren war ein Fehler gewesen, doch da ich nun mal hier war, würde ich lächeln und so tun, als gefiele es mir.
Tatsächlich lächelte ich dann, weil ich entwaffnet war, und nicht aus Höflichkeit.
Die Wohnung der Zivilfahnderin stand ganz im Zeichen von Alice im Wunderland: Am Küchentisch saßen ein überlebensgroßer Schnapphase und ein ebensogroßer Hutmacher, der dabei war, eine Haselmaus in die Teekanne zu stopfen. An der Tür zum Bad schaute das Weiße Kaninchen auf seine Taschenuhr, und im Wohnzimmer tanzten die Herzkönigin, die Köchin, das Walroß und der Zimmermann die Hummer-Quadrille. Die Wände waren rundum mit wucherndem Grün und Blumen bemalt.
Catherine lachte über meinen Gesichtsausdruck, zweifellos eine Mischung aus Entsetzen und Belustigung.
«Die Figuren«, sagte sie,»habe ich alle von einem Jahrmarkt, seit ich sechs war. Ich fand sie immer toll. Ich weiß, daß es Kinderei ist, aber sie leisten mir Gesellschaft. «Sie schluckte plötzlich.»Sie haben mir geholfen, mit dem Verlust von Paul fertig zu werden. Er fand sie gut. Sie haben ihn zum Lachen gebracht. Ohne ihn sehe ich sie jetzt anders. Ich glaube, ich bin erwachsen geworden.«
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