Adam Force, der sich nicht geduckt hatte, weil das Kommando von mir gekommen war, hatte es zweimal erwischt, einmal am Oberarm und einmal, schlimmer, zwischen dem Wangenknochen und dem Auge, wo jetzt ein Stück Haut herausgerissen war. Vor Schock halb ohnmächtig, ließ der Arzt die Spritze fallen. Das Blut tränkte seinen Ärmel, aber es strömte nicht unstillbar wie aus einer Schlagader.
Am schlimmsten würde für ihn sein, daß sein gutes Aussehen gelitten hatte, dachte ich, und hätte er in diesem Moment in einen Spiegel gesehen, wäre er wohl wirklich in Ohnmacht gefallen. Der scharfe, schnell fliegende Glassplitter hatte eine Furche gezogen, die mit Sicherheit eine bleibende Narbe hinterließ, und wie viele Gesichtsverletzungen blutete auch diese stark. Das Blut ergoß sich auf Adam Forces weißen Bart, der rot und röter wurde.
Dr. Rubinrotbart Force. Geschah ihm recht, dachte ich. Schade, daß es abwaschbar war. Abwaschbar… auch anderes ließ sich vielleicht abwaschen… eine Idee.
Glas kühlte bei der Verarbeitung rasch ab. Durch behutsames Blasen in die Pfeife ließ sich glühendheißer Glasfluß zu einer dünnwandigen Kugel ähnlich einer Seifen-
blase formen, ein Vorgang, der nur Sekunden dauerte, und danach war die Glasblase kalt.
Die Pferdefigur hatte ich jedoch nicht auf diese Weise geblasen. Sie war mit Wucht entlang den Spannungslinien zersprungen, die sich beim unterschiedlich schnellen Abkühlen der äußeren und inneren Partien ergeben hatten. Die umherfliegenden Splitter waren feuerheiß gewesen. Adam Force konnte von Glück sagen, daß er kein Auge eingebüßt hatte.
Norman Osprey hatte trotz seiner Abneigung gegen mich auf meinen Rat gehört, sich hingekniet und das Zerbersten des Pferdes ohne Schrammen, wenn auch nicht in bester Laune überstanden.
Blaß und ein wenig zittrig, hielt sich der ElvisDoppelgänger immer noch an die Devise» Schnappt Lo-gan«. Also war er aufgestanden und hatte sich mit seinen Gorillaschultern vor die Tür vom Ausstellungsraum zur Straße gepflanzt, so daß ich, um dort hinauszukommen, auf Gedeih und Verderb mit ihm hätte kämpfen müssen. Einen solchen Kraftmeier hätte ich mir auch unter normalen Umständen nicht als Zweikampfgegner gewünscht, doch in meiner momentanen dürftigen Verfassung wäre ein Sieg, wenn ich denn wirklich hätte fliehen wollen, undenkbar gewesen. Solange aber Norman Osprey dachte, er habe an der Tür dort eine wichtige, meine Pläne durchkreuzende Funktion, war mir gottlob wenigstens einer von ihnen aus dem Weg.
Eddie, der anscheinend nicht begriff, was passiert war, kniete noch neben der Wand. Martins unbelehrbarer Jok-keydiener, der Rose auf dieser unheiligen Kassettenjagd von Anfang an begleitet hatte, sah jetzt aus, als bitte er um Lossprechung von seinen Sünden. Meines Erachtens hatte er darauf überhaupt keinen Anspruch.
Pamela Jane stemmte sich mit sehr zwiespältigen Gefühlen unter mir hoch: Sollte sie mir für ihre Rettung danken, da sie in ihrem Sessel direkt in der Schußlinie der messerscharfen Splitter gewesen wäre, oder mich dafür verachten, daß ich Hickory währenddessen ganz sich selbst überlassen hatte?
Pamela Jane wußte natürlich über die Physik der Spannungen in hocherhitztem Glas Bescheid und konnte sich jetzt denken, daß ich das Pferd überhaupt nur angefertigt hatte, um es zerspringen zu lassen. Später gestand sie mir, wie sehr der Unsinn von der Goldlieferung — das Wieviel und das Wann — sie verwirrt habe, denn das sei so gar nicht meine Art gewesen.»Liebe Pam J«, meinte ich darauf zufrieden,»Sie waren mir wirklich eine große Hilfe.«
Aber das war später. Damals, unmittelbar nach dem Zerspringen der Pferdefigur, galt ihre Hauptsorge noch Hik-kory.
Als ich aufstand und über die Zwischenwand schaute, um nach Rose und Hickory zu sehen, war Rose, die an einem Bein blutete, aber immer noch vor wütender Entschlossenheit bebte, gerade dabei, eine neue Glasmacherpfeife in den Ofen zu halten und eine andere, die bereits mit weißglühendem Haß befrachtet war, herauszuziehen.
Hickory, dem es endlich gelungen war, sich aus dem Sessel zu werfen, lag mit dem Gesicht nach unten auf dem blanken Steinboden und versuchte sich das Paketband vom Gesicht zu scheuern. Das verletzte Ohr schmerzte so stark, daß er Rotz und Tränen heulte und immer wieder die Nase hochzog, um damit fertig zu werden.
Da mir noch frisch in Erinnerung war, daß Rose auch mir vorhin eine Feuerspur über die Rippen gezogen hatte, fand ich eigentlich, der ungleiche Kampf habe für diesmal lange genug gedauert.
Rose war anderer Meinung. Rose hatte anscheinend Energiereserven für einen dritten Weltkrieg. Flugs zog sie ihr beladenes Eisen aus dem Feuer und sagte mir, wenn ich nicht sofort wieder herüber in die Werkstatt käme, wäre die Verbrennung an Hickorys Ohr erst der Anfang. Sie hätte ihn befreien können. Sie hätte ihm wenigstens helfen können, aber sie tat es nicht.
Ich ging hinüber. Hickory lag noch auf dem Bauch, doch anstatt sich für nichts und wieder nichts das Gesicht aufzuscheuern, trat er jetzt mit den Beinen um sich. Verletzt und hilflos, war er vor Rose relativ sicher, die es vorzog, auf mich loszugehen, und die anderthalb Meter lange, silberschwarze Glasmacherpfeife im Anschlag hielt, um mir bei der ersten Gelegenheit eine Ladung zu verpassen.
«Das Videoband von Adam Force«, sagte sie.»Wo ist das?«
Außer Atem vor lauter Brandwundenvermeidung, brachte ich dennoch mit trockenem Mund hervor:»Er sagt, er hat es mit Pferderennen überspielt.«
«Blödsinn. «Die weißglühende Glaskugel immer vor sich hin haltend, marschierte Rose auf mich zu. Wäre ich so bewaffnet gewesen, hätte ich mit zwei Schnitten der großen Schere die Kugel in eine Speerspitze verwandeln können.
Mit Wucht geschleudert, hätte diese Speerspitze einen Menschen glatt durchbohrt, sich durch ihn hindurchgebrannt und ihn getötet. Rose hatte keine Speerspitze, aber eine Kugel tat es auch. Die Wirkung war die gleiche.
Mit zumindest dem Ansatz eines Plans wich ich vor Rose zurück und fluchte im stillen, daß ich an die fünf oder sechs Reservepfeifen auf der anderen Seite — die ich wenigstens zum Fechten hätte nehmen können — nicht herankam, da sich Hickory mit seiner gräßlichen Verletzung davor am Boden wälzte.
Rose machte sich einen Spaß daraus, mich in den Rückwärtsgang zu zwingen. Rückwärts ging ich am Ofen mit seiner geschlossenen Schiebetür vorbei. Rückwärts durch die Werkstatt und immer schneller, da sie einen Zacken zulegte.
«Das Videoband«, sagte sie noch einmal.»Wo ist das?«
Endlich, endlich sah ich Worthington wieder draußen vor der Galerietür, diesmal flankiert von Tom Pigeon, Jim, Catherine und ihrem Pennerkollegen, Paul Federfuchser.
Norman Osprey sah plötzlich seine Chancen schwinden, trat von der Tür weg, um alle hereinzulassen, und hechtete dann an ihnen vorbei auf die Straße. Ich sah gerade noch, wie er stadteinwärts rannte und Tom Pigeon mit seinen drei Lauftieren die Verfolgung aufnahm.
Worthington, Jim und die beiden Zivilfahnder blieben in der frei gewordenen Tür stehen. Rose in ihrer Wut nahm das Eintreffen meiner Freunde als letzten Aufruf, dafür zu sorgen, daß ich sie nie vergaß, und schoß brutal auf meinen Unterleib zu. Ich parierte auch diesen Angriff, lief weg, schlug einen Haken und landete dort, wo ich hinwollte, bei dem Regal mit den breiten runden Farbpulvertöpfen.
Weiß wollte ich, das Pulver, das die Deutschen Emailweiß nennen. Ich riß den Deckel weg, tauchte die Hand in den offenen Topf, nahm soviel Pulver, wie meine Finger faßten, und warf es Rose in die Augen.
Emailweiß — gemahlenes weißes Email — ist arsenhaltig… und Arsenstaub trübt die Sicht, treibt Wasser in die Augen und kann sie vorübergehend blenden. Rose liefen die Augen über, sie sah nichts mehr, und dennoch fuhrwerkte sie weiter mit der beängstigend langen, todbringenden Glasmacherpfeife herum.
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