Eddie erhob sich sozusagen von seinen Gebeten, kam in die Werkstatt herüber und beschwor sie aufzugeben.»Rose, mein Kind, es ist vorbei…«
Aber sie war nicht aufzuhalten. Obwohl sie vorübergehend geblendet war, ging sie mit dem tödlichen Rohr auf die Stelle los, wo sie mich zuletzt gesehen hatte, versuchte immer noch, meinen Bauch, meine Brust zu durchbohren, und schlug dann wütend dorthin, wo mein Kopf gewesen war.
Sie traf mich zwar nicht, war mit ihrem wilden Draufloshauen aber gefährlicher, als wenn sie mich gesehen hätte, und schließlich trat die Katastrophe ein, fand das unvorstellbar heiße Glas zweimal ein lebendes Ziel.
Man hörte jäh abgewürgte Schreie.
Ausgerechnet Eddie, ihren Vater, hatte sie zuerst getroffen. Sie hatte ihm die Haut von den Fingern gesengt, die er schützend vors Gesicht gehalten hatte. Dann hörte man Eisen gegen Wände krachen und ein fürchterliches weiches Zischen, als das Schlimmste geschah.
Pamela Jane warf sich hysterisch in meine Arme und verbarg ihr Gesicht, aber nicht sie hatte das Feuer abbekommen. Auf der anderen Seite der Werkstatt, wo die Luft wieder nach Scheiterhaufen roch, sank Paul zu Boden und blieb reglos liegen, die Arme und Beine im Tod von sich gestreckt.
Catherine riß in einem Zustand des Schocks und ungläubigen Zorns die Augen auf. Ich nahm sie in den Arm und drückte sie und Pamela Jane an mich, als könnte ich sie nie wieder loslassen.
Adam Force stellte sich auf die sichere Seite der Werkstattwand und bat Rose, sich zu beruhigen und stehenzubleiben, damit er oder sonst jemand ihr und ihrem Vater helfen könne — mit dem Ergebnis, daß sie sich in die Richtung drehte, aus der seine Stimme kam, und die Glasmacherpfeife mit weiten Schwüngen durch die Luft sausen ließ.
Catherine, Polizeibeamtin bis ins Mark, straffte sich nach dem ersten Schrecken, ließ mich stehen und forderte, während Rose dem Klang ihrer Stimme folgte, bei ihrer Zentrale Verstärkung an. Sie drängte ihr Entsetzen zurück, drückte die Sprechtaste ihres Funkgeräts und sagte gepreßt:
«Polizist verletzt. Notfall. Notfall. Der Polizist braucht sofort ärztliche Hilfe.«
Sie gab die Adresse von Logan Glas an und fügte unter echtem, übermächtigem Gefühlsdruck dann hinzu:
«Kommt schnell! Ogottogott!«
Sie wich der heranstürmenden Rose aus und kniete sich mit unglaublichem Mut neben ihren stummen Partner. Der als Stadtstreicher getarnte Belagerer von Ladeneingängen, der mir nur unter dem Namen Paul Federfuchser bekannt war, würde keine Ganoven mehr fangen. Ein weißglühendes Geschoß hatte Paul Federfuchsers Hals durchschlagen.
Ich löste mich von Pamela Jane, lief von Catherine weg durch den Laden und rief Rose zu:»Hier bin ich, Rose. Hier drüben bin ich, und Sie kriegen mich im Leben nicht.«
Rose drehte sich im Halbkreis in meine Richtung und dann gleich wieder anders herum, als ich an ihr vorbeisprang und sie mit dem nächsten Zuruf reizte. Wieder und wieder fuhr sie herum und wurde mit ihren tränenden Augen dann endlich so müde, daß Worthington und Jim zu mir durchkamen und Catherine von hinten dazustoßen konnte, und zu viert packten wir Rose in einem blitzschnellen Zugriff und stoppten den immer noch drauflosdreschenden Arm mit der Glasmacherpfeife. Ich brachte die Pfeife ein gutes Stück außer ihrer Reichweite, fühlte die Resthitze an meinen Beinen, und noch immer versuchte sich Rose aus Worthingtons und Jims Griff zu befreien.
Die Polizistin in Catherine gewann die Oberhand. Sie suchte und fand die Handschellen, die Paul Federfuchser an einem Gürtel um die Hüfte trug. Unsanft legte sie sie Rose an und fesselte ihr damit die Hände auf dem Rücken.
Rose trat aus.
«Nehmen Sie meinen Gürtel«, rief Worthington, und ich nahm ihm den geflochtenen Ledergürtel ab, schlang ihn erst um das eine, dann um das andere Fußgelenk von Rose und zog ihn fest, so daß sie das Gleichgewicht verlor und sich auf die Seite legte, wenn sie auch immer noch mit den Beinen ausschlug und schimpfte.
Nichts war» unauffällig «an der Festnahme von Rose Payne. Ein Krankenwagen mit Besatzung und zwei Streifenwagen mit aufgebrachten Polizeibeamten fuhren vor, und alle strömten in die Galerie und zertraten die Scherben des zersprungenen Pferdes unter ihren schweren Stiefeln zu Staub. Die Polizisten sprachen mit Catherine, holten eine Decke, hüllten Rose darin ein wie ein Wickelkind und bugsierten sie, die sich bis zum Schluß widersetzte, durch den Verkaufsraum hinaus in den Fond eines Streifenwagens.
Während sie noch Galle spuckte, wurde ihr der stämmige Norman Osprey beigesellt, der bei aller Kraft gegen drei scharfe Hundegebisse nichts hatte ausrichten können. Wie Tom mir nachher erzählte, hatte der Hüne angstzitternd auf der Straße gesessen, den Kopf und die Hände zwischen seinen Beinen, und die Polizei angefleht, ihn vor den schwarzen Bestien, die ihn umkreisten, zu retten.
In der Werkstatt sah ich zu, wie Catherine trockenen Auges auch den stummen Paul mit einer Decke aus den Polizeiwagen verhüllte.
Noch mehr Polizei kam, teils in Uniform und teils in Zivilkleidung, die sich eher für einen Sonntag vor dem Fernseher eignete als für den Ausflug in eine veritable Feuerhölle. Ob dienstfrei oder nicht, es gab einiges zu tun. Weiße Schutzanzüge und graue Plastiküberschuhe wurden ausgegeben, und bald bekam die Werkstatt etwas sciencefiction-haft Unwirkliches.
Ich sah, wie ein Beamter mit Gummihandschuhen die am Boden liegende Spritze aufhob und sie vorsichtig in eine durchsichtige Plastiktüte steckte, die er versiegelte.
Methodisch begann die Polizei, Namen zu erfragen und aufzuschreiben, und der Drachen von der anderen Straßenseite offerierte allen Beteiligten Trost und Zuspruch. Einer der Polizeibeamten löste das Paketband von Pamela Janes Händen, nahm ihre Personalien auf und geleitete sie dann fürsorglich in das Hotel hinüber.
Ich kniete mich neben Hickory. Ich sagte ihm, ich würde ihm das Klebeband von Augen und Mund entfernen. Ich fragte ihn, ob er verstanden habe.
Hickory nickte und hörte auf, sich am Boden zu winden.
So behutsam wie möglich zog ich ihm das Band von den Augen. Das tat weh, es gingen Wimpern mit ab, und erst nach einigen Minuten konnte er mit den so lange bedeckten Augen wieder sehen und starrte mich von der Seite an.
«Jetzt löse ich Ihnen das Klebeband vom Mund«, sagte ich.
Er nickte.
Einer der jungen Polizeibeamten langte mir über die Schulter und riß gedankenlos das breite Band mit einem einzigen Ruck herunter. Hickory schrie auf und herrschte den Polizeibeamten an, er solle ihm verdammt noch mal endlich auch die Hände losmachen.
Ich ließ sie einen Augenblick allein und holte den ErsteHilfe-Kasten aus dem Lager, um Hickorys Ohr zu verbinden, und nach einem ziemlich langen Palaver befanden die Sanitäter und die Polizei übereinstimmend, er solle zusammen mit Eddie ins Krankenhaus gebracht werden, der jetzt sichtlich unter Schock stand und bereits üble Blasen an den Händen hatte.
Catherine stand an der offenen Tür des Krankenwagens und sah zu, wie dem verletzten Eddie beim Einsteigen geholfen wurde.
Ich sagte ihr einiges, was sie noch wissen mußte, besonders Einzelheiten über Maske Nummer vier, die mir in der Nacht eingefallen waren und die ich am Morgen noch nicht angesprochen hatte.
«Unser Hauptkommissar steht da bei Paul«, sagte sie zerstreut.»Es ist besser, du sprichst mit ihm. Ich muß auf die Wache. Ich komme wieder her, sobald ich kann.«
Sie ging mit mir hinüber, stellte mich als den Geschäftsinhaber vor und überließ es mir, die Miene ihres Vorgesetzten zu verfinstern.
Ich gab Hauptkommissar Shepherd von der Polizei West Mercia die Hand.
Zunächst einmal sah er wenig begeistert auf mein Unterhemd, das nicht mehr weiß und sauber war, sondern schmuddelig von der Hetzjagd durch die Werkstatt. Er betrachtete den angesengten Stoffetzen, der unter den Rippen als Zeugnis von Roses rigorosen Aufmerksamkeiten lose herabhing. Er fragte, ob die Rötung darunter schmerzte, und ich antwortete müde, sie tue zwar weh, aber ich hätte mich schon schlimmer verbrannt und zöge es vor, mich nicht darum zu kümmern; im stillen ergänzte ich allerdings, daß ich mich bis jetzt immer nur versehentlich selbst verbrannt hatte.
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