Ich sah auf die Wolldecke von Paul Federfuchser hinab, dem Pedanten, der sich wie ein Vater um Catherines Sicherheit auf den unsicheren Straßen gesorgt hatte.
«Er war ein guter Polizist«, sagte ich.
Der Hauptkommissar ließ das ein wenig im Raum stehen, bevor er auf die Bestrafung der Täterin zu sprechen kam. Ich müsse mit aufs Revier kommen und eine Aussage machen, sagte er, die zu Protokoll genommen und auf Video aufgezeichnet werde. Er gestattete mir allerdings, vorher die Brandwunden zu versorgen und ein Hemd überzuziehen, und war dann sogar damit einverstanden, daß ich mir eine Jacke um die Schultern legte, um draußen nicht zu frieren.
Während dieser Anwandlung von Menschlichkeit traf George Lawson-Young ein und sorgte durch seine bloße Anwesenheit für eine Gewichtsverlagerung von polizeilichem Argwohn hin zu mehr Vernunft. Er war eine jener achtunggebietenden Persönlichkeiten, denen andere Autoritätspersonen instinktiv vertrauten. Durch die unverkennbare Ehrerbietung, die er mir schon bei der Begrüßung entgegenbrachte, stieg ich bald auch in der Achtung des Hauptkommissars. Es kam mir vor, als ob er sich nach einer Weile sogar dazu durchrang zu glauben, was ich sagte.
George Lawson-Young fragte mich, als könne es darauf nur ein Ja geben:»Haben Sie herausbekommen, wer der vierte Mann war, der Sie vor vierzehn Tagen hier auf dem Gehsteig überfallen hat?«
«Ja.«
Er kannte die Antwort schon, denn ich hatte am Morgen mit ihm deshalb telefoniert. Mit Hilfe seiner Eliminationsmethode hatte ich die Wahrheit von den Lügen getrennt und sorgfältig die Sackgassen abgefahren, aber ganz gleich, wie neutral ich den Namen aussprach, er würde Bestürzung hervorrufen.
Der Professor, groß, gepflegt und kurzsichtig, begutachtete eingehend die Verletzung in dem vertrautesten der ihm zugewandten Gesichter. Niemand hielt ihn zur Eile an, auch der Hauptkommissar nicht.
Adam Force, dessen Gesichtsblutung kein Sturzbach mehr war, sondern nur noch ein Tröpfeln, war benommen aus dem Verkaufsraum in die Werkstatt gekommen und sah auf Hickory nieder, der sich das verstümmelte Ohr hielt.
Als Adam Force den Professor erblickte, schien es, er wollte sich lieber in Luft auflösen als mit seinem früheren Vorgesetzten im gleichen Raum sein, und George, ein sonst denkbar nachsichtiger Mensch, warf seinem verräterischen Mitstreiter einen wahrhaft haßerfüllten Blick zu, der keinerlei Mitleid enthielt.
Einer der Polizisten im weißen Schutzanzug fragte Dr. Force nach seinem Namen und seiner Anschrift, während ein anderer ihn fotografierte. Das Blitzlicht schien ihn zu erschrecken, ein rotes Rinnsal lief bartwärts über seine Wange, und auch sonst war der selbstbewußte Arzt, den ich damals in Lynton auf dem Hügel besucht hatte, kaum wiederzuerkennen.
Adam ade, dachte ich ironisch.
Der Fotograf zog weiter, knipste nach Anweisung des Einsatzleiters. Nichts durfte ausgelassen werden. Paul Federfuchser wäre zufrieden gewesen.
George Lawson-Young meinte, er brauche mich in den nächsten tausend Jahren hoffentlich nicht noch mal um einen Gefallen zu bitten, und dann erklärte er selber dem Hauptkommissar, wie es kam, daß die aus seinem Forschungslabor gestohlenen Daten mir so viel Not und Pein verursacht hatten.
Einen nach dem anderen, quasi zum Mitschreiben, nannte George die Beteiligten beim Namen, bat mich wenn nötig um Bestätigung und entwirrte in aller Ruhe die verwickelten Fäden des Januars 2000.
«Adam Force«, sagte er und wies auf Dr. Rubinrotbart,»war bei mir angestellt, sprang jedoch ab und ließ Krebsforschungsergebnisse mitgehen, die vielleicht Millionen wert sind und mit Sicherheit der ganzen Menschheit nützen können.«
Der Hauptkommissar, sah ich, war skeptisch, aber ich nickte, und er konzentrierte sich wieder auf den Professor.
«Wir wußten«, fuhr George fort,»daß er die Informationen gestohlen, sie auf Video aufgenommen und alle anderen Unterlagen darüber vernichtet hatte. Wir haben natürlich überall danach gesucht und auch eine Detektei eingeschaltet, nachdem die Polizei wenig Interesse gezeigt hatte.«
Hauptkommissar Shepherd zuckte mit keiner Wimper und hörte weiter aufmerksam zu.
«Alle unsere Bemühungen waren fruchtlos. Wir hätten nicht gedacht, daß er die Kassette einem Rennreiter zur Aufbewahrung gibt. Dr. Force hatte sie Martin Stukely anvertraut, doch der zog es vor, sie an seinen Freund Gerard Logan weiterzureichen, damit sie seinen Kindern nicht in die Finger fiel. Wie Sie vielleicht wissen, ist Martin Stukely an Silvester beim Pferderennen in Cheltenham tödlich verunglückt. Doch da hatte die Kassette ihre verzwickte Reise bereits angetreten. Adam Force versuchte sie wieder an sich zu bringen. Sowohl hier aus dem Geschäft wie aus Gerards Wohnung und aus der Wohnung von Martin Stukely wurden Videokassetten gestohlen.«
«Sind diese Diebstähle angezeigt worden?«fragte der Hauptkommissar.
«Ja«, antwortete ich,»aber der Diebstahl von ein paar Videokassetten ohne ersichtlichen Grund mobilisiert die Polizei natürlich nicht so wie heute.«
«Mhm. «Das wußte der Hauptkommissar selbst.
«Am anderen Morgen kam dann eine Ihrer Beamtinnen vorbei«, sagte ich,»aber da stand das zusammen mit der Kassette gestohlene Geld im Vordergrund.«
«Hat Dr. Force auch das Geld gestohlen?«fragte der Hauptkommissar und sah Force an.
«Ja«, erwiderte ich,»aber ich glaube, das war nur ein Gelegenheitsdiebstahl, der vielleicht auch das Verschwinden der Kassette kaschieren sollte.«
Dr. Force hörte regungslos zu, sein blutverschmiertes Gesicht verriet nichts.
«Jedenfalls«, fuhr der Professor fort, der sich nicht länger ablenken lassen wollte,»war die gewünschte Kassette unter all den gestohlenen nicht zu finden, und so hat Dr. Force mit Unterstützung von Rose Payne und anderen Zwang angewendet, um von Mr. Logan zu erfahren, wo sie ist. Aber er sagt mir, daß er sie nicht hat.«
«Und haben Sie sie?«fragte die Stimme der Obrigkeit.
«Nein«, antwortete ich,»aber ich glaube, ich weiß, wer sie hat.«
Alle schauten mich an. Adam Force, Lawson-Young, der Hauptkommissar und sogar Hickory, der mit seinem gesunden Ohr zugehört hatte, sie alle warteten gespannt.
In dieses Gruppenbild rauschte Marigold hinein, umweht von smaragdgrüner Seide mit goldenen Quasten. Wie ein Drachenschwanz folgten ihr Bon-Bon, Victor, Daniel und die anderen Kinder.
Marigold wollte wissen, wie weit ihr Ehrenpreis gediehen sei, verstummte aber jäh beim Anblick der zugedeck-ten Gestalt in der Werkstatt und der zahlreichen Spurensicherer, die vorsichtig auf allen vieren umherkrochen. BonBon erfaßte die Lage und scheuchte ihren Nachwuchs schnell wieder zur Tür hinaus, drin blieben nur ihre Mutter und Victor, die wie erstarrt mit großen Augen dastanden.
«Gerard«, rief Marigold aus,»was ist denn hier los, mein Lieber? Und wo ist Worthington?«
«Liebe Marigold«, sagte ich müde,»es ist ein Unglück passiert. Geht doch bitte gegenüber ins Hotel und wartet auf mich.«
Sie schien mich nicht zu hören, sie schaute unentwegt auf die Wolldecke.»Wo ist Worthington?«Ihre Stimme wurde lauter.»Wo ist Worthington? O mein Gott.«
Ich nahm sie in die Arme.»Marigold, Marigold, ihm geht’s gut. Bestimmt. Das ist nicht Worthington.«
Sie schluchzte an meiner Schulter, dem Zusammenbruch nah. Victor wandte sich zu mir und sagte mit einer Stimme, die kaum mehr als ein Flüstern war:»Das ist jetzt kein Spiel mehr, oder?«
Die Frage bedurfte keiner Antwort, und bald darauf begleitete der junge Polizist ihn und Marigold zum Wych-wood Dragon hinüber.
«Wer ist denn nun Maske Nummer vier?«fragte Lawson-Young in der Stille nach ihrem Fortgang.
«Was?«fragte der Hauptkommissar.»Wovon reden Sie?«
Der Professor erklärte es ihm.»Gerard wurde hier vor seinem Geschäft von vier Schwarzmaskierten überfallen. Rose Payne, ihr Vater Eddie Payne und Norman Osprey waren drei davon. Heute morgen sagte mir Gerard, er kenne jetzt auch den vierten. «Er wandte sich vertrauensvoll an mich und fragte:»Wer ist es also, und wer hat meine Forschungsergebnisse?«»Ich glaube nicht, daß Maske Nummer vier die Kassette hat«, erwiderte ich.
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