Nach der Hälfte von Cassidys Tournee verfrachtete Oliver Mona verabredungsgemäß in die kleine Wohnung in den Stallungen und vergewisserte sich, daß der auf Zeit eingestellte Pferdepfleger (ein erfahrener Kenner der Materie, der älter war als Mona) auch wirklich jeden Tag (auf seinem eigenen Fahrrad) erscheinen würde, um Mona beim Training der Pferde zu helfen. Voller Zuversicht schickte Mona Oliver auf die Reise zu Cassidy und ließ es sich während der nächsten Wochen gut gehen mit einem wohlgefüllten Kühlschrank, einem Farbfernseher und ohne den kleingeldgierigen Stromzähler, den sie ständig füttern mußte, wenn sie kochen und es warm haben wollte. In ihrem eigenen kleinen Häuschen beglich Mona gewissenhaft ihre Miete. Jede Woche zahlte sie etwas bei ihrem Sparverein ein — für» schlechte Zeiten«. Sie war ihr Leben lang mit wenig ausgekommen.
Am Ende ihrer Erfolgstournee vor ausverkauften Häusern, unmittelbar vor dem langen Rückweg nach Hause, schlug Oliver Cassidy vor, Monas Lohn zu erhöhen.
«Wir bezahlen ihr schon mehr, als jede andere Pferdepflegerin bekommt.«
«Und sie ist noch mehr wert«, sagte Oliver.
«Also gut. «Cassidy gähnte.»Und du brauchst ein neues Pferd… Hast du nicht gesagt, der wackere, große Schimmel sei inzwischen zu alt?«
Mona, die auf der anderen Seite des Erdballs gerade den Stall des schweren, klugen Schimmels ausmistete, war sich traurig der Tatsache bewußt, daß Oliver ihn bald verkaufen würde. Er war inzwischen fünfzehn Jahre alt, und seine Sprungkraft ließ nach.
Mona fühlte sich nicht ganz wohl, während sie sich um den Schimmel kümmerte, so als hätte sie ein leichtes Fieber, dem sie jedoch weiter keine Beachtung schenkte. Wie alle kerngesunden Menschen merkte sie es nicht, wenn sie krank wurde.
Aber ihr auf Zeit eingestellter Kollege sagte ihr am nächsten Morgen, als er ihr gerötetes Gesicht sah, er würde sich um die Pferde kümmern, und sie solle sich auf ihr Rad setzen und zum Arzt fahren. Mona fühlte sich schlecht genug, um zu tun, was er sagte, und war erleichtert zu erfahren, daß das, was mit ihr nicht stimmte, schlicht und einfach eine Grippe war.
«Die grassiert jetzt wieder«, erklärte ihr der überarbeitete Arzt.»Legen Sie sich ins Bett und nehmen Sie viel Flüssigkeit zu sich, dann wird es Ihnen bald bessergehen. Die Grippe wird von einem Virus verursacht. Es gibt kein Mittel dagegen, das ich Ihnen verordnen könnte, denn Antibiotika richten gegen die Viren nichts aus. Nehmen Sie Aspirin. Sehen Sie zu, daß Sie warm genug angezogen sind. Und trinken Sie viel Wasser. Melden Sie sich wieder, falls Sie viel husten müssen. Ansonsten sind Sie eine gesunde Frau, Mrs. Watkins. Legen Sie sich zu
Bett, ruhen Sie sich aus und trinken Sie viel, das wird Ihnen helfen.«
Langsam radelte Mona zurück zu den Stallungen der Bo-lingbrokes und berichtete ihrem Helfer von der Diagnose.
«Dann legen Sie sich sofort hin«, drängte er.»Überlassen Sie die Pferde mir.«
Dankbar zog sich Mona aus, schlüpfte in ihr warmes Nachthemd und kroch unter die Decke. Die Fahrt mit dem Rad hatte ihren Zustand arg verschlechtert. Sie erinnerte sich noch daran, daß sie Aspirin nehmen sollte, aber sie hatte keins. Sie döste ein und erlebte lächelnd noch einmal die fehlerlosen Ritte Olivers beim Europäischen Grand Prix.
Der alte Pferdeknecht war zu zurückhaltend und genant, um Monas kleine Wohnung zu betreten, denn ihr Bett stand keine zwei Meter von der Eingangstür entfernt. Allerdings öffnete er diese Tür jeden Morgen und jeden Abend einen schmalen Spalt, um nachzufragen, wie es ihr ging. Und als sich nach drei Tagen immer noch keine Anzeichen von Besserung zeigten, fuhr er selbst auf dem Fahrrad zum Arzt.
«Mrs. Watkins? Eine Grippe braucht ihre Zeit, wissen Sie. «Er blätterte in der dünnen Krankenakte.»Hier sehe ich, daß sie eine Tochter hat, ihre >nächste Verwandte, Mrs. Peregrine Vine. Vielleicht sollten wir sie um Hilfe bitten.«
Freundlich, wie er war, rief er selbst bei Joanie an, um die Börse des alten Pferdeknechtes zu schonen.
«Grippe!« rief Joanie.»Ich bin sicher, daß Mona alles hat, was sie braucht, wenn Sie sich um sie kümmern.«
Der Arzt runzelte die Stirn.»Sie könnte etwas einfache Pflege gebrauchen. Wechseln Sie ihr die Bettwäsche. Machen Sie ihr einen Tee. Geben Sie ihr Orangensaft zu trin-ken oder auch Bier. Irgend etwas in der Art. Es ist außerordentlich wichtig, daß sie viel trinkt. Wenn Sie es ermöglichen könnten.«
«Das kann ich nicht«, unterbrach Joanie ihn.»Ich habe den ganzen Tag lang Komiteesitzungen. Die kann ich nicht absagen.«
«Aber Ihre Mutter.«
«Es geht wirklich nicht«, sagte Joanie bestimmt.»Tut mir leid.«
Nachdem Joanie abrupt aufgelegt hatte, wirkte der Arzt einen Augenblick lang ratlos; dann legte auch er kopfschüttelnd auf, schrieb Joanies Telefonnummer auf eine seiner Visitenkarten und reichte sie dem Pferdeknecht.
Am nächsten Tag rief der Pferdeknecht selbst bei Joanie an und sagte ihr, daß es Mona weder besser noch schlechter gehe, daß er aber glaube, sie benötige die Gesellschaft ihrer Tochter.
«Warum kümmert Cassidy Bolingbroke sich nicht um sie?«fragte Joanie.»Sie mag sie doch so gern.«
Der Pferdeknecht erklärte ihr, daß Mrs. Bolingbroke sich auf dem Weg von Amerika nach Hause befinde, aber erst in zwei Tagen zurückerwartet werde.
«Zwei Tage? Dann ist ja alles in Ordnung«, sagte Joanie und legte auf. Sie fühlte sich tatsächlich erleichtert. Der Gedanke, ihre Mutter zu pflegen, sich auf intimen körperlichen Kontakt mit diesem alten Fleisch einzulassen, bereitete ihr Übelkeit.
Mona, die durchaus nicht unglücklich war, lag still in ihrem Bett und hatte weder Appetit auf etwas zu essen noch zu trinken. Sie nahm vage an, daß es ihr bald besser gehen würde: Bis es soweit war, würde sie schlafen.
Als die Bolingbrokes eintrafen, ging Cassidy sofort in Monas Wohnung. Dort war es überheizt, und die abgestandene Luft stank; Mona selbst wirkte aufgeschwemmt und driftete zwischen Zuständen des Wachens und der Bewußtlosigkeit hin und her. Cassidy tat für sie, was in ihren Kräften stand, schickte aber auch sofort nach dem Arzt. Dieser kam auf der Stelle, voller Angst, und bestellte nach einer kurzen Untersuchung einen Krankenwagen. Immer wieder beteuerte er Cassidy und Oliver:»Aber ich habe ihr doch ausdrücklich gesagt, ich habe darauf bestanden, daß sie viel trinkt. Sie sagt, sie habe seit einer Woche nichts mehr getrunken. Sie hatte nicht mal mehr die Kraft, sich eine Tasse Tee zu machen. «Er klang verzweifelt.»Ich werde Mrs. Vine sofort Bescheid geben, daß die Lage jetzt ernst ist… Darf ich Ihr Telefon benutzen?«
Wie vorauszusehen sah Joanie keinen Grund zur Panik und meinte, sie sei überzeugt, daß ihre Mutter in besten Händen sei. Der Arzt verdrehte die Augen. Trotz allem, was jetzt noch getan werden konnte, trotz Dialyse und Tropf und Cassidys Gebeten trieb Mona ganz still davon und starb noch in der gleichen Nacht im Krankenhaus an völligem Nierenversagen.
Das Krankenhaus informierte Joanie Vine von Monas Tod, nicht die Bolingbrokes. Es war der Arzt am Ort, der es Oliver sagte.
«Es war so unnötig. Die arme Frau. Wenn sie nur Flüssigkeit zu sich genommen hätte. Die Leute begreifen gar nicht, wie gefährlich eine Austrocknung sein kann.«
Er versucht, sich von seiner Schuld zu befreien, dachte Oliver, aber Mona hatte zweifellos seine Anweisung mißachtet.
Oliver und Cassidy saßen in der Küche und trauerten um ihre so wichtige und jetzt fehlende Freundin.
Erst als der alte Pferdeknecht ihnen von seinen eigenen und des Arztes ergebnislosen Telefongesprächen mit Joanie berichtete, wurde aus der Trauer der Bolingbrokes Zorn.
«Joanie hat sie umgebracht.« Cassidy ballte, außer sich vor Zorn, die Fäuste.»Sie hat sie buchstäblich umgebracht.«
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