Was Peregrine anbelangte, so liebte er weder Babys noch Kleinkinder, auch keine Teenager oder Heranwachsende, noch irgendein Stadium dazwischen. Peregrine war empfindlich, und es schauderte ihn jedes Mal, wenn er hörte, daß Jungen grob zu ihren Vätern waren. Er konnte nicht verstehen, wie sich Menschen aus freiem Willen auf all die Unannehmlichkeiten von medizinischen Problemen, Schulgeldern, Drogenkonsum und stets drohenden Anklagen wegen sexuellen Mißbrauchs einlassen konnten. Peregrine liebte ein stilles Zuhause, elegante Unterhaltung und Geld.
Und es gelang ihm auch wochenlang, die wahre Herkunft seiner schönen Frau völlig zu vergessen. Joanie erfand eine ganze Reihe blaublütiger Ahnen und war bald selbst von deren Echtheit überzeugt.
Alle fünf, Peregrine, Joanie, Oliver, Cassidy und Mona, verlebten einen langen Sommer in einem persönlich befriedigenden Gleichgewicht. Jeder von ihnen genoß auf seine Weise den Erfolg. Oliver heimste Meisterschleifen und Trophäen gleich reihenweise ein. Cassidys neue Langspielplatte wurde wieder eine Platin-LP. Mona spendierte sich, durchglüht vom Stolz auf die Pferde, leichten Sinns neue Reifen für ihr Fahrrad. Der Fuchs, der große Schimmel und der gertenschlanke Braune waren ihr ganzer Stolz.
Peregrines Auktionen wurden zu gesellschaftlichen Ereignissen: Sowohl Sotheby’s als auch Christie’s verfolgten sie mit großer Aufmerksamkeit. Die hochgewachsene und in ihren luxuriösen (geliehenen) Ballkleidern wirklich hinreißende Joanie zierte die farbigen Seiten der Hochglanzmagazine.
Mona schnitt in ungekünsteltem Stolz auf ihre Tochter die immer zahlreicher erscheinenden Fotos aus und steckte sie in eine Schachtel mit vielen anderen ausgeschnittenen Artikeln, in denen Loblieder auf Cassidys Silberstimme und Olivers Goldmedaillen im Springreiten gesungen wurden.
Mona schickte Joanie einen Brief, in dem sie in unsicherer Handschrift und Orthographie ihr glückliches Leben mit den Bolingbrokes einschließlich der Kochereignisse in der Küche beschrieb. Joanie zerriß den Brief, ohne ihn zu beantworten.
Getrieben von ihrem unverwüstlichen Stolz, den Joanie gar nicht verdiente, band Mona eines Tages die Schachtel auf den Gepäckträger ihres Fahrrades, bevor sie zur Arbeit fuhr, und zeigte Cassidy, was sie darin aufbewahrte.
«Das ist Ihre Tochter?«fragte Cassidy überrascht.
«Ist sie nicht schön?«Mona strahlte.
«Hier heißt es«, las Cassidy vor,»daß sie mit den Earls of Flint verwandt sei.«
«Das ist so ihre Art«, erklärte Mona versöhnlich.»Sie wurde ganz einfach als Joanie Watkins geboren. Ihr Vater war Stallbursche, genauso wie ich. Ist bei einem Reitunfall umgekommen, der Arme.«
Cassidy erzählte Oliver von den Bildern, und aus purer Neugier schrieb Oliver an Peregrine — c/o Peregrine Vine and Co., Quality Auctioneers — und lud ihn mit seiner Frau zum Mittagessen ein.
Joanie sagte Peregrine sofort, daß sie diese Einladung nicht annehmen wolle, aber dann überlegte sie sich die Sache noch einmal. Oliver und Cassidy Bolingbroke kennengelernt zu haben — mit ihnen zu Mittag gegessen zu haben —, würde ihr hervorragende Gelegenheit verschaffen, hier und da diesen Namen fallenzulassen. Monas Existenz konnte dabei ohne weiteres voll und ganz verleugnet werden.
Wie sehr sich Mona auch wünschte, Oliver hätte sie zuerst gefragt: Bei beiden Männern siegte die Neugier über die Zweifel. Am verabredeten Tag fuhren die Vines in ihrem Mercedes bei den Stallungen vor, wo die Bolingbrokes und Mona sie erwarteten.
In dem Moment, als Joanie ihre Mutter überheblich mit» Mona «anredete und Monas Versuch einer Umarmung frostig zurückwies, wußte Oliver, daß er einen schweren Fehler begangen hatte. Weltgewandt wie immer ignorierte er den peinlichen Augenblick und verfrachtete die ganze Gesellschaft zu einem Aperitif in den Salon. Und zuckte innerlich zusammen, als er bemerkte, daß Peregrine seine Möbel mit geübtem Blick taxierte.
Cassidy hatte sich derweil bei Mona eingehakt und nahm sie entschlossen unter ihre Fittiche. Denn auch sie hatte inzwischen begriffen, welche Katastrophe sich da anbahnte. Monas Widerstreben gegen dieses Treffen war völlig richtig gewesen.
Mona hatte sich wirklich Mühe gegeben: Sie trug eine saubere Cordsamthose und dazu eine weiße Bluse, in die sie über dem obersten Knopf eine kleine Perlbrosche gesteckt hatte — das äußerste, was sie an Feststaat zu bieten hatte. Cassidy zerschmolz vor Mitleid mit ihr und bedauerte — ebenso wie Oliver — die Einladung von Herzen.
Nach einigen Minuten reichlich geschwollener Konversation zwischen den beiden Männern (hauptsächlich über die unterschiedlichen Handelsusancen bei Kommoden und Junghengsten) bugsierte Cassidy ihre Gäste voller Ingrimm, aber äußerlich heiter ins Eßzimmer, wo der Tisch mit Silber und Kristall für fünf Personen gedeckt war.
Spontan sagte Joanie:»Sie erwarten also noch einen Gast?«
«Nein«, erwiderte Cassidy verwirrt,»niemanden außer uns.«
«Aber Mona wird doch bestimmt«, und dabei gingen Joanies Augenbrauen in die Höhe,»wie gewöhnlich in der Küche essen?«
Selbst Joanie wurde angesichts der plötzlich starren, reglosen Mienen ihrer Gastgeber klar, daß sie den für einen
Emporkömmling schlimmsten aller Fehler begangen hatte. Hilflos sagte sie:»Ich meine… ich meine«, aber ihre Äußerung war zu durchsichtig gewesen und ließ sich nicht mehr rückgängig machen.
Peregrine räusperte sich nervös und überlegte krampfhaft, was er sagen konnte — irgend etwas.
Oliver, bei weitem der schnellste Denker von allen, regte sich als erster wieder, lachte und rief:»Cass, meine Liebe, was für eine großartige Idee von Joanie. Laßt uns alle zusammen mit Mona in der Küche essen, so wie wir es gewöhnlich tun. Nehmen wir also alle unsere Teller und Servietten und Gläser und gehen wir in die Küche.«
Er raffte zusammen, was für ihn am Kopf der Tafel aufgedeckt worden war, und bedeutete den anderen, es ihm nachzutun. Dann musterte er die ganze Truppe noch einmal kurz und trat hocherhobenen Hauptes durch die Schwingtür in die geräumige, gemütliche Küche, in der er und Cassidy tatsächlich normalerweise mit Mona zusammen aßen.
Aber dennoch war die Mahlzeit eine einzige Qual. Niemand bedauerte den frühen Abschied der Vines, die den Käse unberührt am Rand ihrer Teller zurückließen und auch auf den Kaffee verzichteten. Oliver entschuldigte sich bei Mona, noch bevor der Mercedes der Vines das Fronttor passiert hatte, aber Mona, die wie immer schnell verzieh, machte sich von allen die wenigsten Gedanken über das Debakel.
Cassidy Lovelace Ward führte ein Doppelleben: Sie war einerseits Künstlerin, andererseits Ehefrau. Begonnen hatte ihre Beziehung zu Oliver mit der starken, im wesentlichen sexuellen Anziehung, die Oliver mit seiner ganzen Erscheinung, seiner Haltung und seinem Können auf dem Pferderücken auf sie ausgeübt hatte. Erfahren wie sie war, wußte sie wohl, daß erst ihre eigenen Gefühle für ihn in ihm einen Widerhall dieser Empfindungen geweckt hatten. Die Medien, die die körperliche Anziehung zwischen den beiden zynisch zur Kenntnis nahmen, lagen möglicherweise gar nicht so daneben, wenn sie den beiden schon für die allernächste Zukunft Langeweile und anschließend die Trennung prophezeiten, aber zu ihrer beider Überraschung waren aus dem Reiter und der Sängerin langsam enge und vertraute Freunde geworden.
Sie hatten sich kennengelernt in einer Zeit, in der Cassidy beinahe ständig mit den Mississippi-Liedern aus Nashville, Tennessee, in ihrer Heimat auf Tournee war. Mit dem Bus und in Begleitung von Manager, Musikern und weiteren Helfern ging es von Ort zu Ort. Requisiten, Bühnenbild, Beleuchtung, Kostümbildner und Garderobe folgten ihnen. Die ganze Unternehmung lebte von ihrem Genius, ihrer Energie und ihrer Ausstrahlung, und sie war tatsächlich wie alle großen Künstler des Showbusiness in der Lage, selbst innerlich Feuer zu fangen und ihr Publikum damit im Sturm zu erobern.
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