Irgendwann bittet Doiv darum anzuhalten, damit er sein Wasser abschlagen kann. Leute, die in anderer Leute Felder urinieren. Als er zurückkehrt, hat er die Taschen seiner Jeans voller Haselnüsse und in der Hand den reifen Teller einer Sonnenblume. Schau, was ich noch gefunden habe! Stolz wie ein Kind. Die Haselnüsse entleert er in die Seitentasche der Tür, die Sonnenblume hält er im Schoß, pult an den Kernen.
Ich würde dich bitten, das nicht zu tun.
Er denkt, ich will nicht, dass mein Auto schmutzig wird. Als wäre es nicht bereits ein Saustall. Vorne geht es einigermaßen, aber der hintere Fußraum ist fast schon bis Sitzhöhe mit Müll aufgefüllt. Leere Verpackungen von Speisen und Getränken. Auf dem Rücksitz zwei abgewetzte Jacken. Jutka hatte da gesessen mit den beiden Rucksäcken. (Oda. Wo bist du grad?)
Doiv kann hören, er berührt die Sonnenblume in seinem Schoß kaum. Beim nächsten Halt legt er sie in den Kofferraum. Findet Äpfel auf einem Wegbaum, schrotet einen, die anderen legt er zum Rest der Beute. Meinetwegen. Das stört mich nicht. Aber dass er einfach nicht aufhören kann zu labern. Über die Landschaft, deren Schönheit Kopp durchaus selber sehen kann, und, das lässt sich offenbar auch nicht vermeiden, das Leben auf dem Lande aus fotografischer und aus lebensgestalterischer Sicht. Selbstverständlich ist seine Sichtweise verklärend, er liebt diesen Dreck, der Mensch muss Dreck fressen, sich die Hände schmutzig machen, sich durchgraben, meinst du nicht auch? Kopp schweigt und fährt.
Bist du müde, soll ich fahren?
Nein… Aber wann kommt eigentlich die Grenze? Hätten wir die Grenze nicht schon längst erreichen müssen?
In den Bergen dauert es länger, aber macht nichts, wir haben Zeit.
Ich dachte, du musst morgen früh in Poti sein.
Morgen oder übermorgen. Wir können uns auch was für die Nacht suchen.
Hier?
Wir fragen jemanden.
Wen?
Leute, die auf einem Feld arbeiten. Frauen. Was holen sie da heraus? Sieht wie Kartoffeln aus. Alle tragen Kopftücher. Flora hat ihrs nach hinten gebunden, die Haarspitzen sind von der Sonne blond geworden. Deswegen und wegen der unbekannten Klamotten erkannte sie Kopp nicht gleich. Er war am Holzhaus gewesen, dann am Hofgatter, nirgends eine Seele. Ratlos blieb er an einem Feldrand stehen, nestelte an seinem Handy. Die Frau mit dem roten Kopftuch fiel ihm auf, aber er dachte, das wäre nur jemand, der mir gefällt, weil sie meiner Frau ähnlich sieht. Und dann ist sie's wirklich. Nach den Klamotten darfst du nicht mehr gehen. Lange Röcke, Hose darunter, Socken, Sandalen, darüber die Pullover, die gestrickten Westen. Unter einem Kopftuch blinkt hennarot gefärbtes Haar hervor. Sich die Frauen hier in westlicher Kleidung vorstellen. Und umgekehrt. Deine Liebste nur noch in Verkleidung sehen. (Woher willst du wissen, dass nicht das, was du bis dahin kanntest, die Verkleidung war? — Weil all das nur ein Spiel ist. Ein neuer Versuch, der Verzweiflung zu entgehen. Andere fangen zu malen an. Nichtgute Bilder. Auch nicht besser. Also, halte durch.) Kopp stieg aus und winkte. Auch sie brauchte eine Weile, bis sie ihn erkannte: blonder Mann in blauem Hemd neben nachtblauem Auto. Sie winkte zurück und arbeitete weiter. Kopp blieb an sein Auto gelehnt stehen, spielte mit seinem Smartphone und wartete, dass sie zu ihm kam.
Let's ask them, sagte Doiv, aber Kopp war schon vorbeigefahren.
They are working, sagte Kopp, mit beträchtlicher Verspätung.
Und?
Sie kam erst, als sie fertig waren. Er wartete, nicht geduldig, aber standhaft, bis alles verladen war und sich alle auf Fahrzeuge verteilt hatten. Darius Kopp nahm nur seine Frau mit.
Ich bin voller Erde.
Und wenn schon.
Das Dorf tauchte kurze Zeit später auf, hinter einer Kurve. Am Straßenrand ging eine alte Frau auf einen Stock gestützt. Auf dem Rücken eine volle Stiege, darin Grasartiges, obenauf saß ein weißes Huhn.
Halt an! rief Doiv.
Was ist passiert? fragte Kopp, während er bremste. She might need help.
Kopp ließ das Auto rollen, rollte an der alten Frau vorbei und gab dann wieder Gas, durch das Dorf, aus dem Dorf wieder heraus. Was ist los?… What happened?… Alles OK mit dir? Ja. Ich kann jetzt nur nicht anhalten.
Dass ich mich von vornherein ablehnend verhalten hätte, kann man so nicht behaupten. Aber er nahm auch nicht teil, warum hätte er das sollen, er fuhr sie auf ihren Wunsch hin zum Hof, ging aber nicht mit hinein. Lehnte am Auto und spielte mit dem Handy. Während Flora die Stiege schleppt, dem Huhn Wasser hinstellt, den Abendessenstisch deckt. Ihre Wangen sind rot, die Haarspitzen blond, langsam wirst du wieder schön. Kopp hörte auf, am Telefon zu fummeln, und sah ihr zu. Sah eine Weile nur sie, wie sie sich bewegte: ihren Nacken, ihre Arme, ihre Taille. Bis endlich der Groschen bei ihm fiel: sie machte bei allem so routiniert mit, wusste so genau, was wo seinen Platz hatte, ausgeschlossen, dass das zum ersten Mal passierte. Das ist also deine Quelle. Von wegen auf den Feldern gefunden. Dem Erntevolk steht Kost zu und Vergütung, wenn nicht in monetärer Form, dann als Anteil an den Früchten. Wie über einen sonnigen Tag plötzlich die Klappe fällt, weil du entdeckst, dass du belogen worden bist. Du hast mich belogen. Während sie sich aufrichtet und ihm lächelnd winkt, er möge zum Essen kommen.
Ein Misstrauen war von Anfang an da. Wie gegenüber einer anderen Glaubensgemeinschaft. Stehen in selbstgefilzten Hüten auf dem Wochenmarkt, wie die Siebenzwerge. Die Hüte sind ein Gag, aber ansonsten ist es ihnen todernst damit, dass das, was sie hier tun, vermeintlich unsere einzige Chance ist. — Schulaufsätze. Wie werden wir im Jahr 2000 leben. Alle Jungen schrieben etwas über Roboter und raketengetriebene Autos. Vorbei. — Wer seiner Zeit voraus ist, organisiert sich irgendwo ein Stück Land, das kein Profi haben will, und versorgt sich mit beiden Händen in der Erde selbst. An Maschinen nur das Nötigste. Geld lehnen sie vorerst nicht ab, zumindest nicht, wenn sie welches bekommen sollen, aber Tatsache ist, Flora, ich habe nachgelesen, dass die meisten (alle) dieser sogenannten alternativen Höfe nur überleben können, weil sie andere Romantiker für Kost und Logis für sich arbeiten lassen. Wobei Logis häufig genug ein Bauwagen oder ein Heuboden ist. Sie reden von einer in die Zukunft weisenden Lebensform, aber in Wahrheit ist es eine alte, und es ist kein Zufall, dass der Begriff, der sie beschreibt, heute ein pejorativer ist: Knechtschaft. Freiwillig unter seinen Verhältnissen leben, das hast du auch nur im Westen. Alle anderen wollen das genaue Gegenteil.
Was mich anbelangt, sagte Flora nach einer Weile, reichen meine Kompetenzen auch nur für Tätigkeiten aus, die mir genau soviel einbringen, wie ich für Kost und Logis brauche. Es sieht vielleicht nicht immer danach aus, weil man manchmal Geld in die Hand gedrückt bekommt. Ich weiß, du hast mir oft genug gesagt, wozu der Stress, ich könnte doch auch einfach Kost und Logis bei dir haben. Und in der Tat ist das auch Arbeit: kochen, putzen, Wäsche… und so weiter… — (Sex. Der Eckstein, der all das zusammenhält und dafür sorgt, dass kein Gehalt gezahlt werden muss und kann, ist das Einvernehmen über Sex. Sie war gnädig genug, das nicht auszusprechen, aber natürlich dachten wir beide daran und schwiegen deswegen für einen Moment.) — Ich würde es dennoch als unter meinen Verhältnissen empfinden, mich aushalten zu lassen. Obwohl es in Wahrheit über meinen Verhältnissen wäre. Ein Luxus. Den du dir leisten kannst!
Ja, sagte Flora und lächelte, legte ihm einen Arm um die Schulter, um es in sein Ohr sprechen zu können: Und ich danke dir dafür. Sie küsste ihn zwischen Ohr und Wange und ließ ihn wieder los. Ihr Arm, wie er einer Schlange gleich von seiner Schulter rutschte. So wurde Darius Kopp geschlagen.
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