Immer hast du das gemacht. Mir das Heft aus der Hand genommen mit nicht mehr als drei Sätzen.
Oder auch ohne Worte. Eine Berührung. Eine Handbewegung. Sie winkt ihm, er möge zum Essen kommen, und er kann nicht widerstehen, er kann einfach nicht nicht hingehen, und er kann auch sie nicht einfach so hier fortreißen. Sie hatte offenbar einen guten Tag, ihre Wangen sind rosig geworden, sie hat gute Laune, was willst du eigentlich, vor wenigen Tagen konnte sie kaum stehen. Spielt sie eben Ernte, Hauptsache, ihr geht es besser. Er setzte sich auf den Platz, den sie ihm zeigte, neben ihr auf der Bank, es war eng, er spürte jede ihrer Bewegungen, und das nahm ihn noch ein Stück mehr gefangen. Dein Körper. Er rückte noch näher heran, damit er sonst niemanden spüren musste, irgendeine Unbekannte auf der anderen Seite. Gaby, die gegenübersaß, lächelte hingegen, als wären wir alte Freunde.
Wer gegenübersitzt, sieht mehr als der daneben. Zum Ausgleich presste er seinen Schenkel gegen Floras. Sie drückte zurück, das entspannte ihn wieder für eine Weile, es war ihm auch gelungen, etwas satt zu werden, also machte er die Ohren auf, um probeweise ein bisschen davon hereinzulassen, was geredet wurde.(Du darfst gratis offener sein.) Der Kerl neben Gaby erzählte gerade etwas von einem Hüftschaden, wegen dem er seinen Job als Fahrradkurier wird aufgeben müssen, dabei mag er ihn, trotz der Abgase, weil irgendwann hast du dann doch wieder 20 Sekunden, in denen du nur rollst und der Wind weht und es herrscht Ruhe und Frieden. Ein Mann, kaum jünger als ich, der über das Fahrradfahren redet wie ein Junge, der gerade das erste Mal allein bis zum nächsten Dorf gefahren ist, und Darius Kopp kann nicht anders, als ihn zu mögen. Vielleicht am Ende doch nur wegen seines arglosen Gesichts. Während der Typ daneben fast schon lächerlich verschlagen aussieht, während er von Wiederverwertung faselt und was er zuletzt geschenkt bekommen hat: einen Boiler und ein paar Schuhe, diese hier, gute Wanderschuhe, die wird er die nächsten 10 Jahre tragen, zum Glück wachsen die Füße nicht mehr. Stimmt nicht, sagt eine Frau mit grauen Strähnen im Haar, andere Frauen lachen und bestätigen: ab einem gewissen Alter etc. Überhaupt sind es mehr Frauen als Männer, alle mindestens in unserem Alter, abgesehen von dem Pärchen am anderen Ende des Tischs, der Junge trägt den hässlichsten Kehlbart der Welt, und schon hat Kopp genug. Ich hab's versucht, es gefällt mir nicht, ich bin leidlich satt, lass uns gehen. Aber Flora unterhält sich gerade mit dem arglosen Radfahrer, der von seinem Garten erzählt. Das Wasser war eingefroren und hat den Außenhahn gesprengt, und dann hat es getaut. Wo hast du deinen Garten? fragt Flora, woraufhin Hüftschaden-mit-vierzig zu grinsen anfängt, als hätte ihm meine Frau ein Angebot gemacht, seine Zähne sind klein und grau, bis auf den Eckzahn, der ein wenig vor den anderen steht und dadurch noch riesiger wirkt. Isegrimm-mit-dem-Schwanz. Darius Kopp steht ruckartig auf, stößt mit dem Knie gegen den Tisch, der Schmerz ist enorm, brennend und scharf, Gaby, als würde sie höhnisch grinsen.
Es gibt einen Film, er ist nicht allzu gelungen, aber in einer Sache hat er recht. Eifersucht ist die Hölle. Komm, sagt Darius Kopp, und vor Anstrengung, nicht vor Schmerzen zu stöhnen, wird sein Kopf ganz rot. Gleich, sagt Flora, sie hat nicht einmal bemerkt, wie es mir geht, sie spricht mit Gaby. Schmerz macht auch taub, so kann Kopp nicht hören, was sie reden, aber dann wird es ihm klar. Natürlich. Wenn ich nicht hier bin, schläft Gaby mit im Holzhaus, in dem es nur ein einziges Bett mit einem hart und uneben gelegenen Futon gibt, natürlich, es ist schließlich ihr Haus. Während Kopp noch ganz gelähmt ist vor Schmerz und Erkenntnis — Ja, ich bin ein eifersüchtiger Mann. Das habe ich vor dir nicht gewusst. Jetzt weiß ich es — finden sie eine diskrete Lösung. Gaby bleibt auf der Farm, Darius Kopp darf mit Flora ins Holzhaus gehen. Sie verabschiedet sich von den anderen, ohne dass Berührungen stattfinden, dennoch hat Kopp das Gefühl, sie schauen ihnen nach, als hätte er ein Lamm aus der Herde gerissen — Ich habe Hunger, meldete sich plötzlich das Kind vom Beifahrersitz. Sie fuhren gerade durch ein größeres Dorf. Dort gab es etwas mit einer offenen Tür, eine Gaststätte oder Trinkhalle — für einen Augenblick siehst du einen mit Stein ausgelegten Boden, die ersten zwei Schritte hinein — Plastikstühle und Tische standen davor, Männer saßen dort, einer war unglaublich dick, alles, wie Doiv es gerne mag, aber Darius Kopp fuhr vorbei, aus dem Dorf hinaus, bis zu einer Tankstelle, und sie aßen irgendetwas Widerwärtiges aus dem Toaster. Wortlos. Kein einziges Mal, seitdem sie sich kannten, hatte Darius Kopp einen von Doivs Vorschlägen abgelehnt. Als wäre er gänzlich ohne eigene Vorlieben. Sie fuhren, hielten an, aßen, übernachteten, wo auch immer Doiv es sagte. Und jetzt innerhalb weniger Stunden schon das dritte Mal. Verständlich, dass er jetzt irritiert war. Und zwar in einem Maße, dass es ihm die Sprache verschlug, jemand mit seiner Kontaktfreudigkeit und Redegewandtheit, aber vielleicht ist er auch nur um einiges weiser, als ich bislang angenommen habe, und weiß einfach, wann man die Klappe halten muss. Isst seinen Toast, trinkt sein Wasser, Kopp tankt voll, sie fahren weiter. Malerische Landschaft, die in Dunkelheit versinkt. Du solltest dankbarer sein. Bin ich aber nicht. Ich habe Angst. Es wird dunkel, wir fahren irgendwo, auf einer Straße, die das Navi nicht kennt, durch gottverdammte idyllische Dörfer, und ich habe Angst.
Das ist nur die Dunkelheit. Gleich ist's vorbei.
Nicht Angst, sondern Scham. Eben noch gelächelt, eine Minute später saß Flora zusammengesunken auf dem Beifahrersitz, schaute hinaus in kleine Fetzen beleuchteter Dunkelheit. Ich habe dir am Ende eines für dich schönen Tages die Laune verdorben. Tut mir leid. Und im Hintergrund von all dem stand vielleicht nichts anderes als ganz gewöhnliche Eifersucht. Nein, doch komplizierter. Ich möchte zwar auch nicht, dass meine Frau verdächtig enge Beziehungen zu anderen Ingenieuren oder Kellnern oder Künstlern oder was es sonst noch gibt unterhält, du sollst keine Freunde haben außer mir, so, jetzt ist es raus — bzw. nicht raus, das werde ich natürlich niemals aussprechen, niemals, ich bin doch nicht verrückt — aber die Nähe zu irgendwelchen verstrahlten Feldstechern mit wachsenden Füßen ist mir ganz besonders.
Er lachte auf. Die eigenen Worte — verstrahlte Feldstecher mit wachsenden Füßen — gefielen ihm so gut, dass seine Laune mit einem Mal wiederhergestellt war.
Was ist, fragte sie verwundert und zog sich etwas höher im Sitz.
(Kein Wort! Es wird doch gerade wieder gut. Rede so, als wäre es bereits so.) Ach nichts, mir ist nur was eingefallen. Aber wie geht es dir? Hattest du einen guten Tag?
Ja, sagte sie.
War es nicht anstrengend?
Doch.
Darf ich mir ein Bier holen?
Klar.
Er fuhr einen Umweg zur Tankstelle und kaufte sich einen Sixpack, aber er ging auf Nummer sicher und trank erst nach dem Sex. Ihre Vitalität, die sie noch vor einpaar Stunden gezeigt hatte, kehrte zwar nicht mehr zurück, aber sie ließ es auch nicht nur zu, es war gut, fast wie Versöhnungssex, und Kopp war dankbar. Danke, dass du mich also doch auch noch akzeptierst, dass ich der bin, der dir am nächsten sein darf. Ja, ich gebe zu, ich bin etwas einfach gestrickt, Essen und Sex, und schon bin ich befriedet. Schon denkt Kopp, alles ist in Ordnung. Am nächsten Tag schlug er, um seinen guten Willen zu zeigen, vor, sie sollten Pilze suchen gehen, aber sie sagte: Dafür ist es zu spät. Und außerdem hatte sie versprochen, wieder auf dem Hof zu helfen. Woraufhin sich in Kopp wieder die Eifersucht aufbäumte — Gaby, der Kurier mit dem Gebiss, der schweigsame Kerl, der den Hof pachtet, Peter oder so ähnlich, der als Einziger von denen sogar gut aussehend ist, jetzt also auch er —, aber er schluckte sie hinunter und sagte: Ich kann dich unmöglich entbehren. Ich komme mit.
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