Da fahren sie schon längst, es ist der nächste Tag, irgendwo im Laufe seiner Rede hat Doiv Därjäss gebeten, ihn an eine Straße zu bringen, die östlich aus der Stadt hinausführt, aber das war ohnehin schon eine Autobahn, und auf einer Autobahn fährt es sich leicht und hält es sich schwer, abgesehen davon waren sie sich längst einig. Das neue Spiel heißt: Doiv nennt ein Nahziel, sie fahren hin, dort geschieht etwas oder eher nicht. Das ist nicht wichtig. Wichtig ist, dass es einen Rahmen gibt. Eine Weile lang war mir das die Wohnung, aber die ist mittlerweile zu weit entfernt. Sobald du dich weiter entfernt hast, als dass du in einem Zug durchfahren könntest, ohne dabei zu sterben (eine Sekunde in der 36sten Stunde, und Bumm), lässt die magnetische Wirkung nach. Stattdessen nun also Doiv. Egal, was du dir einbildest, in Wahrheit warst du gerne Weisungsempfänger, ja, es scheiterte zuletzt doch gerade daran, dass keine Richtungsangaben mehr auszumachen waren, und wenn heute Doiv sagt, jetzt fahren wir da und da hin, dann ist das ein Arrangement, von dem wir beide profitieren. Ab und zu halten sie an, damit Doiv fotografieren kann. Das Projekt heißt Homes, und das ist mal wirklich interessant: in was für Behausungen Menschen leben können. Ruinen und Paläste. Ruinen und Paläste in Städten, Ruinen und Paläste auf dem Lande. Die Schwalbennester der Armen mit ihren amorph verstreuten Fensterchen, jedes von einer verschiedenen Größe und die propere Symmetrie der etwas reicheren Armen. Ein Hügel aus Plastikkinderspielzeug in einem ansonsten kahlen Hof. Ein Rosengarten mit einem winzigen Häuschen, das ebenfalls über und über mit Kletterrosen bedeckt ist. Ein Hochhaus mitten im Nichts, so lächerlich modern, dass es wie ein armes Tier ist mit einem deformierten Horn, das es beim Fressen behindert. Einmal, sagte Doiv, habe ich ein Dorf aus lauter Notunterkünften gesehen. Die Baracken waren eine Hilfslieferung aus dem Westen nach einem Erdbeben. Das war zwanzig Jahre her, aber sie standen immer noch da, jetzt war das eben das Dorf. Vielleicht waren die Notbaracken aus dem Westen besser als die Hütten, die vorher da gestanden hatten. Ich fuhr bei einem Russen in einem riesigen Jeep mit, er raste wie ein Irrer, und ich sah nur für einen Augenblick, wie drei schöne Mädchen eine schlammige Straße zwischen den Baracken herunterkamen und sich in die Bushaltestelle an der Fernstraße stellten. Die eine hatte kniehohe weiße Stiefel an. Schöne Mädchen am Ende der Welt, ich weiß nicht, aber ich denke da immer: was für eine Verschwendung. Doiv lachte. Findest du nicht auch? Sag schon!
Doch, sagte Darius Kopp. Das finde ich auch.
So vergeht der Tag. Kopp fährt, Doiv fotografiert. Als es Abend zu werden beginnt, sagt Doiv: Wir müssen noch was zu trinken kaufen.»Wir«, das ist mein neuer Name. Wir Darius Kopp. Doiv, das haben wir mittlerweile gelernt, gibt nicht so gerne sein eigenes Geld für Essen und anderes aus. Er kann sich zurückhalten, bis ein anderer, der grad bei ihm ist, Hunger bekommt und etwas zu essen kauft. Wenn das mehr als aus einem Sesamkringel und einer kleinen Flasche Wasser besteht, sagt er: Das ist mir zu teuer. Das gute am Reisen ist, sagt er, dass man zu reduzieren lernt. Wasser, Brot und Alkohol können über lange Strecken das Überleben eines Individuums sichern. Wahlweise Kartoffeln und Zwiebeln, wenn man ein Deutscher ist. Lacht. Flach, aber wahr: Doiv hat einmal einen getroffen, einen jungen Kerl in einem 7,5-Tonner, der sich nach eigenen Angaben ausschließlich von Kartoffeln, Zwiebeln und Bier ernährte, mehr brauche kein Mensch. Brot, Wodka, Kaviar, wenn man ein karelischer Fischer ist.
Am besten ist, du fängst gar nicht erst an, dich zu wehren. Gib dich gleich von Anfang an der Langsamkeit hin. Tue alles sorgfältig. Sollte dich jemand antreiben wollen, sage mit freundlichem Lächeln: im Moment kann ich es nicht schneller. Aber es ist ohnehin keiner da, der dich antreiben könnte. Du hast, bei allem, doch auch Glück. Du musst nicht den Müll auf der Kippe durchsieben, auf der du lebst. Stattdessen darfst du in jemandes heller, sauberer Küche Essen zubereiten. Das feine Knistern der äußeren Häute der zarten Schalotte unter deinen Fingern. Das geschmeidige Nachgeben ihres Fleisches unter dem Messer. Den Knoblauch schaffst du nicht so klein, wie es dir guttäte, sieh ein, dass das jetzt so ist, du hast dich sowieso schon geschnitten, wenngleich oben am Fingerknöchel, und du weißt nicht, wie das passieren konnte. Lass das Blut ein fach trocknen. Schneide die Paprika so klein, wie du sonst nicht die Geduld dazu hast, und genieße das Zerdrücken der geschälten Tomaten aus der Dose in deiner Hand. Begrüße diese Perfektion einer Frucht. Melde keine Zweifel an an den Angaben des Rezepts, folge diesmal jedem einzelnen Schritt grammgenau, das nimmt dir die Bürde der Entscheidung ab, und schon ist einer möglichen Verzweiflung — Ich kriege es nicht einmal mehr hin zu kochen! — der Weg abgeschnitten. Soviel kannst du noch lesen, du kannst ein Rezept verstehen, also lese, verstehe und setze um. Wenn du keinen gemahlenen Kreuzkümmel und Koriander im Hause hast, aber ungemahlenen, tue Kreuzkümmel und Koriander in einen Mörser, wenn du auch keinen Mörser hast, so ist das nicht mein Problem, ich habe einen, tue die Gewürze in den Mörser und dann mörsere sie geduldig, bis die erforderliche Feinheit erreicht ist, und füge sie anschließend feierlich dem restlichen Essen zu. Noch ist es dir möglich, nicht weinend zusammenzubrechen, wenn der Dosenöffner nur ungenügend funktioniert. Bleibe stur dran, auch wenn du dich ein zweites Mal am Fingerknöchel verletzt, absolviere so viele Anläufe wie nötig sind, um eine hinreichend große Öffnung in den Deckel der Konserve zu bekommen. Füge Kidneybohnen und Mais hinzu und pfeife darauf, dass dir von Mais schon oft schlecht geworden ist und du gerade erst einen Magen-Darm-Virus überstanden hast. Bis du in aller Gemessenheit die verwendeten Utensilien des Kochens gesäubert und weggeräumt hast, ist das Chili auch schon fertig. Achte darauf, dass du auch was davon isst.
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[Datei: plan]
Montag: Chili con carne Dienstag: panierter Blumenkohl Mittwoch: italienisches Kotelett Donnerstag: Kartoffelauflauf Freitag: Fisch in Nusshülle
Samstag: Pesto-Spaghetti mit Calamari und Chorizo
Sonntag: Hühnersuppe, Schnitzel, Petersilienkartoffeln, Gurkensalat
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Datei: recept]
(Deutsch im Original)
Pesto-Spaghetti mit Calamari und Chorizo
50 g Haselnusskerne
60 g Parmesan-Käse
1 Bund Basilikum
5 EL Olivenöl
Salz
frisch gemahlener Pfeffer
1/2 Zitrone
200 g extradicke Spaghetti
Salz
12 °Chorizo
250 g Calamari-Tuben
50 g Peppadews aus der Dose
1/2 Zitrone
Basilikumpesto zubereiten (Mixer). Nudeln kochen.
Chorizo in Scheiben, ohne Fett anbraten. Calamari in Streifen, in Chorizo-Fett anbraten. Nudeln, Chorizo, Pesto und Peppadews in der Pfanne zusammen erwärmen, mit Zitronensaft abschmecken.
Ein karelischer Fischer. Well, sagte Darius Kopp und bezahlte die zwei Flaschen Raki und fuhr ans Meer. Nicht wegen des Meers an sich — Objektiv betrachtet, sagt Doiv, ist es annoying und stinkig. Die Fische, die Schiffe. — Ich dachte, du bist am Meer aufgewachsen. — Ja, und? — , oder weil man im Notfall so gut am Strand pennen könnte. Man kann am Strand nicht gut pennen. Sie hatten auch nicht das Geringste dabei, das man dafür gut gebrauchen hätte können, noch nicht einmal einen Schlafsack, aber wozu auch. Doiv schaffte es jedes Mal, eine aus festen Materialien gebaute Unterkunft zu organisieren, für einen symbolischen Preis oder für gar nichts. Den Strand brauchte er ausschließlich zum Saufen. Nein, zum Saufen brauchte er die Gesellschaft, zur Not reicht dafür die Anwesenheit einer einzigen weiteren Person (hier und jetzt: Darius Kopp), aber besser sind mehrere, und wenn es irgendwo einen Strand gibt, werden sich die anderen Reisenden ebenfalls dort hinbegeben, um was zu tun? Richtig: saufen.
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