Er verkaufte die Fonds erst viel später, als sich Juri seiner angenommen hatte. Es wird Zeit, deine Verluste zu realisieren, alter Freund. Den Bausparvertrag auflösen, die Risikolebensversicherung. Die Person, für deren Absicherung du sie abgeschlossen hast, ist vor dir gestorben, und überhaupt. Die Zeit für die Reserven ist gekommen. Dank dieser freundschaftlichen Intervention hatte Darius Kopp zu dem Zeitpunkt, da er in Berlin losfuhr, noch etwa 20 000 Euro auf dem Konto und von weiteren 40 000 wusste er allein, wo sie sich befanden. (Aber das ist egal. Es gehört uns weiterhin: nicht. Auch wenn sich von der Firma bis zuletzt keiner darum geschert hat. Dabei haben wir es ihnen gesagt. Das heißt einem. Und der arbeitet auch nicht mehr da. Dennoch.) Auch von den 20 000 hätte man noch gut und gerne weitere 2 Jahre in der Wohnung ausharren können. Na gut, ein Jahr. Aber nein, du musstest ja losfahren. 10 an den Bestatter, 12 an die Handwerker. Macht 22. Das heißt schon jetzt: minus 2. Minus, was wir unterwegs ausgegeben haben und noch ausgeben werden. Minus die Kreditzinsen, die weiterlaufen. Wie viel das war, konnte er auf die Schnelle gar nicht ausrechnen. Und er wollte es auch nicht. Lieber wurde er wieder zornig. Auf Juri. — Der dir doch gerade erst eine Galgenfrist verschafft hat, indem er dir was geliehen hat? — Ja, aber davor hat er mich vertrieben. — Wie auch immer. 14 weitere Tage müssen mir alle noch Kredit gewähren. Solange, hat der Bestatter gesagt, wird der Transfer möglicherweise dauern. Ich muss warten, also müsst ihr es ebenfalls.
Juris Geld war 2 Tage später da. Für einen kurzen Moment juckte es Kopp, zum Bestatter» Die Hälfte jetzt, die Hälfte, wenn die Urne da ist «zu sagen, aber dann traute er sich doch nicht. Wenn ich jemanden bei mir gehabt hätte, vielleicht. Aber der Kurier Zoltán hatte die Stadt schon längst Richtung Kroatien verlassen. Hatte alles von unterwegs geregelt: Name, Adresse, Empfehlung, geh hin, er erwartet dich. Beim letzten Telefonat war das Lärmen von Menschen und Meer im Hintergrund zu hören. Wir wohnen zu siebt in einem Appartement für 6, auf einen mehr oder weniger kommt es nicht mehr an, wenn du fertig bist, komm doch auch. Man fährt nur 5 Stunden. 7, wenn man Pech hat. Mal sehen, sagte Darius Kopp.
Der Alte zählte das Geld sorgfältig. Kopp brach der Schweiß aus. Ich weiß nicht wieso, ich habe nicht damit gerechnet, dass er es zählen würde. Höchstens einen kurzen Blick daraufwerfen, wie auf ein Lösegeld. Klappe auf, Klappe zu. Bei MoneyGram haben sie Geldzählmaschinen, der Alte hingegen kann sich verzählen, und dann muss man es noch einmal machen und sicherheitshalber noch einmal. Zwei Männer, die einen Nachmittag lang immer wieder dasselbe Geld zählen… Aber der Bestatter verzählte sich nicht. Anschließend musste Kopp an so vielen Stellen unterschreiben, dass er am Ende ganz beruhigt war. Das ist alles normal. Überall auf der Welt tun das Menschen jeden Tag. Ich habe dich bestellt, was sagst du dazu? Sie schicken dich ganz normal mit der Post, was sagst du dazu? In einem neutralen, braunen Karton.
Er zog aus dem teuren (klimatisierten) Hotel in Buda in ein günstigeres in Pest um, in dem man, bis auf wenige Stunden in der zweiten Hälfte der Nacht, das Lärmen einer Einkaufsstraße hören konnte, und wenn man aus der Tür trat, hatte man den direkten Blick auf einen Souvenirladen. Hirten aus Porzellan, Puppen in Nationaltracht. Der Versuch, eine Sammlerpuppe in Nationaltracht zu verstehen. Es gibt nichts zu verstehen. Dennoch sah er sie sich an, als hätte sie etwas mit seiner Frau zu tun (sie hatte nichts mit seiner Frau zu tun), und spielte die ersten Tage jeden Morgen mit dem Gedanken, was wäre, wenn er sie kaufte.
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[Datei: apr_8]
8. Apr
Ich kann weiterhin nicht schlucken. Was ich auch in den Mund nehme, spucke ich sofort würgend wieder aus. Sogar Wasser. Habe gutes Wasser gekauft. Ein Schluck, nicht mehr. Habe einen Apfel gekauft. Da ich keine Reibe habe, wollte ich mit der welligen Schneide des Messers etwas vom Fleisch abraspeln, um das Mus im Mund halten zu können (gekauftes Apfelmus: ausgespuckt). Ich dachte, wenn ich es vielleicht braun werden lasse, wie in meiner Kindheit. Das liebte ich sehr. Es war viel Zucker drin. Heute: Kristallzucker knarzt zu sehr, und wenn ich mir den Geschmack von Puderzucker vorstelle, muss ich würgen. Warten, bis sich der Kristallzucker aufgelöst hat. Ich hatte alles geplant, und was geschah? Noch während des Schälens abgerutscht und mir in die Hand geschnitten. Der Apfel ist blutig geworden, ich habe ihn weggeworfen, saß im Schock auf dem Küchenfußboden, was ich von meiner Haut sehen konnte, war gelb wie eine Zitrone. Vielleicht müsste man an einer Zitrone lecken.
Oder Zitrone ins Wasser tun. Aber das ging auch nicht. Ich habe das saure Wasser ausgespuckt. Ich habe es mit Cola und Salzstangen versucht. Das war das Beste bis jetzt. Je ein Schluck, ein Bissen ist dringeblieben. Das, drei Wochen lang. Ich habe auch noch anderes versucht. Saft aus der Mandarinenspalte pressen, bevor man sie wieder ausspucken muss. Einen Bissen Banane einige Sekunden im Mund behalten, vielleicht löst sich etwas ab. Ich habe auch versucht, einen Schluck Vodka zu nehmen, und dann, solange die Taubheit der Mundhöhle andauert, einen Schluck Wasser drauf zu trinken. Das ging 2–3 Mal, aber ich wurde sofort betrunken, und nicht auf eine gute Weise: enges Brennen in der Brust und den Armen. Als ich zum zweiten Mal das Gefühl hatte, ich muss sterben, schleppte ich mich zum Arzt im Nachbarhaus. So kann das nicht weitergehen.
Ich habe kein Geld mehr, ich muss wieder irgendwas arbeiten gehen, aber ich kann nicht nur nichts essen, auch gehen und reden gelingt kaum. Zwei Krankenwagen mit Blaulicht fuhren auf den Gehsteig hinauf. Ich begann, mich zu wehren, das ist ein Missverständnis, ich will nicht ins Krankenhaus. Wenn sie nicht will, dann rufen wir eben die Polizei, sagte ein Sanitäter. Ein anderer hielt den Infusionsbeutel statt meiner.
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[Datei: Test]
ich bin froh und guter Laune — nie
ich fühle mich ruhig und entspannt — nie
ich fühle mich aktiv und voller Energie — nie
beim Aufwachen fühle ich mich frisch und ausgeruht — lange her mein Alltag ist voller Dinge, die mich interessieren — ab und zu
Hauptsymptome Nebensymptome
F33_-rezidivierende depressive Störung
Hamilton-Depressions-Skala
1. Gefühl der Traurigkeit, Hoffnungslosigkeit, Wertlosigkeit
Aus Verhalten erkennbar — Gesichtsausdruck, Körperhaltung,
Stimme (3 Punkte)
2. Schuldgefühle
Selbstvorwürfe, glaubt Mitmenschen enttäuscht zu haben (1)
3. Suizid
häufige Gedanken, keine konkreten Pläne; Suizidversuch in der Vergangenheit (3)
4. Einschlafstörung Regelmäßig (2)
5. Durchschlafstörung
Nächtliches Aufwachen und Aufstehen (2)
6. Schlafstörungen am Morgen
Vorzeitiges Erwachen ohne nochmaliges Einschlafen (2)
7. Arbeit und sonstige Tätigkeiten
Hat wegen Krankheit mit Arbeit, auch Hausarbeit, aufgehört (4)
8. Depressive Hemmung (Verlangsamung von Denken und Sprache; Konzentrationsschwäche, reduzierte Motorik)
Exploration schwierig (3)
9. Erregung
Händeringen, Nägelbeißen, Haareraufen, Lippenbeißen etc. (4)
10. Angst — psychisch
Besorgte Grundhaltung, erkennbar an Gesichtsausdruck und Sprechweise (3)
11. Angst — somatisch
(Mundtrockenheit, Durchfall, Herzklopfen, Kopfschmerzen, Hyperventilation, Schwitzen) Starke (3)
12. Körperliche Symptome — gastrointestinal keine normale Essensaufnahme möglich (3)
13. Körperliche Symptome — allgemein
Schweregefühl in Gliedern, Rücken oder Kopf, Rücken-, Kopf- und Muskelschmerzen, Verlust der Tatkraft, Erschöpfbarkeit (1)
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