In der zweiten Woche probierte er aus, wie es war, überhaupt nicht online zu gehen. Hätte jemand angerufen, wäre er rangegangen. Aber es rief niemand an. Es ging dort weiter, wo es aufgehört hatte: als wäre ich vom Netz genommen.
Ich habe geträumt, ich bin ein sommersprossiges Mädchen, eine gewisse Krisztina. Meine Mutter ist tot, mein Vater ist der Architekt, der die Majolika-Statuen aufgestellt hat. Ich bin verliebt in ihn und er auch in mich, aber da das nicht sein darf, tue ich mich mit einem Sadisten zusammen. Wir wohnen in einer Ruine und nehmen den ganzen Tag Drogen, bis unsere Zähne ganz schwarz werden. Mit 18 Jahren sterbe ich, und mein Vater sagt: Man konnte ihr nicht helfen. Tatsächlich nicht.
Von nun an ist das mein geheimer Name: Krisztina.
Ich habe geträumt, Mutter wickelt mir die Nabelschnur um den Hals und wirbelt mich in der Luft herum. Die anderen sitzen drumherum und lachen.
Ich stehe in der Mitte eines Kreises, meine Schulkameradinnen aus dem Gymnasium stehen um mich herum und bewerfen mich mit Eisenkugeln, wie man sie beim Kugelstoßen benutzt. Sie versuchen, meinen Kopf zu treffen. Mutter feuert sie an.
Ich habe geträumt, Krisztina steht auf einer kleinen Brücke und schaut zu, wie der Wind das gefallene Laub auf dem Ufer umwälzt. So, wie ein Mensch glücklich sein kann, während er weiß, dass das am Ende nicht helfen wird. Wie das Morphium, aber sterben werde ich trotzdem.
Ich träumte, ich wäre aus einem Irrenhaus geflohen. Die Anstalt ist in einem dichten, deutschen Wald. Ein halb verfallenes Schloss. Ich fliehe vor einem Mann im weißen Kittel, der mich brüllend sucht und mich umbringen wird, wenn er mich findet. Ich seile mich mit einem großen, roten Tuch von einem runden Balkon ab. Die Wut des Mannes brüllt mir nach. Ich weiß, ich habe Sympathisanten, Helfer, aber ich sehe sie nicht. Ich höre sie aber rufen, sie schreien durcheinander:
Lauf! Lauf in den Wald! Da findet er dich nicht! Verlasse das Land!
Ich laufe durch einen großen, großen Wald. Er ist so groß wie die Wälder hier sein mussten vor 1000 Jahren. Ein Tannenwald. Er ist schön und er erfreut mich, und gleichzeitig schaudert es mich auch. Als ich rauskomme, stehe ich an einer asphaltierten Straße, ein Ortsschild steht rechts, grau-gelb. Ein unbekannter, fremder Name. Ist das Dänemark? frage ich. Ja. Ich bin glücklich. Ich war noch nie so glücklich.
Ich träume von einem großen, weißen Haus. Wo Stille herrscht. Wo eine dunkle Frau leise hin und her geht und mit den Fingerspitzen sanft über mein Gesicht streicht. Wo keiner etwas sagt. -- Und dann komme ich dahinter: das ist ein Irrenhaus. Am Ende meines Wegs stehen große, weiße Irren-Häuser.
Ich bin wahnsinnig geworden, ich schreie. Mama und T sind bei mir. Mama bittet mich, ich möge aus meinen Gedichten vorlesen. Das zerfledderte, gelbe Heft, das ich verloren habe. Jetzt freue ich mich, dass es doch wieder da ist. Aber als ich es öffne, stehen nur Bruchstücke und Kauderwelsch darin. Ich lese dennoch vor. Es hört sich an wie das Geschrei einer Wahnsinnigen.
Eine freundliche, blonde, breitgesichtige Frau mit Brille und sehr grünen Augen, sieht aus wie aus einem softgefilterten Film, eine Stasi-Offizierin, erklärt mir, dass sie einverstanden sei mit der Einkerkerung und Hinrichtung von Menschen wie mir, es täte ihr bloß leid, dass die Haft meist mit Schmerzen verbunden sei. Ich weiß, dass mich genau das erwartet. Ich fliehe. Es ist heißer Sommer auf der Straße. Ich flüchte mit dem Taxi, sie verfolgt mich. Ich will an den Rand der Stadt, wo es eingefallene Häuser und feuchte Keller gibt. Dort werde ich mich verstecken können.
Sie werfen mich von der Uni. Die Entscheidung sei schon gefallen, informiert mich ein väterlicher dicker Mann. Aber um mich herum sind nicht die Kommilitonen von der Uni, sondern die Klassenlehrerin und die Klassenkameraden aus dem Gymnasium. Außer der Klassenlehrerin, die mir mitteilt, dass ich unhaltbar sei, spricht keiner mit mir.
Ich zerschlage in der 16 alles, was nicht bruchsicher ist. Teller, den Tisch, sogar meine geliebte Schwanenhalslampe, die Palme, Bücher, die Vase, und ich lache dabei. Nur manchmal muss ich gegen Skrupel kämpfen. Ich werde alle früheren Fotos von mir vernichten. Ich muss mich neu erfinden, wie eine literarische Figur.
Wieder einmal stand ich im Traum an einer Straße, oben auf einem Damm. Die Gegend war mir unbekannt. Graue Industrielandschaft, staubige Straße. Ich bin auf der Flucht, weg von M. Ich versuche, Autos anzuhalten, es kommen aber nur Linienbusse und Krankenwagen. Immer wieder stehe ich im Traum an einer Straße, um zu flüchten.
Im Haus meiner Großmutter, in der Nacht. Mutter weckt mich barsch. Sie schleppen mich in einen Raum mit alten Dielen. Ich habe Lumpen an. Im fast vollkommen dunklen Raum steht ein Eimer mit schmutzigem Seifenwasser. Mutter stößt mich, ich falle auf die Knie. Es vergehen Stunden, in denen ich angeschrien werde und die Dielen schrubben muss. Manchmal schreien sie beide: Mama und Großmutter. Dann bin ich, völlig erschöpft, es ist schon wieder hell, in einem anderen Raum. Ich bin eingesperrt. Mit meinen Lumpen kann ich sowieso nur schwer auf die Straße. Ich finde eine alte, zerrissene Tasche, und obwohl ich nichts habe, das ich hineinpacken könnte, nehme ich sie mir. Ich werde aus dem Fenster klettern.
Ein Laufwettbewerb in einem Stadion. Aus irgendeinem Grund wird die Verordnung erbracht, die italienischen Läufer müssten mit schweren Gewichten in den Händen laufen. Ich stehe an der Ziellinie und sehe, wie sie sich weinend, mit den Gewichten in der Hand, über die Runden quälen. Sie wären, ohne diese Gewichte, sichere Sieger. Ich sehe, wie sie an Körper und Seele leiden, ihre Demütigung, ich stehe an der Ziellinie und weine bitterlich, denn ich kann nichts gegen diese Grausamkeit tun.
Mir ist, als ob einer der Italiener trotz der Gewichte 3. geworden ist.
Als er weinend auf dem Treppchen steht, sage ich zu ihm: Töte sie! Erschlage sie mit deinen Gewichten.
Ich wohne in einer fremden Wohnung in einer unbekannten Stadt. Es ist Nacht, ich liege im Bett. Jemand bricht in die Whg ein — eine große Frau in einem langen Mantel. Sie hat ein blitzendes Messer in der Hand. Und trotzdem schießt sie auf mich. Eine Kugel bleibt in meiner linken Hüfte stecken, eine andere in der rechten Schulter. Ich verspüre keinen Schmerz, nur die Schwere der Kugel in der Hüfte, und ich wundere mich: warum schießt diese Frau auf mich. Sie stellt die Whg auf den Kopf. Wir sprechen beide nicht. Dann ist sie weg, und ich erfahre, dass sie nach 120 000 Ft in einem Umschlag gesucht hat. Auch dieser gehört mir nicht. Wieso musste sie mich deswegen verwunden?
Bevor die dritte Woche begann, wurde seine Unruhe zu groß. Floras Zustand war unverändert. Sie saß im Liegestuhl und sonst nichts. Am Abend stand sie auf, schleppte sich ins Haus — Dieses Gehen wie durch meterhohen Kies, es sieht so unwirklich aus, also tust du so, als wäre es wirklich nicht da —, legte sich aufs Bett und schlief.
Ich muss wieder in die Stadt, sagte Kopp. Ich muss das Büro kündigen und alles.
Ein Kopfnicken wie ein Schulterzucken.
Keiner hatte Kopp gesagt, was er mit dem Büro und den darin befindlichen Sachen machen sollte, aber wozu auch, es war ja klar. Gemietet hatte er seine 12 qm bei einer vor Übergewicht schnaufenden Alten namens Frau Vette, die Kündigung übernahm nun eine gut aussehende Junge namens Dr. Raubein. Sie war äußerst gut gelaunt, ihre Zähne eine Reihe Perlen: Ah, Sie wollen kündigen! Und Darius Kopp konnte nicht anders, als ebenfalls zu lächeln und eifrig zu nicken: Ja, ja, so ist es!
Frau Doktor Raubeins Aussehen und Art hoben für eine kurze Zeit Darius Kopps Laune. Als er sein Büro betrat, war es damit wieder vorbei. Stand an der Schwelle, sah es sich an.
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