You have a girlfriend? brüllte Kopp ins Ohr seines Fahrers.
No! brüllte Zoltan zurück und fuhr fort, Schlangenlinien über Straßenbahnschienen zu zeichnen. Ab und zu kam ein Auto, dann fuhr er etwas moderater — engere Schlangenlinien. Er hat im Grunde soviel Glück, wie er in seiner Situation haben kann, dachte Kopp, warum habe ich dennoch das Gefühl, er laviert ganz nah am Abgrund? Weil es so ist. Weil er Glück braucht, sonst wäre alles vorbei. Es müsste nur an irgendeiner Stelle diese Konstellation aufbrechen, zum Beispiel könnte die Maschine anfangen, altersbedingte Macken zu bekommen, und schon fiele alles auseinander. Er müsste weniger trinken, um Geld für die Reparaturen oder eine neue Maschine übrig zu haben. Gewiss würde er die alte Maschine ganz lange Zeit reparieren lassen, denn ein anderes Mofa ist wie ein fremder Herd, nichts gelingt mehr, oder, sprich über etwas, wovon du etwas verstehst, wie ein fremder Computer, oder es kommt eine Umweltverordnung, und er muss umsteigen, und schon läuft es nicht mehr rund.
Voilà Monsieur, sagte Zoltán.
Der Hotelpage musterte sie nicht gerade hocherfreut, wie sie mit der knatternden Möhre auf der eleganten Auffahrt standen. Wie lange bist du noch in der Stadt?
Ich weiß nicht genau. Der Bestatter hat mir 2 Wochen gegeben. Bis dahin muss ich mich entschieden haben, sonst lässt er die Urne zwangsweise bestatten.
Warum gibt er sie dir nicht einfach?
Das ist nicht erlaubt.
Lass sie dir doch hierherschicken.
Kopp sah den betrunkenen Kurier aus großen Augen an. Der Page schaute beide aus großen Augen an, aber nur, weil sie da standen. Von der Unterhaltung wird er wegen des unter dem Vordach widerhallenden Motorenlärms nichts verstanden haben.
Ist es hier erlaubt, die Urne selbst zu bestatten?
Keine Ahnung, sagte Zoltan. Aber hier ist alles Mögliche möglich. Wir sind schließlich keine Deutschen, understand?
Zoltán gab Kopp seine Karte, für den Fall der Fälle, und düste mit einer Extraportion Abgas unter die hohe Nase des Pagen davon.
Eine Restnacht ohne Schlaf in einem schlafwagengroßen Hotelzimmer. Um 5 beschloss Kopp, bis 10 zu warten, bevor er Zoltán anrief, aber dann rief er ihn schon kurz nach 9 an.
Meldet sich nicht.
Darius Kopp im fürstlichen Frühstückssaal, mit Blick auf die in der Sonne glitzernde Donau. Ich kann meinen Hunger nicht stillen. In der Sonne glitzernde Donau, schnell auskühlendes Rührei, das Wasser ist graugrün, aber es schwimmen keine sichtbaren Öllachen mehr vorbei, die braunen Fetzen in der Elbe, der bläuliche Schlick am Ufer, einmal bin ich bis zum Knöchel eingesunken, der Geruch der Kaffeerösterei, wir hatten eine Kaffeerösterei, das mochte ich, hier und jetzt schnell kalt werdender Kaffee in Tassen, schnell kalt werdender gebratener Speck, kann meinen Hunger nicht stillen, die Donau glitzert im Sonnenschein, was soll ich nur tun, was soll ich nur tun.
Schließlich schluckte Darius Kopp mit trockenem Mund und rief den Bestatter in Berlin an.
Hier ist Darius Kopp. Ich habe den Friedhof in Budapest gefunden, auf dem ich meine Frau beerdigen möchte.
Der Bestatter redet ungeheuer langsam. Ungeheuer. Langsam. So ein Zwangsberuhigter. Von dem habe ich dieses Wort gelernt? Nicht von dir, diesmal. Erklärt alles so laaaaaangsam — Wo hast du nur diesen Typen aufgetan? Nirgendwo. Ich bin einfach auf die andere Straßenseite gegangen. Da stand» Ein Juwel von einem Menschen «im Schaufenster. Ich habe erst sehr viel später begriffen, was das sollte — so laaaaangsam und umständlich.
Gut, gut, sagte Darius Kopp. Sie schicken die Urne also an einen Partner. Und würden Sie sie auch an einen schicken, den ich selbst ausgesucht habe?
Selbst-ver-ständ-l.
Gut! sagte Kopp so unschnell und unbarsch, wie es ihm nur irgend möglich war. Ich habe da nämlich schon jemanden. Ich sage ihm sofort, dass er sich bei Ihnen melden soll.
So schnell und so langsam wie möglich auflegen.
Als Nächstes klingelte er so lange bei Zoltán, bis dieser endlich ans Telefon ging.
Kannst du mir einen guten Bestatter empfehlen? Ich meine: nicht einen guten. Einen, der mir helfen kann.
Zoltán kannte nur den, der seinen Vater beerdigt hat. Und, würde der das machen? Das wusste Zoltán nicht. Würdest du ihn für mich fragen?
Klar, sagte Zoltán mit einer Ruhe und Selbstverständlichkeit, dass Darius Kopps erleichterter Seufzer im ganzen Frühstückssaal zu hören war.
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[Datei: 8_hete]
Ich sage ihnen, dass ich mich schon seit 8 Wochen erbreche. Ich kann nicht einmal mehr Wasser bei mir behalten. Es ist wie Schaum, wenn es wieder hochkommt. Wenn das Gel gegen das Sodbrennen auf dem Weg nach draußen in deinem Hals stecken bleibt und du denkst, ersticken zu müssen. Ich sage ihnen, ich habe genug davon. Ich sage ihnen, ich habe kein Geld, ich habe niemanden. Ich drohe mit Selbstmord. Im Sinne des Paragraphen 128 ist das, was ich möchte, verboten, jedoch straffrei.
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[Datei: mozgatom]
Ich bewege diesen Körper. Er ist fern, innerhalb meiner selbst bin ich sehr klein. Ich wohne irgendwo in meinem Kopf. Auch innerhalb meines Kopfes bin ich sehr klein. Ich habe mich auf einen winzigen Platz konzentriert, ich bin fern von dieser Hülle, ein winziger Geist, aus der Ferne beobachte ich. Und so lange ich auch beobachte, ich werde nicht klüger. Ein verschlossener Fremder bin ich für mich selbst.
Manchmal träume ich von einem Text. Es kostet mich große Mühe, ihm nahe genug zu kommen, dass ich ihn überhaupt entziffern kann. Schöne Worte, sehr alltäglich, zum größten Teil modifizierte Bindewörter. Der Text ist nur für wenige Sekunden nah genug. Ich schnappe bereits in der Erinnerung nach den Worten. Sobald ich aufgewacht bin, aber vielleicht auch schon im Traum, habe ich sie vergessen. Die wunderschönen Worte ergeben keinen Sinn. Manchmal komme ich ganz weit in dem Text, dennoch ergibt sich kein Sinn. Vielleicht ist er kodiert. Ich möchte ihn einmal knacken. Mit wacher Logik das Ende eines Traums suchen.
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[Datei: almok]
Ich habe geträumt, hinter dem hinteren Zimmer sind noch drei, die ich bis jetzt nur nicht entdeckt habe. Sie sind heruntergekommen, mit abgeschabten blauen und roten Wänden, dennoch sind sie anheimelnd. Mein Herz klopft heftig vor Freude. Durch ein Fenster kann man auf einen Innenhof schauen. In der Mitte steht ein Nussbaum, auf der Erde darunter gefallene Nüsse. Eine jede hat ein weißes Mützchen aus Dezember- Raureif auf. Ich bin glücklich.
Ich habe geträumt, ich wohne mit J in einem ruinösen Zimmer. Wir sitzen auf einem Krankenhausbett und nehmen Drogen. J hat rötliche Haare, seine Sommersprossen leuchten. Sein Zahnfleisch blutet. Jeder seiner Zähne sitzt in einem blutigen Kelch. Mich selbst sehe ich nicht, aber ich spüre, dass mein Gesicht und mein Haar schmutzig sind. Das Bett klebt vor Sperma, und wir sind beide sehr mager. Ich spüre, als Nächstes werden wir sterben. Das macht mich sehr wütend. Er ist schuld an allem! Ich weiß, er plant als Nächstes, mich zu erstechen, weil ich das herausgefunden habe. Wir treffen auf einem Meeresstrand aufeinander. Wasser, Himmel, Sand sind grau. Er hat 10 Messer bei sich, ich kann es nicht sehen, aber ich weiß es. Ich bin waffenlos, aber 3 meiner Freundinnen sitzen unweit von uns im flachen Wasser. Erst greift er mich mit einem stumpfen Aluminiummesser mit runder Spitze an. Er verwundet mich am Bein. Dann verletzt er mich mit einem scharfen, spitzen Pizzamesser am Hals. Ich nehme ihm das Messer weg und werfe es den Mädels zu. Er stürzt hinterher, fällt hin, die Mädchen töten ihn mit zwei Stichen in den Hals und in den Rücken. Ich feuere eine Zögernde an: Stich zu, keiner von uns wird es verraten. Ich selbst steche nicht zu. J geht im Wasser unter. Später ist er wieder da, zwei Messer ragen aus ihm heraus, er hat den Polizeichef bei sich. Ich denke daran, dass ich nicht zugestochen habe, und grinse, aber ich spüre bereits die Panik der Ertappten.
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