#
[Datei: jan_5_a_romlás]
5. Jan
M kriegt schon eine Glatze und er hat einen sehr kleinen Schwanz, aber er kann mit ihm umgehen. Er hasst die Ausländer, die Wessies und die Frauen. Er mag das Spiel» und du kannst nichts machen«. Erkennst du ein Muster? Durchaus, aber es ist egal. Egal, wirklich. Die Blumen des Bösen. Ich studiere sie, als müsste ich für etwas trainieren.
#
[Datei: jan_6_vedd_eszre]
6. Jan
Erkenne gefälligst, dass das dieselben Lehren sind, wie immer schon. Ehrlich: hat es sich gelohnt wegzugehen, wenn du dich weiter so verhältst, als wärst du immer noch dort?
Einmal hat jemand über mich gesagt:»vollkommen asozial«. Sie hatte recht, aber der Witz ist, dass sie das nicht wusste. Sie hat es nämlich nicht darüber gesagt, worüber es angemessen gewesen wäre, dass ich nämlich mit einem Lehrer ins Bett ging (und es im Übrigen mit jedem anderen getan hätte, hätte er mich nur gefragt), sondern darüber, dass ich schweigsam war, aber mein Gesicht nicht kontrollierte: wenn ich nicht einverstanden war mit etwas, konnte man es mir ansehen. Was, natürlich, der Blasphemie gleichkommt in einer auf Gehorsam aufbauenden Gesellschaft. Wenn man das bedenkt, wird es klar, wieso ich denke, M sei nur ein Spiel. Und in diesem Spiel bestimmt der, der sich unterwirft.
#
[Datei: in_memoriam_m]
Im Schneefall eine Dreiviertelstunde auf die Zelle gewartet, und dann war er nicht da. Einmal habe ich 7 Stunden auf jemanden gewartet, wenn auch nicht im Schnee, sondern neben einer Portierskabine.
Mädchen, man hat Sie vergessen.
Hast du denn keinen Funken Selbstachtung?
Schmeckt scheiße, sagt er und haut rein, rülpst und furzt, dann
nimmt er mich ran, damit macht er's wieder gut.
Du liegst da wie ein verletztes Tier, sagt er kosend. Deine Fotze ist
schön eng, nicht so wie bei X.
Im Übrigen wünsche ich nicht, dass du mich in der Öffentlichkeit anfasst. Contenance, meine Liebe, ein wenig Contenance. Einer muss die Richtung vorgeben, und das ist der Ältere und Erfahrenere.
Gebier mir ein Kind, bevor ich zu alt dafür bin. Auch du wirst nicht ewig jung sein. 23 ist grad noch gut genug.
Wozu darüber reden? Jeder hat mal eine demütigende Beziehung. So ist das Leben. Am Ende schmiss er mich raus. Manchmal habe ich dich sogar geliebt, sagte er, als übergäbe er ein Geschenk. Ich sagte kein Wort.
Auf dem Nachhauseweg verfolgte mich ein Mann auf einem Fahrrad. Ich trug noch die Strapse, sie lugten unter dem Rock hervor. Da konnte ich nicht mehr, ich weinte auf offener Straße. Lassen Sie mich in Ruhe, Sie Pudel! Wirklich: Pudel! Weil er mir so hinterherlief. Eine in der Aufmachung einer Privathure steht auf der Straße und weint. Der Mann lachte und radelte davon. Einmal hat man mich aus einem Feuerwehrwagen mit Bier bespritzt. Ich stand nur da. Später fing ich an, nach der Nummer der Beschwerdestelle zu suchen. Dann gab ich es auf. Man würde mir sowieso nicht glauben.
Sie unterhielten sich fröhlich, das heißt, der eine, der einen Kurierrucksack bei sich hatte, redete fröhlich. Der andere, der eine Taschenlampe und ein Poloshirt trug, auf dem stand, dass er Mitarbeiter eines Sicherheitsdienstes sei, sagte nichts. Immerhin sah er nicht grimmig aus. Weder grimmig noch fröhlich.
Hi, sagte Kopp, als wäre er siebzehn.
Hi, sagte der Kurierrucksack.
Er redete und lachte die ganze Zeit, während sie auf das Haupttor zugingen. Der Friedhofswächter öffnete die Tür und winkte ihnen nach, wobei es eher wie ein Abwinken aussah.
Der Mensch mit dem Kurierrucksack wandte sich an Kopp.
Iszunk egy sört? Ich verstehe nicht. English?
Sein Name war Zoltan. Kopp verstand: Sultan.
Want a beer? Ganz in der Nähe sei eine gute Kneipe, genannt» Der Wolf mit dem buschigen Schwanz«. So etwas nennt man eine Spiegelübersetzung. Du musst trinken ein Bier, wenn du warst eingeschlossen zusammen in einem Friedhof…
Und? Was machst du hier, in Budapest? Kopp zuckte die Achseln. You don't know?… Just looking around? Ja, ich schau mich nur um.
Das erste Bier war großartig, das zweite richtete in Darius Kopps leeren Magen bereits Sachen an. Kann man hier auch essen?
Ja, aber nicht so gut. Zoltán empfahl einen nicht schlechten Pizzaladen nur wenige Straßen entfernt. Komm, ich bring dich hin.
Der Kurierrucksackträger war wirklich ein Kurier. Sein Mofa stand vor der Kneipe. Kopp ließ den ihm zugeworfenen Zweithelm beinahe fallen. Der Kinngurt war sehr kurz gestellt. Das letzte Mal hat ihn ein Mädchen getragen. Das Mofa ging unter Kopps Gewicht in die Knie, sie schlingerten beim Anfahren, Kopp wollte sich nicht am Kurier festhalten, schnappte nach einer anderen Möglichkeit irgendwo an der Maschine, während sie schon längst fuhren, fand nichts, krallte sich schließlich an den Seiten des Sitzes fest, und dann waren sie auch schon angekommen.
Kopp nahm eine Salami-Peperoni-Pizza, Zoltan irgendwas mit Pilzen.
Und du bist also Kurier?
Ja.
Seit wann machst du das?
Seit 7 Jahren. Gelernt habe ich Lehrer, geworden bin ich Schriftsteller, aber es ist besser, Kurier zu sein. Ist es wirklich besser?
Zoltan lachte. Nein, nicht wirklich. Das Leben ist, wie wir in Ungarn sagen, eine stinkende Hure, she always fucked me, aber nicht schreiben zu müssen ist gut.
Was ist so schlimm am Schreiben?
Nichts. Außer, dass ich es nicht konnte.
Warum er nicht wieder Lehrer geworden sei.
Weil ich das auch nicht konnte. Ich habe das studiert, aber in Wahrheit wollte ich nie einer sein. You know, als ich mein Referendariat gemacht habe, habe ich mich jeden Tag, jede Minute gefragt: wie halten die das aus? Wie halten es die Lehrer aus, wie halten es die Kinder aus? Keine Ahnung. Wirklich. Ich kann mir das nicht vorstellen. Die Kinder haben ja kaum eine andere Wahl. Und später, wenn sie erwachsen geworden sind, hat man ihnen schon beigebracht, was ein anständiger Mensch aushält. Oder er glaubt, das sei sein Schicksal. Aber das ist nicht Schicksal. Schicksal ist, ob du zum Beispiel bei einem Verkehrsunfall umkommen wirst oder nicht. Ich hatte noch nie einen Unfall. Ich kannte einen Typen, der hatte zwei. Wer zwei hatte, hat auch einen dritten, und, was soll ich dir sagen (what can I say), daran ist er dann gestorben. Gar nicht lange her.
Er ist betrunken, stellte Kopp fest. Der Motorradkurier ist betrunken und wird immer betrunkener. Jetzt nimmt er auch noch aus seiner Kuriertasche heimlich eine Flasche und zieht daran. Zwinkert mir zu. Hat sich dafür entschieden, ein Desperado zu sein. Kann man sich dafür entscheiden? (Und: könnte ich tun, was er tut? Konkret: nein. Ermangelst Orts- und Sprachkenntnisse könnte Kopp nichts davon tun, was dieser Sultan jeden Tag tut. Auch Barkeeper könnte ich hier nicht werden. Ich könnte nur auf sogenannten leitenden Ebenen tätig sein, wo es reicht, nur Englisch zu können. Glaubst du doch selber nicht.)
Why are you here? fragte Zoltan noch einmal. Lässt nicht locker. Will nicht nur das Gespräch nicht abreißen lassen, er will etwas erfahren. Und schließlich ist es ja auch kein Geheimnis.
Meine Frau, sagt Darius Kopp. Sie war Ungarin. Sie ist gestorben. Ich suche nach einem Ort, an dem ich sie beerdigen kann.
Sie wollte in Ungarn beerdigt werden?
Nein. Das heißt, ich weiß es nicht.
Ich war grad bei meinem Vater. He was an asshole. Hat mich verlassen, als ich drei oder so war. Sich nie für mich interessiert. Aber das Gesetz sagt, spätestens wenn er tot ist und kein anderer will's machen, bin ich verantwortlich für ihn. Aber das hätte ich sowieso getan. Ich bin kein Arschloch. Jetzt liegt er da, und ich kann nicht anders, als ihn immer wieder zu besuchen. Dabei ist selbst sein Grab hässlich.
Читать дальше