Und da fällt ihm ein, dass er Geld ziehen muss. Obwohl er ja warten muss, bis der große Protestmarsch vorbei ist, wenn er es an die Frau bringen will. Also bevor er wieder an und in und bei den Objekten, Wohnungen und Clubs klingeln kann. TOCK TOCK. Jemand zu Hause? Auf was für Ideen die Hurengewerkschaft manchmal kommt . Wir müssen den Bürgern zeigen, dass wir in ihrer Mitte sind! Er wühlt in seinen Taschen rum. Er sieht die Schlange der Taxen unterhalb des Marktes. Er sieht die riesige wankende Gestalt hinter den Häusern, dann auf dem Boulevard, dann wieder hinter den Häusern. Wohin gehst du? Und da steht er plötzlich vor dem kleinen Stand mit den Holzfiguren. Weil heute Markttag ist. Naschmarkt, Neumarkt, Zentralmarkt. Im Sekundenschlaf rotieren die Bilder vor seinen Augen, hinter seinen Augenlidern. Und da steht er wieder Gewehr bei Fuß. Was für ein Stuss, rufen ihm die Taxifahrer zu, die Stadt wird noch versinken!
Sie müssen das Donnern und Rumpeln unter seinen Füßen meinen, der Bohrer gräbt. Ecki will Geld ziehen, der Automat hat immer recht. Und immer mehr Löcher im Schweizer Käse unter der Stadt. Da gibt’s den Nachtzug nach Zürich . Vielleicht trinken wir noch ’ne Kanne, dann steigen wir zu.
Und am Mittwoch gibt’s den Kurzen und den Obstler im» Eisenbahner «für halbiert. Ist aber nicht Mittwoch. Ist auch gut so, denn zu einem Körper gehört auch ein Geist. ( Heinrich Geist, sagt Bernd, der mal Deutschlehrer war, Himbeer Kleist. Wird aber kein Lacher. Kapiert auch keiner, nichtmal Reiner.)
Riesenkörper und halbierte Kurze kennt der Ecki gut, denn er ist achtundvierzig, und die LB finanziert das Beben unter seinen Füßen ( mit zumindest), und die Personalabteilung bringt die Buchhaltung auf Trab, und alle rennen, und der Außendienst rennt, und die Chefetagen diskutieren über die Farne und die Objekte, in denen die Frauen erschöpft liegen, weil das Wochenende vorbei ist und weil die Hurengewerkschaft für die Modifizierung des Prostitutionsgesetzes demonstriert, Ja, was hat das eigentlich mit uns zu tun? , und Ecki rennt und rennt durch die Ebenen, in denen die neueste Kunst hängt, da bleibt er kurz stehen vor den Bildern, bevor er weiterrennt, Riesenfarne streicheln seine Schultern, er schaut in die Glut und in den Abend, und dann rennt er weiter durch die Flure, wie waidwund. Zu Hause muss er sich die Käsefüße wegduschen, vor allem am Donnerstag. Elektronen werden auf ein Molekül geworfen, das führt zur Oxidation. Wenn’s wenigstens kühl wäre, das Molekül, Neutrinos durchdringen Körper und Stein, Ecki blättert in der Kantine im neuen» Geo-Magazin«. Seine Pornosammlung hat er verkauft, wem soll er das denn vererben.
Also ich werde jetzt … sechsundvierzig in diesem Jahr. Ich bin Angestellter in einer Versicherungsgesellschaft.
Ich hab keine Kinder, und an und für sich, mit meiner Frau hat das nichts zu tun. Ja, ich bin geschieden, nein, Büroarbeit würde ich das jetzt nicht unbedingt nennen. Ja, ich habe so einiges gemacht nach der Wende, weil …, also dass ich jetzt mit meiner Freundin nicht verheiratet bin, scheint ja eh jeder zu wissen. In der Kantine und im» Eisenbahner«. Ja, was die so erzählen hinter meinem Rücken, ist mir auch egal. Ich bin da immer offen gewesen, auch wenn sie das nicht weiß. Theoretisch wär’s möglich, da ich ja geschieden bin. Ich habe mal in einer großen Chemiebude gearbeitet, ja, hier in der Stadt, Galvanisierung und so, schlecht für die Lunge. Deswegen rauche ich auch nicht mehr. Wo das war, da ist jetzt ’n Puff drin. Also was da von dem Werk noch übrig ist. Ist nur ein Haus. Obwohl, Puff würde ich jetzt nicht sagen, weil das ist ein prima Club. Wenn ich da an der Bar sitze, kriege ich sofort mein Stamm-Getränk. Und dann kommt auch schonmal der Chef, und wir schwatzen so dies und das. Wenn er Zeit hat. Hat meistens viel zu tun. Ich auch, wenn ich dort bin. Man sagt das eben so, meine Frau, deine Frau , auch wenn man nicht verheiratet ist. Und mit Kindern, also mit einem Kind, hätt ich an und für sich kein Problem. Mit achtunddreißig ist das ja heute keine große Sache mehr. Für ’ne Frau. Der Anthony Quinn hat ja mit fast achtzig noch, hab ich vor ’ner Weile mal gelesen. Lebt der eigentlich noch? Und, na klar will sie. Und da hat man schon auch noch Träume nach all den Jahren. Und die Sache ist doch die … Warum erzähle ich das eigentlich?
Ecki steht auf dem Naschmarkt im Schneematsch und führt Selbstgespräche. Eins sieben drei null auf der Digitalanzeige. Warum die da weiterbohren? Muss doch noch kälter sein da unten. Und Mister Orpheus führt den Bohrer immer tiefer in den Stein. Da stößt man auf schwarzen Granit, hat ihm mal jemand gesagt. Deswegen dauert das so lange. Und dass die da unten in immer tiefere Schichten dringen. Deswegen die Farne. Ja komisch, wo doch noch Winter ist. Und dass die da auf die alten Straßen und Gassen und Viertel stoßen. Weil das ein guter Nährboden war. Und ist. Das Kupfergässchen, die Ulrichsgasse, die Münzgasse. Dort haben sie im Untergrund ein fast schon versteinertes Holzschild gefunden.»Leichenbrett«. Was für ein bescheuerter Name für ein Bordell. Woher weißt’n das, Ecki?
Jaaa, das würdet ihr gerne wissen!
Der Chef der alten Bude, also wo jetzt die neue Bude drin ist, also der Chef vom Nachtclub, der hat ihm davon erzählt, weil der das Schild unter der Hand gekauft hat. Beziehungen. Und er hat’s dann wohl dem Alten vom Berge geschenkt. Alles ohne Gewähr. Und ohne Gewehr. Wobei ja im Moment zwischen den großen runden und dreieckigen Blättern der Farne, die sich um die Fassaden winden, alle möglichen Gesichter erscheinen. Macht euch zurück in euren Dschungel! Es wachsen zwei Königsfarne, erzählen die Leute, Osmunda regalis , bis hoch über die Dächer der Stadt. Einer draußen am See, neben einer Villa in Ufernähe, man kann die Berge von dort aus sehen, der zweite nördlich des Zentralbahnhofs. Dort, wo die Frauen in den Spiegeln warten.
Da dröhnt es ihm vom Wochenmarkt her in den Ohren, WURST KÄSE KÄSE, das echot zwischen den Portalen des Zentralbahnhofs, DER LEBT NOCH, SO FRISCH IST DER, direkt aus dem Herzen der Meere, dabei ist der Zentralbahnhof ungefähr eintausend Meter vom Wochenmarkt entfernt. Da will Ecki nochmal nachmessen, Schritt für Schritt, weil das nicht stimmen kann. Hand im Schritt. Weiter, viel weiter noch . Und Ecki kauft eins von den Figürchen am Holzfigürchen-Stand, für seine Frau nämlich, die noch nicht richtig seine Frau ist, also vorm Gesetz, wie man so sagt. An ihm liegt’s nicht. An ihr auch nicht, denn Ecki lebt allein.
Da drängt sich ihm die Stadt auf mit Zeitverzögerung. Grau. Rosa. Give me pink! Er hört Musik von weit, weit … irgendwo, Sexkantine, sieht in einer Schaufensterscheibe seinen eigenen Tod, also das ist mir jetzt wirklich zu billig , ein Haus aus Glas, Mode — Modernes Antiquariat — Lecker Pizza — Bäcker Boy — Boyzone — Mode — Moderne Küchen — Kittchen Club — Sven’s Super Döner — Süßsauer — Glaswaren — Teppich Mekka — Crossover Laden — Mäc-Geiz — Burgerking — Bürgeramt Talstraße — King Kong — Männer Moden. Ecki liest» Männer Hoden«. Ding Dong. Jaaa? It’s blowtime!
Was ich sagen will, dass sexuell gesehen, also an und für sich, ich eigentlich ausgelastet bin. Ich meine, mit sechsundvierzig, da hat man ja schon dieses und jenes …, nichts Unmenschliches ist mir gedanklich nahe. Nee. Die einen erzählen bei den Huren, dass sie alleine sind, ich erzähl, dass ich ’ne Frau hab. Na ja, eigentlich ist sie noch nicht richtig meine Frau, ist nur ’n Verlobungsring. Galeria Kaufhof. Da treibt es ihn aus der Würfelrunde im» Toten Eisenbahner «ins MEKKA DER PORNOGRAPHIE, die Eins kommt doch , und weiter, viel weiter noch, Frank schreibt mit, wer fängt an? reich mal die Kanne rüber. Ecki schleicht durch den Schneematsch. Holz hält Hände fest. Ecki streichelt das Figürchen. Ecki weiß nicht, was ihn jetzt weitertreibt, zu Hause isses kalt und leer, beziehungsweise will es auch gar nicht wissen, beziehungsweise ist Beziehungsscheiße , steht hinterm Zentralbahnhof vor der» Sexworld«, die später» Club der Engel «heißen wird, und sieht die Frauen in den Spiegeln warten, der Riesenfarn wirft Schatten, weil der Mond schon aufgegangen ist, da bewegt sich plötzlich alles anders in den weißen Nebeln, er denkt, er fühlt sich, als würde er geometrisch genau in der Mitte von etwas stehen, Reduktion, Verlangsamung, verlangsamte Besamung, Galavanisierung der Hoden, wunderbar! , Ecki wühlt in seinen Taschen, Billard, oder was ? er hat aufgehört zu rauchen. Das ist nicht lustig.
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