– Wie lange seit ihr schon in der Stadt?
– Drei Wochen.
– Wie lange wollt ihr bleiben?
Lilli zuckt mit den Schultern. Magda zuckt mit den Schultern.
– Wo kommt ihr her?
– Berlin. Sagt Lilli.
– Cottbus. Sagt Magda.
– Ich bin hier geboren. Berlin ist eine große Stadt.
Das Telefon auf dem Tisch klingelt. Das Display leuchtet auf. Der Mann hebt eine Hand. Zeigt ihnen zwei Finger, den Zeigefinger, den Mittelfinger, wie das Victory-Zeichen.
– Es gibt zwei Möglichkeiten.
Sie schweigen, blicken sich an. Magda greift nach der Zigarettenschachtel auf dem Tisch und nimmt sich eine raus. Das Telefon hat aufgehört zu klingeln. Sie nimmt das Feuerzeug, raucht.
– Ihr kündigt diese Wohnung. Ich gebe euch eine neue. Alles da. Alles drin. Ich kümmere mich um eure Annoncen. Ich kümmere mich ums Finanzamt. Gesundheitsamt. Wäsche. Verträge. Papierkram. Meine Leute. Ihr zahlt Tagesmiete. Hundert. Du. Und du. Wie jede andere. Ihr bleibt frei. Könnt verdienen, wie viel ihr wollt. Könnt machen, was ihr wollt. Fünf Tage, sechs Tage, fulltime. Acht Stunden, zehn Stunden, zwölf Stunden. Duo oder Schicht. Eure Entscheidung, nur muss ich’s wissen.
Sie blicken sich an. An ihm vorbei. Wann hat Lilli wieder ihre Adidas-Trainingsjacke angezogen? Asche fällt von Magdas Zigarette auf den Teppich, und sie zerreibt sie mit der goldenen Spitze ihres Schuhs. Sie trägt offene schwarze hochhackige Schuhe von Versace. Peep-Toe-Pumps. Mit der berühmten goldenen Lasche um die Spitze. Die hat sie sich in Berlin gekauft. Fast fünfhundert Euro. Manchmal wollen die Gäste, dass sie die anbehält, wenn sie ficken. Es sind ihre Lieblingsschuhe. Am Anfang hat sie die nie während der Arbeit getragen. Aber jetzt gibt ihr Versace ein gutes Gefühl. Sie hat die Schuhe an, sie ist die Lady. Kiss my Versace, Kleiner! Und sie will sich neue Schuhe kaufen. Für die Freizeit.
– Der Vermieter …, sagt sie und drückt ihre Zigarette aus.
– Kümmere ich mich drum.
Er steht auf. Geht zum Fenster. Schiebt die Lamellen der Jalousie mit den Fingern auseinander.
– Ist nichts Persönliches. Aber was soll ich machen? Heute seid ihr es. In einer Woche vier andere. Ich habe Wohnungen. Ihr könnt auch in einen Club gehen, wenn ihr wollt.
– Wir möchten zusammen …, sagt Lilli.
– Gut. Gut. Kein Problem. So wie ihr es wollt. Ich sage nicht: morgen. Ich sage nicht: übermorgen. Ich kümmere mich um alles. Ich könnte auch sagen: Ab heute, oder rückwirkend, zahlt ihr mir die Tagesmiete. Du und du.
– Wir …
– Nein. Nein. Da draußen …
Er tippt mit dem Finger gegen die Scheibe.
– Da draußen herrscht die Pest. Und die Cholera. Und der Abschaum wackelt durch die Straßen, als wäre er der neue Adel unserer verseuchten Zeit. Das Telefon klingelt. Und dann klingelt es an der Tür. Und der grimme Schnitter ist auf dem Weg zu euch.
– Wir …
– Ja. Wir.
Er dreht sich zu ihnen um. Die Jalousie bewegt sich, klappert gegen die Fensterscheibe. Draußen schneit es, aber das können sie nicht sehen.
– Du?
Er zeigt auf Lilli.
– Lilli.
– Und du?
– Magda.
– Babsi und Anna.
Er lächelt. Seine Augen sind bei ihnen und woanders. Blau. Leer.
– Die Zeiten haben sich geändert. Die Gesetze haben sich geändert. Aber es gibt Regeln. Und meine Firma bietet das, was ihr alleine nicht könnt. Sicherheiten. Ihr seid kluge Frauen. Ihr habt keine Schmarotzer zu Hause auf dem Sofa, für die ihr euch die Pussy wund arbeitet! Hart, aber fair. Hart, aber fair. Es gibt andere in der Stadt. Die würden gerne auf diesem Sofa sitzen, oder auf einem anderen, und jeden Cent umdrehen, den ihr hier macht. Die Geschäfte gehen gut, nicht wahr?
Sie nicken. Blicken sich an. Blicken auf den Teppich.
– Schöne Schuhe. Versace?
Sie nickt.
– Trägt meine Frau auch. Anderes Modell. Die machen das beste Design. Fast wie aus der Zukunft.
Er lächelt und streicht sich übers Kinn.
– Ihr könnt natürlich hier wohnen bleiben. Das ist nicht meine Sache. Vielleicht habt ihr eine andere Wohnung, zum Wohnen. Das geht mich nichts an. Ihr könnt dort wohnen, später, wenn ich euch sage, wo. Arbeiten, schlafen, wie ihr wollt. Jeder macht das anders. Manche fahren nur am Wochenende nach Hause. Manche arbeiten am Wochenende. Ich muss es nur wissen. Für die Annoncen, für den Papierkram.
Er geht wieder zu dem Sessel und setzt sich hin.
– Ich halte euch den Rücken frei. Versteht ihr?
Sie blicken sich an. Lilli hat die Arme vor ihrer Brust gekreuzt, berührt ihre Schultern mit den Händen. Umgreift ihre Schultern mit den Händen.
– Versteht ihr?
Sie nicken.
– Ja, sagt Magda, das klingt fair.
Lilli stößt sie vorsichtig an, ganz kurz nur das Bein mit der Schuhspitze, aber wieder sagt sie:
– Ja.
– Ihr müsst gar nichts. Ihr könnt jederzeit nach Hause fahren. Cottbus. Berlin. Hawaii. Der Weg zu den Sternen … Aber ihr seid klug. Ihr seid smart. Clever & Smart, aber nicht wie diese Deppen in dem Comic. Ihr kennt doch das Comic? Clever & Smart? Und ihr wollt Geld verdienen. In meinen Räumen könnt ihr Geld verdienen, ohne dass euch irgendein Bulle, irgendein scheiß Jugo oder Russe oder irgendein perverses Arschloch an die Wäsche oder an die Geldtasche will. Oder sonstwas will, was ihr nicht wollt. Ihr arbeitet auf eigene Rechnung in meinen Räumen. Das ist mein Vorschlag, wir verstehen uns.
Und sie verstehen sich. Es ist Donnerstag. Montag kommt er wieder. Er hat seine Karte dagelassen, er hat eine Adresse dagelassen, er hat eine Telefonnummer dagelassen, die gehört einem Mädchen, das bei ihm arbeitet,»in meinen Räumen«, wie er sagt, die können sie anrufen. Lilli steht am Fenster, sieht, wie er über den Fußweg zu einem BMW geht, der vorm Haus parkt, sieht, dass es angefangen hat zu schneien, sieht den anderen Mann, der im Auto sitzt, auf der Beifahrerseite, sieht, wie der Mann im schwarzen Ledermantel einsteigt, spürt, dass Magda hinter ihr steht. Spürt ihren Atem im Nacken, riecht die Zigaretten in ihrem Atem, du rauchst zu viel , weiß nicht, ob die Dinge gut sind, so wie sie sind, Magda hat ihr schon oft gesagt, wie die Dinge laufen können im Business Sexuelle Dienstleistungen, hat ihr erzählt, dass man in Cottbus oder anderswo die Konkurrenz einfach aus der Stadt rausbrachte, so oder so , irgendeinen pisst man immer an, die anderen Weiber beißen, und die Manager wollen managen. Aber hier im kleinen Metropolis der Bürger und Händler hatte sich der Markt beruhigt in den letzten Jahren, und Magda hatte ihr von einer Freundin erzählt, die seit Jahren in München auf eigene Rechnung in einer eigenen kleinen Wohnung arbeitete. Und was in München geht …
Sie blicken dem Auto hinterher. Der Schnee fällt und schmilzt an der Scheibe. Er schaltet den Scheibenwischer ein. Bin ich weich geworden? denkt er und sieht sein Gesicht im Rückspiegel, es ist bald Weihnachten, aber …, aber … das stimmt doch nicht. Februar zweitausenddrei. Lichter blenden ihn. Alex, sagt er und dreht sich zu seinem Beifahrer, zu seinem jungen Soldaten und Begleiter und Chef of Security, Alexander der Große, sag mir ganz ehrlich …
Ja, sagt Alex, du kennst mich doch. Ehrlich, bis es weh tut.
Nun … Habe ich mich sehr verändert in den letzten Jahren, oder meinetwegen Monaten.
Du bist tot, Chef. Das ist dein Problem.
Verdammter Witzbold! Pimmel! Und als sie anfangen zu lachen, blendet ein Licht von irgendwo, und als er noch versucht nachzudenken, ob die Schneeflocken immer so lang und golden sind wie Patronenhülsen und dass das an den seltsamen Veränderungen des Lichts im Winter liegen muss … Fass mich mal an, Alex, berühr mich einfach, leg mir die Hand auf die Schulter, damit ich weiß, dass ich noch da bin.
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