Ebenso wird bestraft, wer eine Person unter einundzwanzig Jahren zur Aufnahme oder Fortsetzung der Prostitution oder zu den sonst in Satz 1 bezeichneten sexuellen Handlungen bringt.
Natürlich arbeiten bei mir trotzdem Achtzehnjährige. Volljährig, und Schluss! Ich habe noch keine Frau zu etwas gebracht. Erzwungenermaßen. Wozu? Ich vermiete nur. Es gibt Heerscharen von Mädels, die bei mir die große Kohle verdienen wollen, Business. Die bringen sich von ganz alleine. Das ist das! Das ist das, was sich Firma Coppenrath & Wiese nicht vorstellen kann. Annoncieren sie: Begleitdamen für exklusiven Nachtclub gesucht. Ihr Telefon wird klingeln — all night long, tagsüber, immer. Aber bitte, fragen Sie! Die Mädels. Gehen Sie rum, Commander, beamen Sie sich runter und fragen Sie. Und nehmen Sie das weg, verdammt nochmal, das ist zu hell, das ist viel zu hell!
Zwei Frauen. Eine Dreiraumwohnung. Magda aus Cottbus und Lilli aus Jena. Inserate in 3 Zeitungen. Künstlernamen: Anna (24) & Babsi (23). Zwei süße Mädels vom Lande. 9.00–23.00. Französisch ohne, GV, Kuscheln, KB, Dildospiele, heißer Duschspaß, NS, Mehrfachentspannung. Tel: 0173XXXXXX. Und da klingelt das Telefon auch schon wieder. Beide sitzen im Wohnzimmer, das das Wartezimmer ist. Aufenthaltsraum klingt besser. Da lachen sie, und das Telefon klingelt. Magda, also Anna, geht ran. Jaaaa? Ja. Sehr gerne. Anna und Babsi. Ich bin die Anna. Hmmm. Wir warten auf dich. Also das ist in der Bauhausstraße 72. Ich freu mich! Bei Engel. Bis gleich.
Sie haben die Wohnung einfach eingerichtet. Ikea-Möbel. Ein Sofa mit Couchtisch im Aufenthaltsraum. Wo sie nun beide warten. Einfache Doppelbetten in jedem der Zimmer. Die Jalousien sind runtergelassen. Rote Glühbirnen in allen Lampen. Ikea-Teppiche. Lavalampen auf dem Fensterbrett. In Annas Zimmer eine und in Babsis Zimmer eine. Gedämpftes Licht ist immer wichtig, dann fällt vieles nicht so auf. Wird dann alles automatisch bisschen lockerer. Sie haben beide schon im Business gearbeitet und wissen, wie sowas am besten läuft. Magda in einem Laufhaus in Cottbus, aber nach einigen Monaten war ihr das zu viel Stress, die polnischen Mädels waren aggressiver beim Kundenangeln, und irgendwie gefiel ihr die Atmosphäre in dem Laden auch nicht. Lilli hat in Jena studiert, hat das dann aber abgebrochen, wusste kurzzeitig nicht, wie’s weitergehen soll, hat sich von ihrem Verlobten getrennt und dann in Berlin als Messehostess gearbeitet und in der Gastronomie, da hat sie dann Magda kennengelernt. Und jetzt die Wohnung in der großen Stadt, die nicht ganz so groß ist wie Berlin, und das Telefon klingelt, und die Geschäfte laufen nicht schlecht, drei Wochen jetzt schon. Wie lange ziehen wir das durch? So lange, wie’s geht! Die Mieten sind preiswert hier, kein Vergleich mit Berlin. Oder München erst. Oder Hamburg. Und Frankfurt/Main, oder? In Frankfurt/Oder ist die Welt zu Ende. Und das Telefon klingelt. Und dann klingelt’s an der Tür. Wer geht? Magda hatte heute schon drei Gäste, also geht Lilli. Hatten sie so ausgemacht. Sie arbeiten immer zusammen, nicht im Schichtsystem wie andere. Und ausgemacht ist ausgemacht. Der Kuchen ist groß genug. Hausgemacht. Magda überlegt, ob sie AV anbieten soll in ihren Annoncen oder ob das unfair Lilli gegenüber wäre, müssten sie aber sowieso absprechen, Lilli würde das nicht machen, das weiß Magda, sie selbst hat’s paarmal gehabt, aber noch nie mit Gästen, aber wenn sie die Annoncen in den Zeitungen durchblättert, sieht sie, dass das immer öfter angeboten wird, muss was mit dem neuen Jahrtausend zu tun haben, das seit zwei Jahren läuft. Sie kann sich an die Freaks und Spinner erinnern, die gesagt haben, dass die Welt untergehen wird, wenn die Nullen kommen. Wo ist sie gewesen zur großen Jahrtausendwende, die irgendwie doch ein Jahr später erst wirklich und richtig war, weil das mit dem Zählen anders geht, als man denkt, irgend so etwas war da doch gewesen, sie versucht, sich zu erinnern. Und mit Freaks und Spinnern kennt sich Magda aus, die jetzt sieht, wie Lilli ihre Adidas-Trainingsjacke auszieht und mit blankem Busen zur Tür geht. An der es inzwischen nochmal geklingelt hat. Da kann’s aber einer wieder mal nicht abwarten. Sie haben schon ganz schön diskutiert, bis sie das mit dem FO, also dem Französisch ohne, beschlossen haben. Ich meine, es bringt doch nichts, wenn eine mit macht und die andere ohne. Aber selbst im Jahr zweitausenddrei ist das noch was Besonderes, FO, obwohl es um sich greift, und wenn es die einen anbieten, fragen die Kunden, also die Gäste, wir sind ja hier nicht aufm Markt! obwohl manche Gäste ganz schöne Kunden sind, also nicht» hübsche «oder» ansehnliche«, die sind nämlich manchmal die schlimmsten, siehe oben, Freaks und Spinner, und Magda hört, wie Lilli den Summer drückt, nachdem sie» Ja, hier ist die Babsi «in die Gegensprechanlage gehaucht hat, ganz und gar unnötig das Ganze, findet Magda, aber sie will eben schonmal klarmachen, wer da jetzt oben an der Tür steht. Manchmal sitzen sie auch beide im Wohnzimmer (Das klingt am besten. Wooohnzimmer. So wie: gemüüütlich.) und schwatzen ein bisschen mit dem Gast, fragen, ob er vielleicht einen Kaffee oder ein Glas Wasser möchte, Kaffee ist eh immer welcher da auf der Kochplatte der Maschine, manchmal kommt es Magda so vor, als würden mehr Gäste dann zu Lilli ins Zimmer gehen, die kann irgendwie besser quatschen, hat eben studiert, aber dann zählt sie nach und merkt, dass das mal so und mal so ist, und jetzt sind sie am Diskutieren seit ein paar Tagen, ob sie heißer 3er mit in die Annonce reinnehmen beim nächsten Mal, weil gefragt haben schon welche, und da haben sie nicht nein gesagt, weil der fünfhundert zahlen wollte für eine Stunde, und was ist schon dabei, und gegenseitig streicheln ist meistens besser, als wenn die Gäste, die sind doch sowieso meist Grobmotoriker, ist ja nur für die Show, und die meiste Zeit sind sie mit dem Typen beschäftigt, aber ganz sicher sind sie sich nicht, aber in der Stadt arbeiten bestimmt fünfhundert Frauen, da muss man schon was bieten, also von wegen Konkurrenz und so, und manchmal liegen sie nach Feierabend noch ganz dicht nebeneinander und streicheln sich, keine Musik, kein Fernseher, nur das Summen des Kühlschranks aus der Küche, aber das ist was ganz anderes, und das würden sie nie weggeben und verkaufen und hat mit lesbisch nichts zu tun, auch wenn sie sich schon geküsst haben.
Magda sieht, wie Babsi, die eigentlich Lilli heißt, rückwärts zur Couch zurückkommt, Schritt für Schritt. Ein kahlköpfiger Mann betritt ihr Wohnzimmer. Er trägt einen offenen schwarzen Ledermantel, beide Hände hält er in den Taschen des Mantels. Er bleibt stehen, blickt sich um. Geht ein paar Schritte, es scheint ihnen, dass er ein wenig das Bein nachzieht, dreht sich, blickt zu den Türen ihrer Zimmer, nickt, zieht langsam die linke Hand aus der Manteltasche und streicht sich übers Kinn. Er ist nicht glattrasiert, und seine Bartstoppeln schimmern silbern, als würde er schon grau werden. Er ist vielleicht Anfang, Mitte vierzig, könnte aber auch schon älter sein, tiefe Falten auf der Stirn und neben den Mundwinkeln. Er ist nicht besonders groß, schlank.
Setz dich, sagt er zu Lilli. Sie setzt sich. Seine Augen sind leer. Ihr fällt kein anderes Wort dazu ein. Blau. Leer. Als wäre er irgendwo weit weg. Und es ist kalt dort. Er geht zu dem Sessel auf der anderen Seite des kleinen Couchtisches, nimmt die Zeitschrift» Bild der Frau «und legt sie auf den Tisch neben den Aschenbecher und die Zigarettenschachteln, das Telefon und die Vase mit den Plastikblumen, dann setzt er sich. Langsam. Er legt die Aufschläge seines Mantels über die Lehnen des Sessels, zieht das schwarze Leder glatt, schaut sich wieder um, nickt.
– Ihr macht gute Geschäfte.
– Es geht so.
Lilli schaut zu Magda, Magda schaut zu Lilli.
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