Ein junges schwarzhaariges Mädchen an der Bar. Sie wippt mit dem Kopf zur Musik. Andere Mädchen, andere Frauen, neben ihr an der Bar, in den Sitzecken, auf den dunklen Ledersofas. Alice schiebt sich die Haare aus der Stirn, raucht eine Zigarette. Ein Mann setzt sich neben sie. Noch nicht viel los, wie es scheint. Früher Abend in Eden City.
«Es ist schön für mich, diese Momente der Ruhe von hier oben zu sehen. Der Abend beginnt. Noch sind die Mädchen unter sich. Es ist nicht so, dass ich sie beobachte. Ich werfe nur hin und wieder einen Blick auf die Spiegel. Es gehört auch dazu, hin und wieder mal nach unten zu gehen, ein paar Stammgäste zu begrüßen, mit den Männern an der Tür zu plaudern, kurzer Smalltalk mit den Mädchen … Weißt du, wir haben hier einen großen Trumpf …«
«Die Sicherheit?«
«Du hast deine Hausaufgaben gemacht. Die GmbH bietet Sicherheit.«
«Und die Rivalität mit der GmbH der Los Locos? Vor einiger Zeit war von Sicherheit doch keine Spur, also hier in der Stadt …«
«Die Los Locos …, lassen wir diesen Namen doch einfach für sich stehen.«
«Soll das bedeuten, dass im Gegensatz dazu die Engel GmbH & Co. KG eine rational handelnde Organisation, eine Gesellschaft ist, die den Markt, die Märkte, also auch Teile des sogenannten Rotlichts, mit rationalen, kontrollierten Geschäftsgebaren …«
«Moment, Moment. Mein Schädel brennt. Kleiner Scherz. Natürlich weiß ich, worauf du hinauswillst. Zum einen: Ich will nicht nachtragend sein. Die Sandkastenspiele in unserer Stadt sind längst beendet. Und unter uns, aber das ist auch kein Geheimnis, in der Stadt M. an der schönen Elbe laufen die meisten der Geschäfte im Rotlicht über die GmbH der Los Locos.«
«Ja, das ist mir bekannt. Wird die Engel GmbH dort versuchen, in den Markt zu drängen?«
«Du bist zu schnell, mein Freund, viel zu schnell. Und du denkst doch in den alten Klischees. Geduld ist in meiner Branche eine der unterschätztesten Tugenden. Worauf ich hinauswollte, ist nicht die allseits bekannte Tatsache, dass die Los Locos in der Stadt M. einen Teil der Geschäfte betreiben und kontrollieren, sondern dass ihr Vorsitzender ein alter Freund von mir ist. Ich respektiere ihn, er respektiert mich. Wir arbeiten nur für konkurrierende Unternehmen. Oder denkst du, dass Merkel und, sagen wir, Steinbrück oder Steinmeier nicht auch hin und wieder ein Glas Wein zusammen trinken …«
«Aber eine große Koalition ist zwischen den Unternehmen der Locos und der Engel ja nun doch nicht möglich. De facto.«
«Und de jure. Bravo. Da hast du einen etwas unpassenden Vergleich enttarnt. Aber sagen wir die Vorstandsvorsitzenden zweier großer Betriebe. Fusion natürlich ausgeschlossen …«
«Und feindliche Übernahme ja auch nur, was die Gebiete und Märkte betrifft, verbessere mich bitte später, wenn ich falschliege. Wenn wir aber schon bei Fusionen und Übernahmen und Koalitionen sind …«
«Ja?«
«… dann möchte ich doch den wunden Punkt Berlin ansprechen.«
«Die gute alte Hauptstadt der Deutschen Demokratischen Republik. Wunder Punkt, sagst du …«
«Nur nebenher, wie alt warst du zur Wende?«
«Da war ich vierundzwanzig. Das beste Alter, wenn du mich fragst. Aber ich halt’s da mittlerweile mit Udo Jürgens. Das war doch Udo Jürgens.«
«Fünfzig Jahr, graues Haar? Nur ein kleiner Scherz. Mit sechsundsechzig Jahren …«
«Genau das. Da bin ich noch zwanzig Jahre drunter. Aber das geht jetzt alles sehr schnell, mit den Jahren, mit den stetigen Wechseln. Die Engel versuchen, eine Konstante zu sein. Aber wo waren wir stehengeblieben …«
«Berlin. Unter anderem.«
«Ja.«
«Ich meine, man las und liest ja viel darüber in der Presse …«
«Und genau das ist das Problem.«
«Aber es gibt doch Fakten, die sich nicht bestreiten lassen …«
«Niemand streitet. Niemand bestreitet. Ich habe dir doch eben erzählt, dass es durchaus Beziehungen, Freundschaften, Bekanntschaften und Achtung gibt, was das Verhältnis der Locos und der Engel betrifft.«
«Aber dass eine ganze Abteilung der Locos zu den Engeln überläuft, wie es aus Berlin zu hören war, ist dennoch ein besonderer und auch in ihrer Organisation höchst umstrittener Vorgang.«
«Zum einen: Ich stehe für die Engel. Immer für die Engel. Das ist unser Wahlspruch …«
«Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, Respekt, Freiheit.«
«Natürlich. Das auch. Aber was ich sagen will: Ich bin ein Teil der Organisation. Einer weltweiten Organisation …«
«Ist die Mafia nicht auch eine weltweite Organisation?«
«Die Mafia. Erstens: welche? Die Italiener? Welche. Die Russen? Die Triaden? Was für einen Scheiß erzählst du mir?«
«Entschuldige. Ich wollte die Engel GmbH & Co. KG nicht mit irgendeiner Mafia gleichsetzen, aber …«
«Dann lass diesen Scheiß. Du beleidigst die Engel, du beleidigst mich. Und sitzt hier in meinem Raum und denkst, ich lasse dir das durchgehen.«
«Möchtest du, dass wir unser Gespräch ein andermal weiterführen?«
«Du bist ein kleiner cleverer Bastard. Entschuldige. Jetzt sind wir pari. Was denkst du, wer vor dir sitzt, ein bockiges Kind?«
«Der Ex-Chef der Engel, Niederlassung Eden City?«
«Ein Science-Fiction-Freund, ich sehe schon. Nein, atmen wir einmal kräftig durch. Respektlosigkeit ist etwas, mit dem ich schlecht umgehen kann und auf das ich reagieren muss. Zugegebenermaßen. Mafia …, mein lieber Scholli, wie wir Sachsen sagen.«
«Ich wollte nicht respektlos sein, ich wollte nur etwas Schärfe in unsere Diskussion bringen.«
«Ich muss zugeben, dass ich das verstehe und dass ich es durchaus respektiere, wenn du hier gewisse Fragen stellst, gewisse Verbindungen ziehst, und dass du denkst, du kommst damit durch. Weil die wenigsten den Arsch dazu in der Hose haben.«
«Danke.«
«Spar’s dir. War kein Kompliment. Grundsätzlich kannst du aber natürlich alles fragen. Und was Berlin betrifft …«
«Die Los Locos sind ja nach dem Übertritt einer ihrer wichtigsten und stärksten Abteilungen in Berlin nun de facto nicht mehr existent.«
«Ich werde dir da nicht widersprechen. Aber sieh es doch einmal so, wenn wir vorhin von Fusionen sprachen, wobei diese Fusion, das hast du ja schon richtig erkannt, den Namen und die Firma außen vor lässt, es geht nur um den Wechsel, um die Übernahme eines qualifizierten Personals. Wären wir, also die Niederlassung der Engel in Berlin, nicht schön blöd, wenn wir dieses Angebot, diese Möglichkeit ausschlagen würden? Ich würde sogar in der Folge von einer Befriedung des Marktes sprechen. Die Dinge haben sich nun beruhigt in der Hauptstadt.«
«Der Markt, von dem wir hier sprechen, ist das Rotlicht.«
«Gut, dass du uns zu diesem Punkt zurückbringst. ›Rotlicht‹ ist für mich ein ähnliches Unwort wie ›Milieu‹. Was soll das sein? Wir lesen die Schlagzeilen, wir sehen die Filme im TV, erst kürzlich dieser ›Tatort‹ beispielsweise …«
«Der die Engel und ihre Geschäftspartner in der Stadt H. thematisierte …«
«Ihre angeblichen Geschäftspartner. Genau. Und die Engel zu Menschenhändlern stilisierte, sie als permanent gewaltbereite, vollkommen skrupellose Organisation verunglimpfte. Die grimmig in die Landschaft schauend wie die Höllenreiter der Apokalypse auf ihren Mopeds durch die Stadt brausten, um hier und da die Mädchen auf den Müll zu werfen.«
«Zumindest was das grimmig Dreinschauen betrifft, muss ich hier kurz anmerken, dass …«
«Was erwartest du? Bubis mit Mittelscheitel auf Schwalben und Vespas?«
«Coppenrath & … Weil du es erwähnst, ich habe eine Schwalbe bei mir im Keller stehen. Baujahr 78, eins a gepflegt und gewachst. Ist schon ’n Kult-Moped.«
«Da sind wir uns einig. Als ich fünfzehn geworden bin, hat mir mein Opa ’ne Schwalbe geschenkt. Ein Jahr nach der Jugendweihe. In Blau. Ich habe das Teil geliebt. Hab dran rumfrisiert mit meinen Kumpels, bis sie fast hundert Sachen brachte. Hab’s dann später dummerweise gegen ’ne S51 getauscht.«
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