«Warum ist sie so anders als wir andern alle?«wollte Padmasambhava wissen, selbst erstaunt über die Frage.»Anders als Menschen, Aristoi, Echsen, Gente… wer, was ist sie?«
Sankt Oswald schüttelte sachte den Kopf:»Cordula Späth… sie ist, glaube ich, die einzige, die nicht an Gott glauben muß, weil sie ihn kennt. Für sie ist Gott nicht was, das man annimmt oder ablehnt, zu dem man sich als Atheistin oder Gläubige verhält — sie kennt alle Fallen. Sie ist die Frechste und die Frömmste.«
«Gott?«fragte Padmasambhava.
«Man redet selten drüber, seit den Gente. Wir sind vorsichtiger geworden, als die Menschen waren — man kommt so leicht ins Delirieren und erlaubt sich Übergriffe, die schwer geahndet werden.«
«Geahndet von…«
«Mach das Feuerchen heißer. Schür es ein bißchen. Ich glaube, ich kriege Rheuma, wenn ich nicht aufpasse. Tausend Jahre, zig Krankheiten überstanden, aber wird man weniger anfällig? Man wird nicht weniger anfällig. Man wird nur immer undankbarer. Ich hab versucht, den Freunden Freund zu sein, die wußten, wie man Freund ist.«
Er beugte sich vor, küßte den alten Freund auf die Stirn.
Sie sahen einander an, im Wissen, daß es wirklich ein Abschied war.
8. Aufbruch
Keine Kaffeetasse diesmal, sondern ein Reagenzglas.»Der Witz ist fad, Ryu«, maulte Cordula,»du könntest wirklich mal aufhören mit diesen Anspielungen auf Jekyll und Hyde.«
Blaß blattgrün schimmerte der Fuchs und schwieg.
«Was soll ich…«, zögerte Padmasambhava, aber die Komponistin nickte nur:»Du mußt ihn trinken, doch. Für den finalen boost . Die Information, mehr noch die irre Energie… daher die Hitze immer, weißt du: Er konzentriert Ungeheures auf engstem Raum, sein Volumen gibt nur eine… verniedlichte Vorstellung davon, was er ist. Der letzte Schub, Padma. Bevor du den größten Sprung tun kannst, alleine, ohne mich.«
«Wohin?«
«Na deine Schwester abholen, auf der Venus, was sonst?«
1. Aus dem Kerker
Was ich über einen roten Riesenaffen weiß?
Nichts mehr konnte Feuer hier noch überraschen.
Zwar mußte er sich eingestehen, daß er eben im Begriff gewesen war, die Hoffnung zuzulassen, Pyretta und er könnten vielleicht auf dem Weg zu so etwas wie einer Verständigung sein. Aber da es jetzt um einen roten Riesenaffen ging, war das wohl verkehrt gewesen; so grundverkehrt wie alles an diesem Ort.
«Nichts. Über einen roten Riesenaffen weiß ich nichts«— vielleicht ist es ein Übersetzungsfehler. Was habt ihr mir ins Essen getan, daß mir Brüste wachsen, daß mein Penis schrumpft, daß mein Kinn jetzt glatt ist? Vielleicht weiß es der rote Riesenaffe. Ich kann nicht mehr, ich will nicht mehr.
Pyretta schlug die Augen nieder. Feuer erkannte an ihr, was er einmal auf einer lichtbelebten Oberfläche gesehen hatte, vor Ewigkeiten: die ganze Narrheit, Nacktheit, Gewalt, das Leiden der Menschen, und er fand, ich mag sie zwar, aber das nützt und hilft uns leider beiden nichts. Dann wischte sie sich mit einer Handbewegung, die er inzwischen gut kannte, eine Strähne rotblonden Haars aus dem Gesicht und sah ihn an, als wüßte sie, daß Feuer nun sehen konnte, was sie dachte, als hätte sie sich ihm geöffnet, wie schon einmal — der Prinz erschrak: Er sah die Militärs, die Zündschlüssel, die Rampen und die Marschflugkörper, sah, wie die Kopfhörer und Mundstücke im hellen Elektronenfeuer standen, weil hektischer kommuniziert wurde als je, zwischen den Machthabern in den Städten Marder, Stute, Weißer Tiger. Die beiden jüngeren Metropolen, in Atalanta gelegen, hatten inzwischen ein Bild davon, was da soeben die Mauer zur ältesten der Neuen Drei Städte überwunden hatte, in der Feuer gefangen saß. Die Entscheidungsbäumchen, an die Pyretta dachte, wurden zu wirklichen Optionen für Feuers weiteres Schicksal: Wenn man in Marder oder Stute zum Entschluß gelangte, es seien nun offenbar die lang befürchteten interplanetarischen Feindseligkeiten mit den Keramikanern oder Marsbewohnern ausgebrochen, wenn man annahm, dieser Affe stamme aus der fünften oder einer andern höheren Dimension, dann würde man die Abschußcodes eingeben und keinen Gewissenbiß verspüren bei der sofortigen Vernichtung der Schwesterstadt. Relais für die Panikorder würden die Siebenvierer werden, wie sie immer schon Router für die Kommunikation zwischen den neuen Städten gewesen waren, noch vor den Minderlingen, von der Grundsteinlegung an, schweigend, auf Nichteinmischung verpflichtet. Wenn Feuer aber irgend etwas wußte, das dem Wüten des Riesenaffen einen Kontext geben konnte und vielleicht geeignet war, ihn abzuwehren, dann, um ihrer beider, nein aller Menschen (Minderlinge, dachte Feuer, sie nennt sie nur Menschen) willen, die verbrannt, verstrahlt, versaftet werden würden, sollte er es sagen, jetzt, und nicht mehr vornehm tun.
Sie wartete auf Feuers Antwort.
Es war alles schief, die Voraussetzungen der Frage stimmten nicht, er hatte sogar Schwierigkeiten, von sich als» Feuer «zu denken, als» der Prinz«, als» er«, es war ihm, als fiele das soeben von ihm ab, von ihr, von ihnen beiden, langsam, unaufhaltsam, ja, von wem denn, wann denn?
Außerdem war mehr zu sehen, als Pyretta ihn sehen lassen wollte: Sie fragte nicht nur aus berechtigter Sorge, sondern weil das ihr Weg nach oben war, nach draußen, ins Freie, das heißt, zunächst die wichtigste Sprosse auf der Leiter in der Hierarchie der Abwehr, die wiederum der wichtigste exekutive Zweig der großen Organisation war, welche man hier» die Akademie «nannte und die früher, auf der alten Welt, einfach» Regierung «geheißen hätte. Sie war, sah Feuer, wirklich Preisnitels Tochter, und vor wenigen Wochen hatte er sie noch an der Leine geführt. Auch ein Kind wollte er ihr tatsächlich machen. Feuer, Flamme, Fiamettina (was sind das für Namen, Erinnerungen, wer denkt mich da?) bedauerte das erniedrigte Leben, das Pyretta hatte führen müssen, von der Rhinoplastik mit dem Zweck einer» besseren Balance der Gesichtszüge«(so Preisnitel, von dem sie die schiefen Züge doch geerbt hatte), über die regelmäßigen Fettabsaugungen, wenn er sie wieder zu doll gemästet hatte mit seinen Schokoladen und Fleischleckerbissen, die Ohrmuscheloperation, bis zu den zwei Brustvergrößerungen, das ganze Elend zum einzigen Zweck, den Minderlingwiderling zu unterhalten, ihn dazu zu bewegen, ihr seine schützende Hand nicht zu entziehen, denn Leute wie sie galten noch viel zu lange als nicht Fertiggeborene in dieser Gesellschaft, selbst wenn sie wie Pyretta (was Preisnitel» niedlich «fand) sogar Arbeit gefunden hatten — gut bezahlte, angesehene Arbeit, bei der Abwehr.
Pyrettas einzige Chance, diesem erstickenden Zwang je zu entkommen und der Not, dem fürchterlichen Vater gefallen zu müssen, war der Versuch, sich an eine Macht zu wenden, die mehr Geltung hatte als seine, eine Gewalt, der er sich würde fügen müssen — der Leitung der Abwehr also, der Akademie selbst.
Fiamettina erkannte, daß das der wahre, von Mitgefühl für die hypothetischen Opfer etwaiger Kriegshandlungen ganz unabhängige Grund war für die Dringlichkeit, mit welcher der Geist dieser Armen sich nach ihr, ihm, der Gefangenen gestreckt hatte. Nur dieses Sichstrecken war es gewesen, was dem geschwächten, beinahe ertaubten telepathischen Sinn in Fiamettinas Kopf erlaubt hatte, Kontakt mit ihr aufzunehmen.
Feuer, Fiamettina, blickte in diesem kurzen Augenblick des Abwartens direkt in Pyrettas jüngste Vergangenheit, auf den bis hierher meistverheißenden Versuch, sich bei den leitenden Figuren bemerkbar zu machen. Wochenlang hatte Pyretta daran gearbeitet, mit akademischen Hilfskräften und unter stetem Rückgriff auf immer wieder aufgefrischte eigene Recherchen, eines der zentralen Rätsel der aus dem Isottatempel geborgenen Maschinen und anderen Artefakte zu lösen: Was es wohl mit der sogenannten» Musik «auf sich hatte, den» Rhythmen«,»Harmonien«,»Reihen«, um die es in so vielen der Zier- und vielleicht Instruktionstexte auf den Stelen, in zahlreichen Glyphenfolgen und auf Schemata zu gehen schien.
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