Dann fuhr er fort:»Du gehst abgewandt von uns durch unsere Burgen, verhüllst dich, als littest du, aber du leidest nicht. Du bist Gift, und ich muß dich aus der Wunde saugen, die du uns zugefügt hast.«
Lodas Osier hatte nämlich beschlossen, daß seine Schuld war, was geschah.
Er wollte Buße tun, und das erforderte, daß er Padmasambhava und sich selbst beseitigte. Also begann er, eine Höllenmaschine zu bauen.
Später, als die gezündet worden war und die marsianischen Kommunikationskanäle monatelang von nichts anderem so sehr summten und glühten wie von den Auseinandersetzungen darum, wie er sie gebastelt und woher er die Rohmaterialien beschafft haben mochte, fand Sankt Oswald für die ästhetische Bewertung der Angelegenheit durchaus treffende Worte:»Das war, was die Alten eine herausragende Performance genannt haben würden. Kinder, eine Parton-Bombe, darauf muß man erst mal kommen — virtuelle Teilchen, Fluktuationen aus Quarks, Antiquarks und Gluonen, und dann in einer Art Judo… ganz abgesehen vom optomechanischen Auslöser: ein Kopf, der sozusagen… hochgeht, wenn er Padmasambhava die Straße runterstrolchen sieht, was für ein Gleichnis auf die Macht der Eifersucht. Was da explodiert ist, war die pure Ranküne — und es steckte nicht sehr viel weniger Verstand drin als in der Befreiung. Muß man sich mal vorstellen — dieselbe Menge Denkschmalz, der eine schafft ein neues biologisches und moralisches Universum, der andere will bloß seiner Ex eine reinhauen. Was Intelligenz doch für putzige Formen annehmen kann. Ich komme aus dem Staunen nicht heraus.«
«Dann bleib halt drin, du Seppel«, maulte Cola.
6. Du hast mich gerettet
Cordula Späth hatte jetzt mehr Zeit für ihren Schützling.
Padmasambhava kam bald der Verdacht, daß diese neue Zuwendung auf etwas wie einen Abschied hinauswollte.
Den Morgen des Tages, als es krachte, verbrachten sie gemeinsam.
Sie hatten schon die Nacht über beieinandergelegen, mal träge vögelnd, dann in matt glücklichen Umarmungen, gehalten beiderseits von sehr viel Liebe. Am Morgen gingen sie ins große Bad der Burg II, wo neuerdings auch Wohnen möglich war. Die das taten, nannten sich Meerjungfrauen oder Poseiniden und waren fischverwandt aus Überzeugung.
Cordula und Padmasambhava schwammen mit ihnen, bis sie alle Lieder kannten, die es dort gab.
Dann gingen sie, nicht abgetrocknet, raus an die Sonne, auf eine große blaue Wiese.
Padmasambhava erkannte den Verrückten gleich, als er sich, aus einem Gebüsch tretend wie ein alberner Räuber, ihnen näherte, die rasierten Arme ausgebreitet, um wen eigentlich zu umfangen, fragte sich Padmasambhava, mich, sie, alle beide?
Krankhafterweise sandte er ihr, an die Adresse ihres Buches des Lebens, von dem er wußte, daß es, wie die meisten sonstigen Schlaufen ihrer Spintronik, anders als ihr Biokörper die Druckwelle wahrscheinlich überstehen würde, in der letzten Viertelsekunde vor der Zündung einen gigantischen Schwall von Schnappschüssen, Vorwürfen, Szenen vom gemeinsamen Ausgehen auf den großen Parties, Streitigkeiten am Rande einer Ausstellung, Hickhack wegen der letztlich ausgebliebenen Instituierung eines gemeinsamen Arbeits- und Rechtsstundenkontos, als wolle er sich vor genau denselben Bewunderern und Anbeterinnen Padmasambhavas, denen gegenüber seine Tat ein Fanal sein sollte, im Ton des verschmähten Liebhabers rechtfertigen.
Padmasambhava hatte keine Zeit, den Qualster auch nur querzulesen.
Schneller als der Lichtblitz und das Zerreißen zahlreicher kosmischer Mikro- und Makrovorhänge, das die Zündung bewirkte, sie erreichten, fühlte sie Colas Hand an ihrem Arm und dann eine Entrückung, als zöge sie jemand seitlich aus dem Text. Erfahrung hatte draußen Gitterform, mit einer tiefen Senke, in der jetzt der Verbitterte verschwand, sprühende Splitter seines Hasses hinter sich herziehend, abtauchend in den Trichter, wie ein Komet seinem Schweif aus brennendem Dreck aufsitzt.
Cordula und Padmasambhava dagegen standen auf einer beträchtlichen Erhöhung, und die Stimme der geliebten Lehrerin erklärte ruhig:»Weißt du, wir haben das nicht nötig, uns von dieser lokalen Raumzeitscheiße ärgern zu lassen. Wir ummanteln uns oder packen uns aus, wie wir's mögen — wie ich dir's beigebracht habe. Wir tanzen oder stehen still, um alles andere an uns vorbeitanzen zu lassen. Alles, was mit ihm Zeit und Raum teilt, hätte er verbrennen können, aber nicht uns, die wir unterm Schutz der Künste stehen. Eine bessere Abschlußlektion hätte ich mir für dich gar nicht wünschen können.«
Padmasambhava verneigte sich und sagte:»Aber ich hab es nicht gemacht. Du hast es gemacht. Du hast mich gerettet. Du hast die Kausalkette zwischen seiner Tat und meinem Tod zerschnitten.«
«Nicht zerschnitten. Geknickt, und den unendlichen Teil davon als Rutschbahn zurechtgebogen, auf dem die Wirkung aus deiner Gegenwart dauerhaft verschwindet, schwups. In die Kruste hat er sich trotzdem gebohrt, und die Wiese ist Asche, das Bad ist verdampft. Die meisten Meerjungfrauen und Poseidoniden sind tot. Es wird eine Riesenuntersuchung geben, hab in der Zukunft grad schon nachgeguckt. Der Zores bringt unsere Abende ein Weilchen durcheinander, aber Folgen hat's sonst so gut wie keine. Außer, wie gesagt, daß du jetzt graduiert bist.«
«Noch mal: Ich hab es nicht gemacht.«
«Nein. Das stimmt. Aber wenn du es nicht ebensogut machen könntest wie ich, könntest du das hier alles«, eine großzügige Handbewegung, die das Gitter meinte und den Trichter und die beträchtliche Erhöhung,»gar nicht wahrnehmen.«
7. Lange her
«Wenn man erst einmal so alt geworden ist wie ich«, sagte Sankt Oswald bei Padmasambhavas letztem Besuch im traumtopologischen Turm,»erkennt man, wer wirklich wichtig war, schlicht daran, wie sehr man die jeweiligen Leute vermißt. Ich meine, es sind keine mehr im alten Sinne gestorben seit dem Exodus — da gab's ein Massensterben, das stimmt, und ich habe einen Teil davon sogar gesehen. Heute lösen sich die Leute nur noch freiwillig auf, oder vereinigen sich, so wie jetzt die Burgen. Was sollen sie auch sonst machen? Sterben mag niemand gern, verlöschen, aber allen wird irgendwann klar, manchen nach Jahrzehnten, anderen nach Jahrhunderten, daß echte Unsterblichkeit einfach nicht zu haben ist — die Entropie, der Lauf der Dinge, die Beschaffenheit des Universums sind dagegen. Irgendwann hört alles auf, da nimmt man doch besser eines Tages die Gelegenheit wahr, dieses Aufhören in eine… einigermaßen konstruktive Verwandlung zu überführen. Hmpf, nun, sie sind weg, oder nicht mehr dieselben, weil das so sein muß. Aber man vermißt dann eben die oder den, die man gekannt hat, wenn man länger währt als sie.«
Er saß auf einem Sessel aus engmaschig aufgezogenen Zufriedenheiten.
«Ich kann dir nur schwer erzählen, was wir waren und wie wir so wurden. Aber es fällt mir immer noch leichter, als es dir gefallen wäre, mir damals zu erzählen, wer du heute bist, wenn du etwa durch ein Loch in der Geschichte in meine ferne Vergangenheit schlüpfen könntest. Denk dir doch, wie das ist, von etwas zu sprechen, das für dich Gegenwart ist und für den, der dir zuhört, unvorstellbar ferne Zukunft — es käme ihm, weil die dritte, vierte, fünfte Natur um dich, diese Räume, die deinen Alltag prägen, so viel Wissen sinnlich verkörpern, wahrscheinlich vor, als wärst du Wissenschaftlerin, als wäre deine ganze Welt und Zeit von Wissenschaft überwuchert wie ein altes Gemäuer von Efeu. Die technischen Ausdrücke, die du gebrauchen würdest, um auch nur deine selbstverständlichsten Verrichtungen zu beschreiben — es ist eben nicht so, wie die Kulturschnallen glauben, die ganz blasierten unter unsern Aristoi, daß man alles in alles übersetzen kann, was Sprache ist. Manche Worte sind nicht nur Elemente des Sprechens, sondern selber Gegenstände von Sprachhandlungen, und die Perspektiven, ach — man würde sich, wenn du deine Welt und Zeit darlegen müßtest, in dieser hypothetischen Vergangenheit als Zuhörer, als dumme junge Holzpuppe, die ich gewesen bin, andauernd fragen: Spricht sie von sich oder von andern, aus deren Innensicht oder von oben, ist das auktoriales Erzählen, ist das innerer Monolog, ist das allwissende Billardkugel — einfach, weil du ständig Dinge ganz selbstverständlich aussprechen könntest, die in Erfahrung zu bringen damals unmöglich gewesen wäre. Die denkenden Geschöpfe, das ist der einzige Fortschritt, den ich erkennen kann und der mir manchmal fast etwas wie Hoffnung plausibel macht, verstehen nicht nur die Natur und alle auf ihr aufsitzenden, von denkenden Geschöpfen gemachten Konstrukte immer besser, sondern vor allem einander. Von den Schmutzwörtern und den Heilandswörtern, von der Scheiße und der Transzendenz, von der Vollständigkeit der Sprachen, welche sie haben und einander geben können, einander göttlich wie nur Liebende, wie nur Romeo und… Die Langeweile hatte den ärmsten Begriff davon. Ein bißchen hilflos nannten sie es: Empathie. Ihre Literatur hat das nur langsam verwirklichen können. Im Epos kam's fast gar nicht vor, im psychologischen Roman schon eher. Heute…«
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