«Ich kann dir, entschuldige, überhaupt nicht folgen. Aber schön, daß du weißt, was ich eigentlich sagen wollte. Auch wenn ich es nicht mal wiedererkenne, wenn du es mir erzählst.«
«Wirst du, keine Sorge.«
Keine Sorge? Es klang eher wie: Wirst du müssen.
2. Erste Orientierung
Es gab raumartige und zeitartige Linien.
Mal waren sie Pulse von Oszilloskopen, dann Striche auf Notenpapier, immer hing ein Haken dran —»Was du am ersten Tag gehört hast, was dich auf den Boden geworfen hat, war das Gesamtwerk von Gustav Mahler, in eine Femtosekunde eingedreht. Nunc stans sagten die Alten dazu: der vollständige gegebene Moment. Ich wollte dir zeigen, wie ich existiere. Dazu mußtest du erst einmal den ersten der beiden Pole kennenlernen, die meine Spannung machen. Der andere ist, daß nicht nur die Zeit, sondern auch der Raum sich so zusammenziehen läßt — bis auf eine winzige Kugel, Durchmesser: die Plancklänge. Makromusik und Mikromusik. Hör zu!«—, immer ein Haken, um sie durch die Stimmführung zu ziehen, um die Konsonanzen und Dissonanzen zu organisieren, unter der Erde, über den Wolken, beim Springen zwischen den Orbitalstationen (»Hier drinnen sieht es aus wie in einem Walfisch, bei dem der Magen leuchtet«, fand Padmasambhava, und Cordula nickte:»Und du ahnst nicht mal, wie sehr das, was du da sagst, dieser Vergleich, alles bestätigt, was ich dir über nichtlokale holographische Erinnerung und Resonanzen beigebracht habe«).
Ebene, Kugel, Kleinsche Flasche, tausend mal tausend Topologien, immer wieder Haken und dann auch noch Ösen:»Das Kamel durchs Nadelöhr, eines der klügsten topologischen Gleichnisse aller Zeiten«, und Padmasambhava wurde das Kamel, Cordula Späth das Nadelöhr; dann krempelte sich die Szene um (»Involution, sieh zu, daß du dir ein paar Referenzpunkte im Gitter merkst, dann wird dir nicht schlecht«, mahnte Cordula), Padmasambhava wurde das Nadelöhr und die Komponistin das Kamel:»Du siehst, ob ich die Person im Zimmer bin oder das Zimmer um die Person, ist nur ein Betonungsunterschied — ob ich die betonten oder die unbetonten Silben im Lautgedicht zähle, ob ich von Generalpause zu Generalpause… hier, siehst du, da kommt die Twistorrechnung rein. «Die Echse fragte sich nicht selten, auf was für Prozessoren das alles bei der Komponistin eigentlich lief. Ihre eigene Spintronik, normalerweise zu 6 % ausgelastet, in Fällen umfangreicher Parallelrechnungen bei gleichzeitiger Konsultation des Buches des Lebens eventuell auch mal zu 20 %, stand bei den Übungen, die ihr jetzt auferlegt wurden, stets kurz vor der Gesamtauslastung.
Schließlich, man erfrischte sich gerade in einer sprudelnden Schauquelle am Fuß des Museums für Gentegeschichte in der Burg V, erkundigte die rote Echse sich direkt:»Womit arbeitest du? Worauf läufst du, was sind das für Prozessoren, die Jahrtausende überdauern? Ist das am Ende gar dein ursprüngliches Hirn, was mir hier beibringt, mich in mehrdimensionale Brezelformen zu verwurmen?«
«Okay«, sagte die Komponistin,»ich merk schon, du hörst einfach nicht zu, kiddo . Wer bist du überhaupt? Wer will das wissen, was du mich da fragst? Schließ mal die Augen. Hör mal… wie sagte man früher? In dich hinein.«
Weil das Verhältnis zwischen Lehrerin und Schülerin es erzwang, tat Padmasambhava, wie ihr aufgegeben war, und sah sich am Haken im Springkraut, sah sich als Auwald an ein Flußufer heranwachsen, hörte das Rauschen oben in den Blättern (war das nicht das Laub Liviendas, drüben in der andern Burg?), sah sich als Feenlämpchenspinne mit goldenem Glanz zwischen Glockengeläut herumkrabbeln, auf der Suche nach Komprimierungsmöglichkeiten für die Daten, die sie in ihren Netzen gesammelt hatte, sah sich als Zander, beim Anlegen von Verzeichnissen erlaubter Gametenpartnerschaften, nach einem Wurm schnappen, der wieder an demselben, dem immergleichen Haken hing, der einen Haken schlug, durch metonymische Ansteckung verführt, durchgehört, durchschaut, Fisch im Aquarium, der das Glas nicht sieht, hol mich raus aus dem Torus, gib mir eine Chance, hol mich an Land, hol mich hinauf in die Bäume, in den Amazonasdschungel, in die Wolken, das Gas in Streifen schneiden, mit der Identität rasseln;»Ich will die Welt…«, das Verb fehlte — kennenlernen? Sehen? Hören? Sein?
«Ich bin… bin ich die alle?«staunte Padmasambhava und blickte an sich hinunter: Sie war jedenfalls nicht mehr die Alte, sondern ein anderer.»Wie… was ist überhaupt passiert«, denn der Neugeborene begriff viel zu spät, daß dieses Augenschließen eigentlich hätte unmöglich sein sollen: Er besaß doch gar keine Lider — er, nein, sie, wer denn nun?
«Siehst du«, Cordula zog amüsiert die Brauen hoch, als der Neugeborene zurückgefallen war, ins warme Wasser, und sich, erschöpft wie nach der Erklimmung einer Steilwand, einfach treiben ließ.»Jetzt verstehst du langsam, was das ist, die Musik.«
«Ein… ein Hilfsmittel, etwas zu bauen, ja?«
«Richtig. Und was genau?«
«Mich.«
«Wieder richtig. Dich, als Palast der Erinnerung der vielen, aus denen du zusammengesetzt bist. Und die Musik brauchst du…«
«…nicht als Ausdruckswerkzeug und nicht als Kommunikationsmittel, sondern als spintronischen…«
«Vorsicht, allgemeiner bitte.«
«Nein, nicht spintronischen, als… als computationalen Wandler, mit dem ein musterergänzendes Hirn wie meins bestimmte Klassen von inferentiellen Prozessen, betreffend die Beschaffenheit der Raumzeit und der richtigen Bewegung in ihr, behandeln lernt, die es andernfalls, also ohne die Musik, nicht einmal formulieren könnte.«
Padmasambhava merkte, während er sich noch so reden hörte, daß er jetzt wie das Buch klang, und als er versuchte, es anzurufen, meldete es sich zwar nicht, aber jedes Feld, jede Datei, jeder Pfad darin war ihm augenblicklich zugänglich.»Ich bin… in mein Buch rein. Es ist in mich gestürzt. Wir sind eins.«
«Ja. Siehst du? Wir sind ein Stückchen weiter: Erst kommt die Integration. Und jetzt zur Alloplastik.«
Padmasambhava mußte lachen:»Das klingt wie: Erst erkläre ich dir deine Hände, und dann bringe ich dir bei, wie man damit greift.«
«Oder Klavier spielt. Aber der Vergleich hinkt — ich bringe dir bei, wie du Dinge verändern kannst, auch im Sinne von ›Ortsveränderung‹, Bewegung, nicht indem ich dich und die Dinge einander gegenüberstelle, sondern indem ich dir zeige, daß du alle diese Dinge, oder Leute, oder Umstände selber sein kannst. Und wenn du sie bist, kannst du sie verändern, indem du dich veränderst.«
«Klingt einfach.«
«Hätten aber Organismen, oder Maschinen, nicht fertiggekriegt, bevor Ryu und sein Kumpel, der sich später Cyrus nannte, ihre… aber dafür ist es noch zu früh. Das kommt mit der zweiten Orientierung. Laß uns was anderes machen — gibt's hier irgendwo einen Park, kann man hier Federball spielen?«
3. Zweite Orientierung
Im sommerlich warmen Wind, am Rand der kommenden Aufgaben.
«Kann ich überallhin, in jede Zeit, an jeden Ort?«
«Blödsinn. Was ich dir zeige, ist nicht Zauberei. Rechne die Twistorkalküle durch, das sind immer noch die besten Näherungen. Oder schau's dir als Muster von Zellulären Automaten an, wie Izquierda das gemacht hat — du kannst überallhin, wo wir Ösen für deine Haken aufgestellt haben oder wo wir dir Haken besorgt haben, die zu den in der Natur vorhandenen Ösen passen, und sie in deine Musik integriert. Bildlich gesprochen.«
Cordula Späth räusperte sich.»Es gelten alle Erhaltungssätze, da kommst du nicht raus: Energie, Masse… mit den Brennzellen, die in deine Denkmurmel eingearbeitet sind, hätte man früher Kriege um die Weltherrschaft androhen, aber nicht ohne Verheerung der halben Biosphäre führen können. Im Ernst, Eidechse, wenn man dein inneres Marschgepäck in Masse umwandeln würde, könntest du eine hübsche Delle in unsern Mars hauen, oder Phobos und Deimos«, sie waren auf beiden Monden gewesen, in alten, seit Jahrhunderten verlassenen Stationen,»wie Billardkugeln aus ihren Umlaufbahnen schnicken.«
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