«Ich hoffe, es schmeckt Ihnen. Was rauchen Sie sonst, wenn Sie nicht vergeßlich sind?«
«Pfeife. Und für unterwegs Orient.«
«Pfeife hat mein Großvater geraucht … Ich habe diesen Geruch immer geliebt. — Sie haben im Nachwort Ihres Buchs zweimal einen falschen Konjunktiv gebraucht, nach ›als‹ folgt, soviel ich weiß, der Konjunktiv Zwei, bei Ihnen hätte es statt ›als sei‹ also heißen müssen ›als wäre‹, und ›als höbe‹ anstelle des ›als hebe‹.«
«Ach.«
«Ja«, bemerkte Schevola fröhlich,»war mir ein Vergnügen, diese Fehler rauszupicken, nachdem Sie mir derlei Blödsinn angekreidet haben in meinem ersten Manuskript, das ich an die Edition geschickt habe. Solcher Lappalien wegen haben Sie es abgelehnt!«
«Hören Sie, das muß ein Irrtum sein.«
«Es stand aber Ihr Name unter dem Ablehnungsschreiben!«
«Ah, ich verstehe. Das kommt vor. Warten Sie. Wir haben Vordrucke im Verlag, die manchmal für solche Briefe herhalten müssen, wenn normales Schreibpapier knapp wird. Dann passiert es, daß jemand unterschreibt, ohne in der Eile den Namen auf dem Vordruck entsprechend zu korrigieren. Bei Ihnen war es wahrscheinlich Herr Redlich, unser Leitender Lektor.«
«Die Unterschrift war unleserlich, ein ›R‹ war zu erkennen. Ich dachte sofort an Sie! Aber Sie wollen sich doch jetzt nicht etwa drücken? Sie haben vielleicht Angst, ich könnte Sie würgen?«»Dann war Ihre Zigarette ein Versöhnungsangebot?«
Schevola blies eine Rauchlocke aus, starrte in den Garten.»Haben Sie die Hunde gesehen? Er hat einen Zwinger da unten. Komischer Kerl. Manchmal frage ich mich, ob er glaubt, was er sagt. Oder ob er nur hier ist, weil sie ihm ein Institut gegeben haben. — Mögen Sie Stierkampf?«
«Nur bei Hemingway und Picasso.«
«Ist er Ihnen zu brutal? Zu blutig?«
«Zu grausam. Die Menge johlt, weil ein Lebewesen geschlachtet wird.«
«Geschlachtet? Wie pathetisch. Torero und Stier sind ebenbürtige Gegner. Jeder der beiden hat eine Chance, und wer stirbt, tut es beim Kämpfen und vor aller Augen. Weder Torero noch Stier können etwas verstecken, keinen Moment der Tapferkeit, keinen der Feigheit. Das ist ehrlich, und es ist ein guter Tod.«
«Mag sein. Ich finde dieses Ritual trotzdem abstoßend.«
«Sie vertragen den Gedanken an den Tod nicht. Und daß man töten muß, wenn man leben will. Stierkampf macht das zum Thema, und deshalb finde ich das ehrlich. Aber viele sehen dieser Wahrheit nicht ins Auge. Sondern empören sich. Und fragen sich nicht, woher das Leder für ihre Schuhe stammt, die sie beim Empören tragen.«
«Es mag ehrlich sein, den Tod zu akzeptieren und auszustellen. Aber es ist nicht groß.«
Schevola sah auf und musterte ihn erstaunt.»Dann ist es groß für Sie, zu lügen?«
«Schicken Sie mir Ihr Manuskript.«
Ihr Gesicht verfinsterte sich jäh. Sie begann häßlich zu lachen.»Sagen Sie, glauben Sie, daß ich mich mit Ihnen unterhalte, um Ihnen auf diese Weise meine Sachen anzudrehen?«
«Entschuldigen Sie bitte, so habe ich das nicht gemeint. Es ist nur … «
Schevola griff sich an die Schläfe und massierte sie.»Sie sind müde, und ich belästige Sie …«
«Darf man sich dazustellen?«
«Bitte«, sagte Meno.»Herr Dr. Kittwitz, Physiker, Frau Schevola, Schriftstellerin.«
«Wir kennen uns bereits von früheren Urania-Treffen«, entgegnete der Physiker. Er hatte drei Gläser und eine Sektflasche mitgebracht und schenkte ein.»Krimsekt, vom feinsten. Der Alte hat die Spendierhosen angezogen. Nobel. Wollen Sie nichts essen, Herr Rohde? Sie haben es sich verdient, und es ist schon nach Ihnen gefragt worden. Herr Altberg und Meister Sperber wollten ein paar Worte mit Ihnen wechseln, und auch Ihr Chef. Da haben Sie schon eine kleine Interviewliste. Zum Wohl, Judith. Herr Rohde. «Sie stießen an, tranken.»Arbogast schnallt in diesem Fall die Uhr ab, legt sie vor sich hin und sagt: Verzeihen Sie bitte, aber ich kann Ihnen nicht mehr als vier Minuten und einunddreißig Sekunden widmen.«
«Du scheinst ihn wieder mal sehr zu mögen, Roland. «Judith Schevola lachte ihr sandiges, häßliches Lachen.»Wie steht’s mit deinem Projekt?«
«Ich mag ihn wirklich ganz gern. Möglich, daß er seine Schrullen hat, aber eins muß man ihm lassen: Er kümmert sich. Wir haben es zur Veröffentlichung eingereicht. Zwei Wochen später riefen sie an, daß sie vorläufig nicht drucken könnten, da ihr Papier kontingentiert worden ist und sie erst sehen müssen, wo sie für die nächsten Ausgaben welches herbekommen. Das mußt du dir auf der Zunge zergehen lassen: Wir machen hier im Institut eine grundlegende Entdeckung … «
«Oh, mein lieber Roland wird auf seine mittleren Tage bescheiden und sagt ›wir‹?«
«Judith … laß das doch. Eine grundlegende Entdeckung! Aber anerkannt ist nur das, was publiziert wird, Herr Rohde, und Priorität darf allein beanspruchen, wer zuerst veröffentlicht … Und wissen Sie, was passiert ist? Es gibt eine Arbeitsgruppe in Bremen. Vor ein paar Tagen nimmt mich Arbogast beiseite und sagt, daß er mit einem Kollegen dort gesprochen hat. Sie haben dieselbe Entdeckung wie wir gemacht, vier Wochen nach uns, aber sie wird eher veröffentlicht … Nur weil es in diesem Land wieder mal kein Papier gibt … Ich könnte aus der Haut fahren, das kannst du mir glauben. «Er trank hastig aus und schenkte sich nach.»Judith: Es war unsere, es war … meine Entdeckung. Und es wird einem genommen!«
«Hat er nicht gesagt, am Telefon, daß ihr schneller wart?«
«Natürlich hat er das. Antwort: Lieber Kollege Arbogast, wir kennen die Ausstattung Ihres Instituts und auch im großen und ganzen Ihre Mitarbeiter … Sie wollen uns doch nicht unser Prioritätsrecht streitig machen? Bitte sehr, wir müssen es akzeptieren — wenn Sie Ihre Ergebnisse eher veröffentlichen als wir! Arrogante Arschlöcher! Hier kann keine große Forschung betrieben werden, das ist hier ja die dumme Zone … Und weißt du, was wir hier zu hören bekommen? Förderung? Für Strömungsforschung? Was bringt das der Volkswirtschaft für einen konkreten Nutzen? Wir sehen diesen Nutzen nicht, tut uns leid. Tja. «Kittwitz trat an den Rand des Altans, umklammerte die Brüstung.»Weißt du, was ich möchte? Weg möchte ich.«
«Es soll einen Milliardenkredit der Bayerischen Staatsbank geben. Als Gegenleistung soll der Mindestumtausch für Kinder wegfallen.«
«Das ist ja unfaßbar humanistisch. Ja, kinderfreundlich war er schon immer, unser Staat. Franz Josef Strauß, der Erzimperialist, pumpt uns eine Milliarde vom harten Ausbeutergeld. Plötzlich führt der Weg ins Gelobte Land mitten durchs katholische Bayern … Soviel taugen sie also, die Prinzipien.«
«Außerdem soll es die Möglichkeit einer Heirat zwischen DDR-Bürgern und Ausländern geben, ebenso das Recht zur Beschwerde bei abschlägigen Bescheiden in diesem Punkt. Wenn das kein Fortschritt ist!«
«Dann kannst du dir auf der Leipziger Messe einen kapitalistischen Millionär angeln. Dürfte dir bei deinem Charme nicht schwerfallen, Judith. Und wenn du den Klassenfeind nicht bekommst, kannst du eine Eingabe verfassen. Oder wie wär’s mit einem Waffenschieber, der bei uns für den Irak einkauft? Prosit.«
«Du trinkst zuviel, Roland. Denk dran: Kaum war das Wort dem Munde mir entflohn — «
«Hätt’ ich’s im Busen gern zurückgehalten. Schiller, oder so ähnlich. Das weiß Herr Rohde. Nichts für ungut übrigens. «Er hob das Sektglas und trank Meno mit finsterer Miene zu.
«Herr Rohde, hier stecken Sie! Kommen Sie doch herein, Sie werden sich erkälten!«Frau von Arbogast winkte aus dem Fenster des Arbeitszimmers.»Und Fräulein Schevola und Herr Kittwitz! Ja, Jugend sucht sich, findet sich. Aber leisten Sie uns doch Gesellschaft, sonst wird drinnen nur über Politik, Autos und die Prostata gesprochen!«Sie schloß das Fenster.
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