«Darf … dürfte ich um ein Tänzchen bitten, Genosse Esch … Sch … Sie ham aber auch ’nen komischen Namen, Herr Ha-gestolz und Stol-zen-hahn.«
«Ich glaube nicht, daß Sie in Ihrem Zustand tanzen sollten, Frau Honich.«
«Kö-Könich der Zierfüsche, haha. So nennt man Dich. Komm, du elender Graf, du … Bolsche-figg.«
«Herr Rohde, ich ziehe es vor, eine Weile an die frische Luft zu wechseln, kommen Sie mit?«
«Dann tanz du mit mir … Nemo … Rohde. Noch so ’n komischer Name. Huch. Meine Brosche ist in deiner Soljanka.«
«Ich kann leider nicht tanzen, Frau Honich.«
«Du Schlappschwanz … einer wie der andere … nischt in der Hose … du«
«Sparen Sie sich’s. Bitte.«
«Mundbumser. Alle beide! Schwuchteln!«
«Tja, Nachtschicht. Und von den Zahnbürsten nix mehr übrig. Hat sich natürlich wie ’n Lauffeuer verbreitet quer durch die ganze Republik, daß es wahrscheinlich in der nächsten Zeit ’nen Zahnbürstenengpaß geben wird. Wir mußten reagieren! Die Leute haben ja gleich wie die Verrückten Zahnbürsten gehortet, da gab’s dann wirklich ’nen Engpaß. Aber die Japaner haben uns geholfen. Sofort ein Flugzeug mit Zahnbürsten geschickt. Wir haben ihnen dafür Fachwerk gegeben, von ’n paar Häusern in der Braunkohle, die mußten sowieso abgerissen werden. Sind die Samurais ja ganz scharf drauf. Bauen die originalgetreu wieder auf! Und wir hatten Zahnbürsten, made in Hongkong, denn die Japaner importieren das auch.«
«Ob es möglich ist, die Tugend zu lehren, das ist das Problem.«»Sehen Sie sich die Kaminskis an, denen die Honich eben eine Ohrfeige gibt. Ob sie weiß, was sie tut?«
«Meine Damen und Herren, ich bitte um Aufmerksamkeit für unsere Soli-Tombola! Keine Angst, jedes Los gewinnt! Tusch für unsere Frau Notar, die Ihnen vom Tele-Lotto bekannt sein dürfte … Unser Genosse Erster Sekretär zieht zuerst: entrollt das Papier: die Stirn glättet sich: er übergibt mir das Papier: ich lese: Geselliges Beisammensein mit Arbeiterveteranen des Elsa-Fenske-Heims, Erfahrungsaustausch bei Kaffee und Kuchen!«
«klick«,
sagte der Alte vom Berge,
«klick,
höre ich das Feuerzeug schlagen, das blaue Licht flammt auf, aber der Wind bläst es aus; nach Osten, nach Osten, der Tambour schrie, und der Soldat schnallte den Tornister fester. Nach Osten die Panzer rollten, es schrie der Größteführerallerzeiten Deutschland Deutschland; der Soldat hatt’ einen Kameraden, der riß den Brief seiner Liebsten auf, lachte, als er zu lesen begann, eine Kugel stanzte ein Loch in den Stahlhelm, da fiel er hintüber, und seine Augen starrten zum Himmel. Ein anderer Kamerad wollte gleich die Stiefel haben
klick,
und der Soldat hatte Wache nachts am Biwak am Fluß, und die Wache versah er schlecht, denn er las ein Buch im Mondschein, und es kamen Partisanen nachts zum Biwak am Fluß und erstachen die anderen Wachtposten, die nicht hinab zum Fluß gegangen waren, und erstachen die Kameraden im Schlaf, der Hund des Kompanieführers bellte endlich und die, die es noch konnten, sah der Soldat sich aufrappeln, er sagte nichts und schrie nichts, denn das konnte er nicht mehr; aber die anderen schrien und griffen zu den Waffen, Schüsse Schreie Feuer die roten Lanzen des Mündungsfeuers, und er sah, wie der Kompaniekoch mit einem Tranchiermesser
Du Sau du Sau du Russensau
einer Partisanin die Kehle durchschnitt, und vorher rollte die Schapka in den Schnee und das Haar fiel herab, das weiche blonde Haar
klick klick,
eine Hymne erklingt, im weißen Oval heben sich die Hände, der Größteführerallerzeiten tritt ans Mikrophon, erklärt die Olympischen Sommerspiele, Berlin, 1936, als eröffnet, ein Grammatikfehler, über den der junge blonde Mann nur eine Sekunde nachdenkt, denn gleich wird die Kamera mit der verwegenen jungen Regisseurin oben auf der Schienenkonstruktion auf seinen Pulk schwenken, deutsche Jugend turnt, antike Jugend, ewige Jugend vor einem Himmel aus blauer Seide, über den wie ein schlankes Bügeleisen ein Flugzeug schlittert, der Puls des blonden jungen Mannes rast, er spürt, wie seine Bewegungen mit denen der anderen Jungs: Gau Brandenburg Gau Breslau Warthegau zu etwas Höherem verschmilzt, er sieht die lachenden Menschen auf den Tribünen, hört die vor Begeisterung flimmernde Stimme des Stadionsprechers, was für ein herrlicher Tag, was für ein herrliches Leben, dann sucht der blonde junge Mann den Blick seines Vaters, er steht in der Abordnung der schlesischen NSDAP, der Blick ist stolz zum ersten Mal, und der blonde junge Mann spürt etwas, das die Kehle zuschnürt, durch die Adern steigt es, in die Augen, ein Schwimmer frei wie die lichten Wolken hoch dort droben
Schnee. Frau Holle schüttelt ihre Betten. Alte Frau mit gütigem Gesicht, manchmal sah man es in den Seen schlummern, zwischen den Seerosen verzittern, wenn die Hechte erwachten. Schnee, der die Schlammfurchen der Wege Rußlands füllte, weicher, schleichender Schnee. Die Pferdeleiber dampften, der Schirrmeister und der Soldat rieben sie trocken. Sie wieherten und ruckten die Köpfe ängstlich zurück, scheuten im Geschirr, die Augen wie Pechklumpen. Flocken, langsam sinkende Hände, weiße sechsfingrige Hände, strichen den Kameraden übers Haar, die Schultern, betasteten die Zelte, Funkwagen, Kräder, Panzer. Weiße Hände schnitten weiße Weidenzweige, flochten weiße Körbe um das Biwak. Weiße hinabgestreute hinabtauchende Daunenhände, die schmolzen nicht mehr; vor Moskau, der Soldat sah die Türme: den Spasski, den roten Stern auf der Lomonossow-Universität, die farbigen Zwiebelkuppeln der Basilius-Kathedrale; vor Moskau, schraffiert von der Flak, zog der Winter seinen Eisschraubstock an, geriet die Kompanie zwischen seine Kältezangen. Der Schnee wurde rauher, streichelte nicht mehr, und manchmal hörte der Soldat Fetzen von Liedern oder Stimmen heranwehen, die kleine Meerjungfrau war tot, die rote Blume lag gefroren im Malachitberg, der Soldat meinte den fallenden Schnee scheppern hören zu können, wie Zinntellerchen klirrten die Flocken. Ein Kamerad ließ neben ihm Wasser, es gefror vom Boden herauf; er brach es fluchend ab. Schnee verpackte die Kübelwagen, die Decken auf den Pferden, die mit ihren bereiften Nüstern an die steifgeeisten Zelte stupften. Schnee sperrte die Panzer, die auf Moskau rollten, und dann gefror der Diesel, dann gefror das Öl, und die Soldaten der Kompanie sahen die Menschen auf den Straßen Moskaus hin- und herhasten, sahen Straßenbahnen und Transparente.«
«Und links- und rechtsherum der Schwung, das hält die Lebensgeister jung, Tanz in den Mai, Genossinnen und Genossen!«
«Was kommt herauf aus tiefem Schlaf der Zeit«, hörte Meno Eschschloraque murmeln,»aus tiefem Schlaf der Zeit, und dann, Rohde, diese aufzitternde Melodie, diese empor-, ja, aufflackernde, schwanenweiße Melodie, Stern über Moskau, und Lewitan sprach, aber kennen Sie ihn, kennen Sie ihn nicht? Sie waren ein kleiner Junge, ich weiß, ich kenne Ihren Vater, ich kannte Ihre Mutter, was kommt herauf aus tiefem Schlaf der Zeit?«
«klick«,
sagte der Alte vom Berge,»Farnzunge knisterte aus dem Volksempfänger, Lale Andersen sang Lili Marleen, und Zarah Leander sang Ich weiß es wird einmal ein Wu-hunder gescheh’n, deutsche Frontweihnacht, und Goebbels schrie, und der Größteführerallerzeiten schrie, und die Reichsrundfunkstimmen, und die Russen schrien. Urrääh urrääh, sie brachen vor Moskau aus, schwarze Punkte erst am weißen Horizont, Nadelstiche, verfließende Schwärme, dann Klumpen, dann Nester, und dann kamen die Panzer von den Flanken auf uns zu, und unsre lagen mit vom Eis geknackten Ketten und hatten keinen Sprit, und ein Kamerad schoß mit einer Panzerfaust in den Öltank eines T 34, der leckte, das Öl eine schwarze Spur im Schnee, und brannte, die Flammenspinnen liefen über die Ketten, aber der T 34 fuhr weiter, die fuhren auch ohne Öl, und dann überm Kameraden in seinem Panzerloch einmal rechts gedreht, der Soldat feuerte das Magazin leer, aber es machte nur pling pling pling auf den Panzerflanken, und einmal links gedreht, bis die Schreie des Kameraden nicht mehr zu hören waren, und dann drüber, und der Soldat nahm eine Handvoll Schnee und sah sie an, er wußte nichts anderes
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