Judith Schevola blickte durch das Mikroskop, als Meno zurückkam.»Die sind doch nicht etwa ansteckend?«
«Wovon reden Sie?«fragte Meno irritiert.
«Von den hübschen Dingen auf Ihrem Objektträger natürlich.«»Na, Dinge sind es ja nun nicht«, sagte Albin, der ebenfalls durch das Okular spähte.»Klären Sie uns auf, Herr Rohde. Ich sehe nur Pünktchen, Striche und Kommas.«
«Ich habe kein Präparat mitgebracht«, Meno beugte sich übers Mikroskop,»Kokken in Eosin-Färbung, auf den ersten Blick. Es muß jemand eingeschoben haben.«
«Eosin, welch poetischer Name in den kühlen Bezirken der Gewebekunde«, lebte der Eselskopf des alten Eschschloraque auf.»Eos, die rosenfingrige, lateinisch Aurora. Und jener Schuß im Jahre Siebzehn, der eine Bresche schlug ins Tor der Zeit. Was ich fragen wollte, Fräulein Jahrestief: Wie fliegt es sich mit dem Kälterat? — Doch silentium, Kameraden. Unser Fürst greift nach dem Wort.«
Barsano sprach schlecht, aber kurz. Es waren die gleichen Phrasen wie immer, und Meno fragte sich, ob Barsano glaubte, was er sagte, ob es einen Mann gab hinter diesem, so wie er es von Londoner kannte, der im Professorenkollegium und bei sonstigen Gelegenheiten ganz anders sprach als zu Hause im vertrauten Kreis. Über Barsano war einiges im Umlauf, Londoner hatte Meno berichtet, daß der Erste seit einiger Zeit in Berlin nicht mehr gut angeschrieben stehe, zu nahe sei er» den Freunden «in Moskau, zu groß seine Sympathie für gewisse Ideen des Vorsitzenden des Obersten Sowjets. Es habe» Besuche «gegeben. Jetzt lag der alte Londoner krank im Haus am Zetkinweg, doch erst gestern hatte er sich an der Lesung eines Stücks mit verteilten Rollen erlabt, Menos Aussprache des Englischen verbessert und bei Lieblingsstellen so vergnügt-mitgerissen sekundiert, daß die Krankheitsabsage Meno nachdenklich stimmte. Doch hätte Londoner, davon war Meno überzeugt, mindestens Philipp, Judith, die Eschschloraques und ihn davor gewarnt, auf Barsanos Fest zu erscheinen, wenn dies gefährlich gewesen wäre. Vielleicht, sann Meno, hatte Londoner aber eine solche Warnung absichtlich unterlassen, da es die Glaubwürdigkeit seiner Entschuldigung erhöhte, wenn zwar er selbst fehlte, seine Nächsten jedoch anwesend waren; so würde Barsano kaum Verdacht schöpfen. Die Machtverhältnisse schienen im Fluß zu sein … Barsano war im» Neuen Deutschland «angegriffen worden, dies hatte die» Prawda «mit jenem» Befremden «kommentiert, das für Ausschläge in den Seismogrammen sorgte und selbst weniger geübte Beben-Leser alarmierte.
Ein Conferencier übernahm, er trug den gleichen roten Schlips wie der Pianist, der mit ausgestreckten Armen und geschlossenen Augen ins Leere tappte (man hatte das Klavier umstellen müssen); auch die anderen Musiker der Tanzkapelle waren rotbeschlipst, was zu einem algigen Auf- und Abschwanken rhythmisch gekreuzter Sperrfeuer führte, als die Spieler begannen, geschmackvoll an Evergreens herumzumassieren; Routine, die Meno an Verkäuferinnen auf dem Striezelmarkt denken ließ, die ebenso nüchtern und effektiv beim Abpacken ihrer Tannenbaumschmuckkugeln vorgingen wie diese Instrumentalisten beim Abgreifen ihrer klingenden Seelentröster. Judith Schevola beugte sich zu ihm:»Eins, zwei, drei, wieder ’n Takt vorbei. Sozialistische Arbeitsmoral, angewandt auf die Tanzmusik. So schweigsam, Herr Rohde? Eigentlich müßten Sie Kiebitz heißen. Ich bitte um eine von Ihren ›Orient‹«.
… aber dann auf einmal …
Else Alke streifte im Vorübergehen Blumen, die Blumen verwelkten. Malthakus und Witwe Fiebig und die Meerkatzen tranken Punsch, begannen sich auf den Stühlen hin- und herzudrehen, als hielte es sie kaum noch; die Beine zuckten zur Musik.
klick,
hörte Meno neben sich, eine Feuerzeugflamme erhellte Judith Schevolas Züge, Altberg gab ihr Feuer. Vom Tisch Barsanos drang das fiebrige Lachen der Burgfräuleins, Wodka, Punsch, Korn rannen durch die Kehlen, Augen glänzten wie tollkirschgeschwärzt. Meno hörte Hundegebell, hörte, wie der Wind Stimmen herantrug, durch die träumerisch verlangsamten Bewegungen der Feiernden über die Tische und beiseitegebogenen Akkorde der Tanzkapelle; Geheul und Wehklagen; aber es mochte eine Täuschung sein wie die beiden Grüngekleideten am Fenster, wie die durch einen Wust von Geräuschen leise, doch klar zu verstehende Stimme Eschschloraques, der zu Philipp sagte:»Ich habe mir deine Papiere durchgesehen; soviel ich davon verstehe, steuern wir auf eine Pleite zu. Das ist brisantes Material, wenn die Zahlen stimmen, und ich kann nicht begreifen, weshalb man die Augen davor verschließt.«
Der Conferencier warf den Kopf zurück wie ein Hengst, die dreiwettertaftgehärtete Mähne wirkte glasiert im Diskolicht, der Schnurrbart liftete sich auf einer Seite, entblößte lange Zähne:»Es darf getanzt werden, meine Damen und Herren!«
Heinz Schiffner, die Augen im Ausschnitt Babett Honichs, suchte in den Falten seiner Toga vergeblich nach einem Kamm.
… aber dann auf einmal …
«Den interessieren doch solche Berichte nicht. Weißt du, was er sagt? ›Das ist für mich ganz ohne Wert. Das ist genau das gleiche, was in der Westpresse steht.‹ Deshalb kümmert es ihn nicht.«»Weil nicht sein kann«
«— was nicht sein darf. Ich würde stutzig werden, wenn mir die Grauleite das gleiche berichtete wie der Spiegel. Dann könnte ja womöglich was dran sein. Aber die ganz oben denken genauso, das ist das Schlimme.«
«Neulich haben sie sich im Politbüro mit dem Damenschlüpferproblem beschäftigt. Es gibt keine Damenschlüpfer, weder in Berlin noch im unwichtigen Rest«, sagte Albin Eschschloraque,»man wollte ein Damenschlüpferproblembeseitigungskonzept entwickeln. Nun hatte aber der Frauenbund schon eine Zeitungskampagne gestartet, mit Schnittmuster, wie man Damenschlüpfer selber nähen kann.«
«Die beiden Kaminskis gehen als Engel. Gott, wenn Tugend lehrbar wäre.«
«Aber hören Sie doch nicht auf diesen Eschschloraque, Rohde! Mit dem werden wir auch noch fertig. Dieser Graf mit französisch geschliffenem Mundwerk — der den Kommunismus nur deshalb will, weil dann jeder Zeit haben wird, in seine Stücke zu gehen!«
«Ach, Paul, bist du etwa neidisch?«
«Und du, Lührer? Wo man dich trifft, quatschst du von Westreisen und Valutatantiemen!«
«Herr Schade, was ich Ihnen schon lange mal sagen wollte — «»Ach, Sie gibt’s auch noch, Fräulein Schevola?«
«Wie Sie sehen.«
«Na schön. Das muß ja nicht so bleiben. Und was ist es, das Sie mir sagen wollen?«
«Sie können nichts.«
«Was?«
«Gar nichts. Sie sind ein Funktionär, aber kein Schriftsteller, geschweige denn ein Dichter.«
«Ich sage Ihnen … ich sage euch, die Juden … die haben schon wieder Macht. In Amerika hetzen sie gegen uns, lassen uns die Kredite sperren … Wir haben mit Japan abgeschlossen. Die Japaner helfen uns. Gibt eben doch gewisse Charaktereigenschaften, Volks … dings.«
«Du bist ja betrunken, Karlheinz. Du … widerlich.«
«Trag’s mit Fassung, Schorsch Altberg. Wie Genosse Londoner. Reg dich nicht auf. Mensch, das Zeug hat’s in sich. Fast wie die Ziehharmonika beim Chef.«
«Damenschlüpfer? Sollen sie sich doch Pionierhalstücher umbinden — wie die Honich! Davon gibt’s doch genug.«
«Karlheinz, ich habe bisher nie was gesagt, wenn du solche Reden geschwungen hast. Aber jetzt möchte ich, daß du Philipp und Judith um Entschuldigung bittest.«
«Nanu, was ist denn in dich gefahren? Hast du jetzt auch was zu melden, Schorsch? Sonst hältst du am besten die Klappe. Du bist doch erledigt, ich meine — tot.«
«Mag schon sein. Übrigens ist es gar nicht so schlimm, tot zu sein. Man gewöhnt sich an alles. Wenn du dich nicht entschuldigen willst, gebe ich deine Aussage an die Parteikontrollkommission weiter.«
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