«Ach. Du willst mich anschwärzen? Dazu kann ich nur sagen: Viel Erfolg! Von diesen Vögeln kriegst du noch ganz anderes zu hören!«
«Tugend, Tugend! Ich frage Sie nach Tugend, mein lieber Altberg, und Sie antworten mir — mit Tugenden. Machen Sie doch nicht immer aus einem vieles: wie diejenigen, die etwas zerbrechen!«
«Und was wäre sie, Ihrer Meinung nach, mein lieber Eschschloraque? Darf ich Ihnen übrigens zu Ihrem Kostüm gratulieren? Dieser Eselskopf steht Ihnen ausgezeichnet.«
«Ich wußte, daß Sie darauf anspielen würden. Nun, nicht jeder will so tief steigen — oder sollte man sinken sagen — wie Sie … Daß man sich des Schönen erfreut und desselben mächtig ist. Das sagt der Philosoph. So verstehe ich denn unter Tugend dies, voll Begier nach dem Schönen imstande zu sein, es sich zu verschaffen. — Herr Ritschel, hier. Bitte. Auch unser Tisch ist einmal an der Reihe. Ich hätte gern den Marmelzitterrochen probiert, der so entsagungsvoll von Ihrer Fischplatte schaut.«
«Nach Ihrer Logik, mein lieber Eschschloraque, wäre jeder Freier, der sich eine hübsche Hure kauft, ein höchst tugendhafter Mensch. Voll Begier ist er nach dem Schönen, und genügend Geld dürfte er auch in der Tasche haben.«
«Sie sind zynisch, Altberg. Das paßt nicht zu Ihnen. Der Zyniker beginnt im Leben zu sterben.«
«Entschuldigen Sie, mein lieber Eschschloraque, daß ich lache. Sie und ein Tugendbold. Das ist ei-gen-t-lich etwas für Arbogasts Witzesammlung.«
«Ich bin ein Tugendbold, insofern Tugend etwas Nützliches ist. Ach was, Altberg! Ich war oft mit Nützlichem beschäftigt.«
«Nützlich, doch nicht gut!«
«Gut, weil nützlich! Graben Sie, Bergmann, graben Sie.«
«Und immer bei den Mächtigen, mein lieber Eschschloraque. Denen geselle zum Trunk und zum Schmaus dich, sitze bei denen, zeige gefällig dich nur denen, die mächtig im Staat.«
«Aber, aber, das Verslein geht noch weiter, Sie gestatten, lieber Altberg, daß ich fortfahre? Nur von den Besten erlernst du das Beste; verkehrst du mit Schlechten, dann ist bald auch dahin, was du besaßt an Vernunft.«
«Damenschlüpfer? Pionierhalstücher?«
«Mein Mann, na ja. Frühmorgens denke ich immer, mit einem Walroß verheiratet zu sein. Dann stehen seine Haare zu Berge, er nimmt den Zahnputzbecher, schäumt mit der Zahncreme herum und gurgelt, daß es eine Art hat. Dann bläst er das ganze Zeug durch seine Bartstoppeln in den Ausguß. Ich beobachte ihn und denke: Mit so was bist du nun verheiratet, seit dreißig Jahren im Zwangskasten. Und dann die ewigen Umzüge. FDJ-Studienjahr, Aufbaulehrgänge, Aufbaustudium in Moskau, Parteisekretär in Provinznestern, dabei hatte er mir versprochen, daß wir mal nach Berlin gehen … Meine Freundinnen haben alle ihr Häuschen im Grünen und dazu Datsche und Auto, sogar zwei Autos die meisten, und wir? ’ne Neubau-Dreizimmerkifte, weil er nicht in den Block A wollte, und weil ein Parteimitglied Vorbild sein muß, und er die korrupten Typen, die sich Genossen nennen dürfen und das Ansehen der Partei schänden, nicht ausstehen kann … Dafür sitz’ ich da und frage mich manchmal: Mädel, was hast du aus deinem Leben gemacht?«
«Die Anatomie des Auges ist eine einfache, lieber Rohde. Es geht, als ob man etwas schriebe, in einem Brief etwa, in klarer, deutlicher Sprache, so einfach wie möglich, und der andere liest doch nur, was eine fremde Optik, eine optische Täuschung, über das Blatt als Sinn legen — das eine steht geschrieben, aber das andere wird verstanden.«
«Ach, hätt’ ich nur genommen den König Drosselbart, ach, hätt’ ich den nur genommen.«
«Diese mausetoten Scheißkerle! Ideale! Gott, die hatten doch nie welche! Die wollten Geld verdienen, richtig auf ’n Putz haun, vielleicht sogar ’n Westauto ergattern, das ist ihr Horizont! Sozialisten, die ziehen die Idee des Sozialismus in den Dreck, nichts weiter!«
«Philipp, achte auf deine Worte.«
«Das ist ja das Schlimme: Daß man auf seine Worte achten muß.«
«Sag mir, wo du stehst — «
«Herr Ritschel, bitte noch was von Ihrem Chemikerpunsch! Ich will Ihnen was sagen, Rohde. Das mit dem roten Komma — vergessen. Hat mich im stillen sogar amüsiert.«
«und welchen Weg du gehst«
«Ich bin Aufklärer, das heißt: Kritiker, Ironiker, Ungläubiger, vielleicht. Denn vielleicht glaube ich noch nicht einmal daran, daß ich an nichts glaube. Sie sind Romantiker, und das heißt, daß Sie zum Kapitalismus beitragen. Denn die Sehnsucht und das Heimweh treiben die Welt, aber das Treiben, eben, ist Kapitalismus. Der Stillstand ist die Utopie. Deshalb will ich, daß die Uhren nicht schlagen, deshalb bin ich für den Winter. Sie glauben, als Romantiker, der Welt zu entsagen, sie zu fliehen. Unsinn! Sie treiben sie an … pursuit of happiness, so steht es in der amerikanischen Verfassung. Ein romantischer Grundsatz. Und der Wappenspruch des Imperiums des Ich.«
«Meine Damen und Herren, für Sie intoniert: Songs von Karat! Für euch, die ihr den Regenbogen liebt, hat Karat das magische Licht entzündet: haben Henning und Bernd ihre Saiten verzaubert, hat Micha seinen Pulsschlag getrommelt, haben Herbert und Ed ihr Bestes gegeben! Und übrigens: Es darf immer noch getanzt werden!«
«Ich habe ein Bild gesehen, lieber Eschschloraque, Eisschollen, die durch die gefrorene Oberfläche eines Sees schießen; Relikte waren es, Vergangenheit im Jetzt. Ob es einmal eine Gesellschaft geben wird, die ganz aus Vergangenheiten besteht?«
«So erschrocken, Herr Altberg? Keine Angst, ich werfe es niemandem vor, wenn er zu denken wagt, daß es nach dem Sozialismus noch etwas anderes geben könnte.«
«Da haben Sie schon anders geklungen, bester Eschschloraque!«
«Judith, komm doch mit! Es wird eine großartige Zeit sein. Wir werden Geschichte schreiben …«
«Mir genügen schon Geschichten. Sag dich von Marisa los.«
«Ich kann nicht. Das kann ich einfach nicht. Ich liebe euch beide, eben … euch beide, und jede auf besondere Weise.«
«Sagte Casanova: Ich bin treu, in jeder Beziehung.«
«Mir wirfst du Spießbürgerlichkeit vor, und selber? Judith.«
«Und was sagen Sie, Meister Kiebitz? Soll ich mitgehen? — Sie schweigen. Immer schweigen Sie.«
«Er wird seine Gründe haben, Judith. Ich bitte dich: komm mit.«
«Es darf getanzt werden! Da sind schon einige mutige Paare beim Tanz in den Mai!«
«Es ist ein Geheimnis sowohl der Natur wie des Staates, daß es sicherer ist, vieles zu ändern als etwas einzelnes — «
«Du bist heute argwöhnisch, Trude.«
«Ach, weißt du, mein lieber Ludwig, der Argwohn ist unter den Gedanken, was die Fledermäuse unter den Vögeln sind: sie flattern stets im Dämmerlicht.«
«Eine Krankheit ist’s, die alles stet zerfrißt. Guten Abend.«
«Ah, Herr Eschschloraque. Wie geht’s Ihren beiden Maschinen? Haben Sie meine Bleistiftsendung bekommen?«
«Macht das Gemüt bewölkt, die Stirnen dunkel, mißtraut dem Zucker, nennt ihn süßestes der Gifte, läßt Freunde auseinandergehen und nährt die Nessel Eifersucht. Schiefkrumm kriecht’s da die Zeit entlang … ein Wald von Argwohn, voll von finsterem Getier.«
«Dieser Eschschloraque — früher hätte man so was wie den verhaftet. Was meinen Sie? Der kommt doch von früher? Ja … wir hätten wachsamer sein müssen. Von seiner Größe und Unsterblichkeit ist er felsenfest überzeugt … Wissen Sie, Rohde, daß er seine Werke für den Feuerfall hat auf Stahlplatten gravieren lassen, aus dem Freitaler Edelstahlwerk? Er besitzt einen Bunker unter seinem Haus Zinnober, da drinnen liegen sie.«
«Auf die Japaner ist Verlaß. Sie lieben die deutschen Orchester über alles, vor allem unsere Staatskapelle. Wir hatten ja neulich … vielleicht wissen Sie das. Es stand nicht in der Presse. Also dieses Zahnbürstenproblem. Ein russischer Artillerist war besoffen und hatte Frust, und da hat er, Heidewitzka, ’ne kleine Artillerierakete auf Reisen geschickt. Die hat ausgerechnet die Hauptproduktionshalle unseres Zahnbürstenwerks getroffen. Gottseidank war keiner drin, die Werktätigen von der Nachtschicht saßen beim Skat.«
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