«Kraftstoff-Dreiwegehahn auf innere Behältergruppe eingestellt«, meldete Pfannkuchen.
«Prüfung Fahrerleitanlage. «Christian drückte auf die Knöpfe des Geräts, mit dem er den Fahrer bei Ausfall des Bordsprechfunks dirigieren konnte. Backbord grün, Steuerbord rot, wie in der Seefahrt.
«Links. Rechts«, wiederholte Pfannkuchen Christians Kommandos.
«Na — Kupferbolzen?«Der Ausdruck für» Angst haben«. Einer der Lehrgefechtsfahrer beugte sich zu Pfannkuchen in die Luke.»Bin noch nie abgesoffen.«
«Paß aufs Zwischengetriebe auf. Hatte beim letzten Mal die Abdeckplatte vergessen, bloß so ’n kleines Leck, und ’s pladderte rein wie ’n Gebirgsbach. He, Nemo«, rief der Lehrgefechtsfahrer,»Pfannkuchen soll rüber auf die Eins, dem Fahrer vom KC is’ schlecht geworden.«
«Und wer kommt dafür?«
«Nutella.«
Christian stellte die Führungswelle, über die der Kompaniechef mit den Kommandanten kommunizierte, und die Bergewelle, mit der man den Abschleppanzer rief, am Bordfunkgerät ein. Nebenan, bei Irrgang, wurde zweimal gehupt, ein Diesel röhrte auf. Christian sah hinüber: Der Richtschütze hielt das Gas am Bowdenzug durch die geschlossene Fahrerluke, der Fahrer blickte auf das Manometer, Irrgang hielt eine Stoppuhr in der Hand, hob den Arm. Die waren also schon bei der Unterdruckdichtprobe — und hatten sie bestanden, nach Irrgangs Grimasse zu urteilen. Man hatte kaum noch miteinander zu tun; jeder ging seiner Wege und versuchte, so gut wie möglich an die Wand zu kommen … Schweigen, Ducken, Unsichtbarwerden. Lügen. Christian hatte Anne nicht die Wahrheit geschrieben. Die Kunst des sachgerechten Lügens — wie man enthusiastisch lobt, wie man mit ernster Miene Torheiten sagt, die leer sind, aber dem Beschmeichelten gefallen, wie man Illusionen nährt. Herr Orré hatte sich Mühe gegeben. Und Irrgang hatte seinen Witz verloren. Nach dem Dienst lag er meist auf seinem Bett, starrte an die Decke und hörte Costas schwermütige Musik, die er sich vor Costas Entlassung auf Kassetten überspielt hatte. Ging er auf Ausgang, kam er betrunken zurück. Sie kriegen dich klein, hieß das wohl. Der große Irrgang, nie verlegen um ein freches, schnelles Wort, machte jetzt vor jedem Offizier vorschriftsmäßig Männchen, diskutierte nicht mehr, sagte im Politunterricht die vorgeschriebenen Sprüchlein auf, schnitt heimlich die Monatssiegel von der Siegelschnur, die die unteren Diensthalbjahre zur Kennzeichnung der bei der Armee verbleibenden Tage benutzten … Dichtprobe bestanden, sie machten weiter. Dreißig Sekunden mußten vergehen, bevor der Druck von 1200 auf 200 mm Wassersäule gefallen war. Christians Panzer hatte das, seitdem er Kommandant war, noch nie geschafft; wie die meisten Panzer des Regiments war auch sein T55 ein» Bock«, ein» Ofen«, ein» Eisenschwein«, eine» Mühle«, da half auch die beste Wartung nichts. 25 Sekunden hielt Panzer 302 dicht, trotz Unmengen verschmierten UF-Kitts, fünf Sekunden zuwenig eigentlich für die bevorstehende Übung, aber wie hieß es: Eigentlich ist Sonnenschein, man sieht’s nur nicht vor lauter Regen.
Burre. Als Fahrer war der eine Niete, daran änderte alles Mitleid nichts.
«Ich soll bei dir mitmachen«, meldete er sich. Er versuchte ein Grinsen, kippte den Kopf, enterte auf den Panzer.
«Los, los, Beeilung, Zeit läuft!«drängte der Zugführer, der die Besatzungen kontrollierte.»Da ist ja noch der Trieb offen, zu das Ding, aber dalli!«
Burre verschwand im Fahrerluk.
«Jalousien Stellung fünf«, befahl Christian, leuchtete mit der Handlampe. Motten flogen, die Kiefern rochen nach Harz.»Stellung zwo!«Der Richtschütze und er trampelten die Triebwerksverriegelung zu.»Verriegeln!«Kontrolle an den Ösen: Der Trieb war geschlossen. Muska hatte schon das UF-Rohr justiert, verlegte die Bergetrossen, kordelte die Schwimmerbojen fest, vorn weiß, hinten rot. Bei der ersten UF hatte Christian sie verwechselt und sich dafür das Gebrüll des Schlepperkommandanten anhören müssen. Ein Panzer wurde bei Havarie an der Hecktrosse herausgezogen, an der die rote Boje befestigt war —»wenn du liegengeblieben wärst, hätt’ ich deinen Bug rumzerren müssen, sind schon Leute bei abgesoffen, du Knalldrüse!«–
«Lieber Christian: Hier ist das Kometenfieber ausgebrochen, alles summt Halley, Halley; selbst Herr Honich, den wir als robusten Materialisten kennen, hat zu den Vorträgen der Witwe Fiebig, neulich beim Anstehen nach Semmeln, keine seiner auf wissenschaftlicher Dialektik beruhenden Abweisungen vorgebracht — zu eindrucksvoll war es doch, wie in der Kometennacht (ich habe sie im Urania-Kreis in Arbogasts Sternwarte verbracht, Ulrich war dabei, Barbara und Gudrun kamen später), gerade in dem Moment, wo der Himmel aufklarte und die Sternbilder auf einmal in einem Reichtum erschienen, daß wir glaubten, babylonische Sterndeuter zu sein, — wie in diesem Moment die Uhren schlugen, alle gleichzeitig, so schien es, ferne und nahe; ein Plingen, Gongen, Glöckeln, Schellen, Blechen und Westminstern, als hätten sich die Ziffernblätter verabredet, und dabei war ja diesmal der Komet auf der Nordhalbkugel gar nicht zu sehen; nur Witwe Fiebig wollte das nicht glauben und reckte den Hals, schrie auch ›Dort, dort! Da ist der Schwefelschweif!‹, was aber nur ein Streich von Herrn Malthakus gewesen war, der einen anachronistischen Silvesterknaller aus den Rosen unterhalb des Arbogastschen Institutsgeländes hatte steigen lassen. An einen Streich, eine nicht ganz glaubhafte Sache, dachten wir auch, als neulich Professor Teerwagen verhaftet wurde. Ein Spion soll er sein, heißt es; zwielichtige Geschäfte in Mexiko; die Frau scheint von alledem nichts gewußt zu haben und ist jetzt Patientin von Doktor Clarens in der Akademie. — Lange wird wunderlich. Am Kometenabend, nach den Vorträgen (Stahl sprach über Staudämme, Ulrich über die Babylonier), veranstaltete Arbogast eine Führung durch sein Anwesen, lächelnd und undurchsichtig wie immer, plötzlich ächzte der Schiffsarzt und faselte, auf eine versiegelte Flasche weisend: ›Aus Blei, sie ist aus Blei, und oben das Siegel, goldverkrustet — König Salomos Flasche!‹ — ›Aber Herr Lange, lachte Arbogast, wer wird denn solche Märchen glauben! Das ist ein im Weingeist gefangener achtzehnzwölfer Beute-Cognac, aus den Vorräten Kutusows, er hat sie an der Beresina dem flüchtenden französischen Generalstab abgenommen!‹ Libussa kommt manchmal herunter und nimmt mich beiseite: Das ganze Geld trage der Alois für Segelschiffe weg, Fotografien, Flaschenschiffe, Bücher; manchmal murmele er im Schlaf die Namen der Laeisz-Kapitäne, die Namen der Schiffe, kenne alle ihre Legenden, jedes ihrer Segel — dabei sei er doch selbst nie auf einem Segelschiff gefahren! Und was antworte er? ›Meine kleine Brunetka‹, erwidere er, ›ich muß mich doch auskennen, wenn das große Höllenschiff kommt und der Heuerbaas mich in die Mannschaft fordert …‹ Das sind so die neuesten Geschichten von hier oben. Wenn Du Bücher brauchst, laß es mich wissen. Libussa ruft mir eben einen Gruß für Dich zu. Sie will ein Paket mit Eingewecktem für Dich fertig machen. Frau Honich hat hier eine Timurhilfe für ältere Menschen eingeführt, geht für sie einkaufen, macht Behördengänge (immerhin, löblich), der Mann schleppt Kohlen, will auch das Paket zur Post bringen. Kann also sein, daß ein sozialistischer Gruß beiliegt für Dich. Ehrenvollerweise stehst Du ja für uns alle auf Friedenswacht. Du sollst es als Lebenserfahrung nehmen, ruft Libussa. Buchenswert, meint Kellner Adeling alias Mager. Es grüßt Dich herzlich Dein Meno«
25 Sekunden bei der Dichtprobe, der Zugführer hatte den Kompaniechef geholt, der hatte abgewinkt:»Fährt! Eh die Wanne voll ist, sind die drüben!«Christian saß auf der Ladeschützenseite, ab jetzt galt Funkverkehr über die Führungswelle der UF-Trasse; er war aufgeregt, durch das Periskop sah er nur hin und wieder einen Lichtschein, vielleicht vom Regiment im Wald, vielleicht schon von der Elbe, vom Berge-Schützenpanzerwagen, dem Pionierboot oder den Schlepper-Zugmaschinen. Die Kontrolldurchlaßstelle war passiert, sie fuhren jetzt in der Ablauflinie im Marschband, Muskas Panzer vor ihm, der Goldschmied hinter ihm, Burre gab zuviel Gas und lenkte zu unruhig, das UF-Rohr, das nun aufgerichtet war, scharrte an Zweigen. Der Kursanzeiger, ein Kreiselkompaß, mischte sein Singen ins Funkknacken. Hoffentlich war Burre mit dem Kursanzeiger vertraut — wenn nicht, konnte der Panzer von der Trasse abkommen, sofern es Christian nicht gelang, mittels Periskop zu führen. Sicht: eine untertassengroße Scheibe, mehr nicht. Drüben, am anderen Elbufer, waren Fluchtlampen aufgebaut worden, auf die mußte man einstellen, bevor es losging.
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