Wallner zieht die Tür zur Sauna auf.
Auf den Liegestufen sind schon zwei Handtücher ausgebreitet.
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„Ja?“
„Laß uns das irgendwie hinter uns bringen. Daß wir da neu anfangen.“
„Es tut mir. .“
„Ich weiß schon. Ich weiß doch. Ich habe Sachen falsch gemacht, und du hast Sachen falsch gemacht. Vielleicht können wir das jetzt zu so einem Wendepunkt machen. Laß uns einfach versuchen zu vergessen, was da passiert ist.“
Es entsteht eine Pause.
„Ja?“
„Ich hätte das alles nicht ohne dich. Also du weißt, daß ich das alles hier, die Firma, die Sache mit meinem Vater, daß ich. .“
„Ich weiß.“
Es entsteht eine Pause.
Er hat seine Hand in ihre gelegt, drückt sie, fest.
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27. September
München. Konen. Bettenrid. Mövenpick . Sonne.
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Er wirft einen Blick von der Zeitung auf Ana und Costin und sagt: „Also langsam wird mir das unheimlich. Jetzt hat der Kuhn schon wieder ein Gesetz erlassen. Jetzt können die ohne weiteres hier Wanzen anbringen, hier reinkommen, einfach so und mein Tagebuch lesen. .“
„Du schreibst Tagebuch?“ fragt Costin.
„. . also gut, dann eben dein Tagebuch. .“
„Ich habe kein Tagebuch“, sagt Costin.
„. . also irgendein Tagebuch halt dann, ist doch egal, die Sache ist doch: Die können einfach in privaten Sachen rumstöbern, auf bloßen Verdacht. Versteht ihr? Auf bloßen Verdacht.“
„Nein“, sagt Ana.
„Doch“, sagt Wallner, ohne von der Zeitung aufzuschauen. „Steht hier alles drin. Die schreiben das ja auch einfach so, als wäre es das Normalste von der Welt, und hier regt sich ja auch keiner auf, in anderen Ländern, Skandinavien, Frankreich wäre das undenkbar, aber warum soll man sich hier auch darüber aufregen, man kann. .“
„Man kann ja eh nichts machen!“ sagt Costin schnell.
Wallner schaut Costin überrascht ins Gesicht. Wallner ist sich nicht sicher, ob Costin das eben ernst gemeint hat.
„Ich sage euch: Irgendwann, spätestens wenn ich in Rente gehe und der Uli den Laden übernimmt, dann hau ich ab!“ Costin ist jetzt Wallner. Wie Wallner verleiht er den Wörtern Nachdruck, indem er beim Reden die Augen für Momente schließt und mit dem Kopf nickt. Wallner wird erst jetzt bewußt, daß er selbst eben diese Geste gemacht hat, er macht sie immer, aber er achtet gar nicht mehr darauf. Ana lacht. Sie möchte nicht mitspielen, um Wallner zu ärgern, findet Costins Vorstellung aber anscheinend witzig und vor allem auch treffend. Wallner könnte Ana und Costin erzählen, daß er glaubt, neulich abends in der Firma einen Einbrecher gesehen zu haben, und daß Wiget irgendwoher erfahren hat, daß Wallner bei Dr. Kaduk war.
Wallner sagt: „Macht euch nur über euren alten Vater lustig.“
Costin sagt: „Jaha. Dann hau ich ab und nehme mir ’ne Wohnung in Paris! Da kann man auch mit wenig gut leben. Die Franzosen sind da viel weiter als die Deutschen. Savoir vivre kommt nicht von ungefähr. Jaha. Ihr lacht.“
Wallner hat zu lachen begonnen. Einerseits ist das zwar ein bißchen peinlich, so vorgeführt zu werden. Andererseits macht Costin das aber gerade richtig gut, und Wallner möchte kein Spielverderber sein.
Er sagt noch einmal: „Macht euch nur über euren alten Vater lustig“, weil er weiß, daß Ana dann gleich zu ihm schauen und etwas Tröstendes sagen wird.
Ana schaut zu ihm und sagt: „Aber nein. Du weißt doch, wie das gemeint ist.“
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Er sitzt mit übereinandergeschlagenen Beinen und verschränkten Armen auf dem Sessel vor dem Schreibtisch in seinem Büro.
Vor seinem inneren Auge sieht er das Bett in seinem Schlafzimmer. Ana und er schlafen miteinander. Er stützt sich mit den Armen von der Matratze ab, die beige Decke mit Karomuster ist bis zu seinem nackten Gesäß gerutscht. Unter ihm liegt Ana. Sie hält sich mit beiden Händen an seinen Schultern fest und hat die Beine angewinkelt. Der grau-schwarze Haaransatz in Wallners Nacken ist naß. Er hat dabei die Stirn in Falten gelegt, den Mund leicht geöffnet. Seine Augen sind zusammengekniffen.
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Das Glastischchen steht links von seinem Schreibtisch, die Stehlampe aus dem Wohnzimmer in Bergisch-Gladbach, die den Eltern seines Vaters oder seiner Mutter gehörte, ist hinter der Milchglasscheibe im Sekretariat als gelber Fleck sichtbar, das schwarz bezogene Sofa, das, soviel er weiß, seine Eltern für ihr erstes Haus in Leverkusen kauften und auf dem er als Kind mit Soldatenfiguren spielte — die Rille ein Schützengraben —, befindet sich jetzt in Wigets Büro, davor der Orientteppich, den die Eltern seiner Mutter von einer Reise aus Indien mitbrachten. Mit der weißen Kaffeemaschine aus der Küche seines Vaters machen alle Angestellten in der Teeküche der Firma im ersten Stock ihren Kaffee.
Wallner liest am Schreibtisch gerade die Unterlagen für das Projekt Brandenburg . Nach der Landflucht der vergangenen Jahre, die weite Teile Brandenburgs verwaist zurückließ, garantiert die Landesregierung jedem Bauern, der zurückkommt, das nötige landwirtschaftliche Gerät für zwei Jahre umsonst zur Verfügung zu stellen. Wallner & Wiget wurde aufgefordert, dem Landwirtschaftministerium ein Angebot zu unterbreiten. Wallner weiß, daß außer Wallner & Wiget noch zwei andere Firmen für das Projekt angefragt sind — van Riet in Hamburg und Gries in Jena, der den Standortvorteil hätte. Vieles wird von der Video-Konferenz übermorgen nachmittag abhängen, dem Eindruck, den er und Wiget beziehungsweise Wallner & Wiget bei den Vertretern des Bauernverbunds Brandenburg und dem Landwirtschaftsministerium machen werden. Sollten sie den Auftrag erhalten, würde das nicht nur unmittelbare finanzielle Auswirkungen haben, auch langfristig würde sich das auszahlen, die Bauern, sofern das Projekt von Erfolg gekrönt ist, würden ihnen über Jahre, Jahrzehnte hinweg die Treue halten und weiter bei ihnen Ersatzteile für neue Maschinen kaufen, der Kundenstamm würde sich maßgeblich erweitern. Wallner und Wiget könnten die Zahl ihrer Beschäftigten vergrößern, sie könnten Anteile an einer zweiten Firma erwerben, dann, wenn es wirklich gut läuft, an die Börse gehen, die Geschäftsleitung würde dann, wie schon mehrfach besprochen, in einen Rat umgewandelt werden, sie, das heißt momentan noch er und Wiget, wären dann zu viert, zu fünft, vielleicht.
Wiget ist vorhin hereingekommen, hat gesehen, daß Wallner, der kurz den Kopf gehoben hat, die Unterlagen für das Projekt Brandenburg studiert, und hat sich hinter ihn gestellt, wahrscheinlich, um mitzulesen. Er legt die Hand auf Wallners Rücken, genau zwischen die Schulterblätter. Schon seit dem Beginn ihrer Freundschaft macht Wiget diese Geste. Die Geste bedeutet Zuspruch.
Zum ersten Mal legte Wiget ihm damals, erinnert sich Wallner, im Wohnheim in Regensburg die Hand auf die Schulter, in der Stockwerkküche, nachts, als Wallner sich allein zugesoffen hatte und Wiget plötzlich auftauchte. Wallner hatte vor sich hin gelallt, er scheiße auf die ZVS, er scheiße auf Regensburg, er scheiße auf BWL, er scheiße auf seinen Alten — in diesem Moment hatte Wiget gefragt, wie lange er schon hier im Wohnheim sei, er habe ihn ja noch nie gesehen, er komme wohl nicht aus Regensburg, er, Wiget, sei ja auch nicht von hier, er komme ursprünglich aus Cham, ob er Cham kenne, in der Oberpfalz, ihm gehe es also genauso.
Warum hatte Wiget ihm eigentlich die Hand auf die Schulter gelegt? Wallner glaubt jetzt, er, also Wallner, habe damals zu flennen angefangen. Vielleicht hatte ihre erste Annäherung auch erst später stattgefunden, beim Wohnheimfasching, als er, als Scheich oder Pirat verkleidet, an der Wand im von Stroboblitzen erhellten Atrium lehnte und er Wiget wegen der lauten Musik und dem Johlen der Gäste ins Ohr brüllte, die Neue im Wohnheim, die Rumänin, sei in diesem Moment in seinem Zimmer, in seinem Bett, wenn Wiget es genau wissen wolle, er, Wallner, hätte sie eben gefickt — gefickt, habe er verstanden?
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