Maureen hingegen strahlte auf jedem Bild reine Glückseligkeit aus. Sie lachte und scherzte und warf der Kamera Kusshände zu, sie umarmte den verdutzten Pfarrer und schwang das Mädchen durch die Luft, bis es kreischte. Sie hatte nie heiraten wollen, und wenn doch, dann frühestens mit dreißig. Jetzt war sie fünfundzwanzig und konnte sich nichts anderes mehr vorstellen, als mit Lennard den Rest ihres Lebens zu verbringen. Gedanken an die Ehe ihrer Eltern wischte sie weg in der Gewissheit, dass sie und ihr Mann es anders machen würden, besser. Einmal im Monat rief sie zu Hause an und hielt ihre Mutter über ihr Leben auf dem laufenden. Obwohl sie mittlerweile seit mehr als zwei Jahren in Philadelphia wohnte, erzählte sie Orla, sie sei noch immer auf Reisen, auf der Suche nach dem richtigen Ort, dem richtigen Job und deshalb telefonisch nicht erreichbar.
Sie hasste es, ihre Mutter zu belügen, aber nur so schien es ihr vermeidbar, dass diese plötzlich bei ihr auftauchte, im Schlepptau Eamon, den zu verlassen Orla sich in einer Mischung aus Loyalität, schlechtem Gewissen und Fatalismus nach wie vor weigerte. So unbegreiflich für Maureen die Aufopferung ihrer Mutter war, so wenig verstand Orla, weshalb ihre Tochter wie eine heimatlose Seele durch Amerika flirrte. Alle paar Monate war Orla fest entschlossen herüberzukommen, aber dann erfand Maureen eilig eine neue Reise, eine neue Stelle, die ihr angeboten wurde, eine neue Wohnung, in die sie ziehen musste.
Als sie Lennard kennenlernte, war Maureen versucht, ihrer Mutter von dem Mann, den sie liebte, zu erzählen, aber als sie kurz davor war, verkaufte Eamon das Haus in Cork und zog mit seiner Frau in den Nordwesten, zurück in die Gegend, wo er aufgewachsen war, und von diesem Zeitpunkt an wurde Orla immer schweigsamer und schien die Absicht, ihre Tochter zu besuchen, bald vergessen zu haben. Maureen spürte, wie ihre Mutter unter dem Umzug litt, und als sie Lennard davon erzählte, schlug der vor, Orla solle eine Weile bei ihnen wohnen. Aber Maureen wollte warten, bis sie eine neue, größere Wohnung oder ein kleines Haus fanden oder sie schwanger war. Sie hatte Lennard nie vom Reichtum ihrer Eltern erzählt, nie erwähnt, wie einfach es wäre, sich Geld schenken zu lassen oder zu leihen, und sie tat es auch jetzt nicht. Orla schien noch immer darauf zu hoffen, dass ihr Kind in Amerika scheitern und reumütig nach Hause kommen würde. Aber Maureen hatte ihren Stolz. Sie wollte es ohne die finanzielle Hilfe ihrer Eltern schaffen, wollte ihrer Mutter ein ordentliches Gästezimmer bieten, einen erfolgreichen Mann präsentieren und ein wundervolles Enkelkind in die Arme legen.
Die Flitterwochen, die aus Geldmangel auf ein Wochenende gekürzt wurden, verbrachte das Paar in einem Familienhotel in Norristown, dessen mondänste Attraktion ein allabendlich in farbiges Licht getauchter Springbrunnen in der Empfangshalle war. Auf einem Schild wurden die Gäste darauf hingewiesen, dass das Werfen von Münzen in das Brunnenbecken zur Erfüllung eines Wunsches führen, die Hotelleitung jedoch nicht für unerfüllte Wünsche belangt werden könne. Lennard und Maureen ließen je einen Cent ins Regenbogenwasser fallen, und beide glaubten zu wissen, was der andere sich wünschte.
Über ein Jahr dauerte es, bis Lennard sein Cello baute, das erste, bei dem Salvador ihm nicht half, ihn nicht korrigierte und nicht einmal eingriff, wenn er einen Fehler machte. Aber Lennard machte keinen Fehler, und wenn doch, bemerkte er ihn rechtzeitig und behob ihn. Als das Instrument fertig war und einige Tage geruht hatte, bat Lennard Salvador, darauf zu spielen. Der Mann, der inzwischen ohne seine Brille völlig blind war und immer öfter vergaß, den Topf mit dem Holzleim zu schließen oder die Pinsel ins Glas mit Verdünner zu stellen, bevor der Lack aushärtete und sie unbrauchbar machte, setzte sich auf den Schemel, strich den mit Rosshaar bespannten Bogen leicht und mit geschlossenen Augen über die Saiten, drehte die Schrauben am Wirbelkasten, bis die Töne rein waren und warm und voll klagender Schönheit, drückte dann den Rücken durch und spielte. Er war kein besonders guter Cellist, und seine Finger, die in bald achtzig Jahren kaum einen Tag der Untätigkeit erlebt hatten, waren oft plump, wenn er sie flink, und kraftlos, wenn er sie stark haben wollte. Er kannte nur drei kurze Stücke, zwei von Brahms und eines von Bach, aber er legte so viel Herz in sein Spiel, dass die Abweichungen von der Perfektion nicht ins Gewicht fielen, die Missklänge untergingen im mächtigen Schall, der den Raum ausfüllte wie etwas Greifbares, und die Langsamkeit seiner störrischen Hände die Melodie dehnte, als wolle er sie mit Absicht nicht enden lassen.
In der Nacht des Tages, an dem Salvador zum ersten Mal auf Lennards Cello spielte, wurde das so lange ersehnte Kind gezeugt, das drei Monate später im Bauch seiner Mutter starb. Ein Wunder müsse geschehen, sagte der Arzt, wenn Maureen noch einmal schwanger werden sollte, und ein weiteres, wenn sie das Kind würde austragen können. Die magische Kraft der beiden Münzen, die vielleicht noch immer auf den bunten Fliesen des Hotelspringbrunnens lagen, war aufgebraucht, und nach einem Monat voller Schmerz und Wut richtete Maureen sich in ihrem beschädigten Leben neu ein, arbeitete wieder als Kellnerin und hörte nicht auf, an Wunder zu glauben.
Mit ihrer Mutter telefonierte Maureen nur noch selten, und wenn sie es tat, verkamen die Gespräche zu einem distanzierten Hin und Her von Belanglosigkeiten und Wiederholungen. Es war, als gäbe es eine geheime Abmachung zwischen den beiden Frauen, die es ihnen untersagte, über ihr Unglück zu sprechen. Statt von der Unmöglichkeit, mit Eamon dort oben zu leben, erzählte Orla von einem Garten, den sie trotz des rauhen Wetters anlegen wollte, von Spaziergängen am Strand und Möbeln, die sie sich aus Dublin liefern ließ, und Maureen erfand weiterhin Reisen quer durch das Land, leere Wohnungen und vielversprechende Arbeitsplätze. Irgendwann waren die Pausen, während derer Mutter und Tochter schweigend auf das leise Rauschen in der Leitung horchten, immer länger geworden, und schließlich beschränkte sich Maureen auf kurze Pflichtmeldungen alle paar Monate und eine Grußkarte zu Weihnachten und Orlas Geburtstag.
Lennard verkaufte das Cello an eine Musikschule in Boston, dessen Rektor ein guter Freund von Salvador war. Weil das Geld trotzdem immer knapp war und Maureen darauf beharrte, etwas zur Seite zu legen für das Kind, das sie irgendwann haben würden, nahm er eine Stelle in einer Schreinerei an, die sich auf die Restaurierung wertvoller Möbel spezialisiert hatte. Abends und an den Wochenenden baute er in der Werkstatt, deren Miete er inzwischen alleine bezahlte, Instrumente. Schon bald hatte ein Cello, das im dunklen Bauch den Sandberg-Schriftzug mit dem Notenschlüssel im ersten Buchstaben trug, einen guten Ruf als solides, zuverlässiges Instrument ohne Allüren, das vor allem Anfänger kauften und Leute, die kein Vermögen ausgeben konnten. Aber es gab auch Musiker, die den Klang und die Verarbeitung eines Sandberg-Cellos schätzten, insbesondere wenn Lennard wertvolles, gut gelagertes altes Holz verwendete, das Salvador über Jahrzehnte hinweg zusammengetragen hatte.
Als eine Cellistin, die in New York im Rahmen eines Festivals für Kammermusik auftrat, Lennard bat, zu kommen und sie auf seinem Instrument spielen zu hören, fuhren er und Maureen in Begleitung der Onettis mit dem Volvo los, ohne lange zu überlegen. Lennard und Maureen waren seit Jahren nicht über die Grenzen von Pennsylvania hinausgekommen, und die Onettis hatten das letzte Mal die Stadt verlassen, um als Trauzeugen zu fungieren. Sie stiegen in einem Hotel ab, das erschwinglich und trotzdem zumutbar war, gingen ihren Möglichkeiten entsprechend nobel essen und hörten sich am Abend das Konzert in einem Theater in Brooklyn an. Am nächsten Tag unternahmen sie einen Ausflug nach Liberty Island. Weder Lennard noch Maureen hatten die Freiheitsstatue zuvor gesehen, und Sofia füllte einen ganzen Film auf ihrer betagten Kamera. Nach dem Mittagessen waren Salvador und Sofia so müde, dass sie sich in einem Taxi zum Hotel bringen ließen. Lennard und Maureen nahmen die U-Bahn hinaus nach Coney Island, wo sie auf dem Riesenrad fuhren und am Strand spazierengingen. Auf einem Steg, der in die sanfte Brandung des Atlantik ragte, holte Maureen eine Streichholzschachtel voll Dimes und Quarters aus ihrer Handtasche, Münzen, die sie beim Wischen am Boden des Restaurants gefunden und zu Glücksbringern erklärt hatte. Dann nahm sie Lennards Hand, schloss die Augen und ließ die Geldstücke ins Wasser fallen.
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