Erst am Tag zuvor hatten sie sich kennengelernt. Sheikh Abdullah, auf einen Gruß vorbeigekommen, traf im Zimmer von Hadji Wali auf Ali Agha, einen breitschultrigen Mann mit gewaltigen Augenbrauen, feurigen Augen, dünnen Lippen und einem Kinn, an dem man ein Boot hätte vertäuen können. Dieser Mann war ihm schon mehrmals aufgefallen, wie er mit militärischem Gehabe durch die Herberge stolzierte, eine Hand angelegt, als befände sich eine Waffe an seinem Gurt. Sein Gang wurde von einem Hinken gehemmt, und er versuchte, seine Kultiviertheit mit einer übertriebenen Schroffheit zu verhüllen. Die Unterhaltung mit ihm verlief schleppend. Er bediente sich des Arabischen nur, wenn er sich verständlich machen mußte, ansonsten sprudelte es türkisch aus ihm heraus. Als Hadji Wali in den Hof gerufen wurde, beugte sich Ali Agha zu Sheikh Abdullah und flüsterte ihm zu: Raki? So etwas gibt es in diesem Haus nicht, antwortete der Sheikh vorsichtig, worauf der albanische Offizier von den irregulären Truppen höhnisch grinste und den Sheikh einen Esel schimpfte.
Doch am nächsten Tag suchte Ali Agha ihn wie selbstverständlich in seinem Zimmer auf. Er redete sich in Fahrt, holte kaum Atem, zog gierig an der Wasserpfeife und begleitete seinen türkischen Schwall mit Gesten, die durch die verrauchte Luft schlugen. Als er sich schließlich erhob und der Sheikh es ihm nachtat, schlang er seine Arme um dessen Taille, als wollte er Kräfte messen. Der albanische Offizier traute dem indischen Arzt wenig zu, so locker und nachlässig war sein Griff. Im nächsten Augenblick flog er durch die Luft, sein Kopf landete auf der Matratze, sein Hintern auf dem steinernen Boden und seine Beine knapp neben der Wasserpfeife. Er richtete sich auf und blickte seinen Gastgeber zum ersten Mal mit Interesse an. Wir beide, wir werden gut miteinander zurechtkommen! Er richtete sich auf. Du darfst mir noch eine Pfeife anbieten. Er stemmte die Fäuste in die Hüften. Ich bleibe noch ein wenig. Aus frisch erworbener Hochachtung vor dem Sheikh wechselte er ins Arabische und radebrechte eifrig wie zuvor, aber nun verständlich, von den Heldentaten seines Lebens. Zur Veranschaulichung krempelte er die Ärmel hoch, zog die Hosenbeine hoch, zeigte auf Wunden, er folgte mit seinem Finger den Topographien alter Verletzungen, denen alles nachgesagt werden konnte. Bei uns in den Bergen, selbst Kinder spielen mit dem Leben, wer einen Türken ärgert, wird von allen anderen geachtet. Ich war der Frechste, der Türke hat angelegt, ich hatte keine Angst, die Kugel hat mein Schienbein zertrümmert. Drei Elogen auf die eigene Größe später erklärte er den Arzt zu seinem Kumpanen, weswegen er ihn um einen kleinen Gefallen bitten müsse, etwas Gift solle er ihm geben, ein Gift von geringer Wirkung, das niemals lügt, da gebe es diesen Feind, der ruhiggestellt werden müsse. Er zeigte sich nicht überrascht, als der Arzt sofort eine Schatulle öffnete und ihm fünf Körner überreichte. Vorsichtig ließ er sie in das Säckchen fallen, das ihm um den Hals hing. Hätte er nachgefragt, der Arzt hätte ihm wahrheitsgemäß mitgeteilt, es handele sich um Kalomel, oder — wenn dir dieser Begriff geläufiger ist — Hornquecksilber, das regt den Harn und die Galle an und führt ab wie kein anderes Mittel. Zum Abschied zwang der Bashibazuk dem Sheikh eine Umarmung auf und beschwor ihn, wir müssen zusammen trinken, nicht jetzt, aber am Abend, am späten Abend, du kommst in mein Zimmer.
Als es still war in der Karawanserei, schlich Sheikh Abdullah mit dem Dolch im Gürtel in das Zimmer von Ali Agha. Keiner würde etwas merken; zudem, er konnte jederzeit wieder gehen. Nur auf ein Glas, wegen der Geschichten, die der Albaner zum besten geben würde. Es war an der Zeit, daß er sich mal wieder unverhohlen amüsierte. Bei seiner Ankunft waren die Vorbereitungen für das Gelage abgeschlossen: Mitten im Zimmer standen vier Wachskerzen vor einem einsamen Bett. Daneben eine Suppe, eine Terrine mit kaltem Rauchfleisch, einige Salate und eine Schüssel mit Joghurt. Die Gerichte waren um zwei Flaschen herum aufgereiht, die eine dünn und lang, die andere flach und klein wie ein Flakon. Beide Flaschen waren zur Kühlung in nasse Fetzen gewickelt. Sei gegrüßt, Bruder. Du staunst über die Tafel? Hast du gedacht, ein Albaner weiß nicht, wie man trinkt? Nimm Platz, neben mir. Er zog seinen Dolch heraus und warf ihn in die Ecke, und der Sheikh tat es ihm nach, bevor er sich hinsetzte. Ali Agha nahm einen kleinen Becher in die Hand, inspizierte ihn peinlichst genau, wischte die Innenseite mit seinem Zeigefinger ab, füllte ihn bis an den Rand mit Schnaps aus der langen dünnen Flasche und bot ihn seinem Gast mit einer angedeuteten Verbeugung an. Sheikh Abdullah lobpreiste den Geber, während er den Becher entgegennahm. Dann leerte er ihn in einem Zug. Er setzte den Becher auf dem Boden ab, umgedreht, um zu demonstrieren, daß es mit rechten Dingen zuging. Die Zeremonie setzte sich Becher um Becher fort. Wasserschlucke linderten das Brennen im Rachen, löffelweise nahmen sie die Speisen ein. Der albanische Offizier hatte das Gelage alleine begonnen, er war vor einiger Zeit ausgelaufen und segelte mittlerweile auf hoher See, doch er schluckte einen Becher nach dem anderen, ohne die Selbstkontrolle zu verlieren oder seine Lust auf Epopöen. Bei uns in den Bergen, wenn zwei Männer Streit haben, ziehen beide ihre Waffe, setzen die Pistole dem anderen an die Brust. Ali Agha machte eine dramatische Pause. So streiten sie weiter, bis sie sich einig sind, wenn einer den Abzug drückt, wird er erschossen von dritten und vierten. Worauf der Bashibazuk das Gesicht seines Trinkkumpanen inspizierte, um unangemessene Spuren von Entsetzen oder Verachtung zu entdecken. Angesichts des belustigten Ausdrucks, den Sheikh Abdullah aufsetzte, griff er befriedigt nach dem Flakon, füllte seine Handflächen mit Parfüm und schlug sich den Duft auf die Wangen. Sheikh Abdullah folgte seinem Vorbild. Warte, keine weitere Geschichte! Er war der Roheiten überdrüssig, ihm war nach Verzauberung, ihm war danach, den Diktaten des Scharfrichters und dem kraftvollen Wohlgeruch zu entkommen mit einem Vers, einem passenden Vers, den er deklamierte, die ersten Worte wie Kanonenschüsse, damit der Albaner von allem anderen abließ:
Nacht ist angebrochen, Freund.
Schüre unser Feuer mit Wein.
Damit wir, beim Schlaf der Welt,
Im Dunkeln die Sonne küssen.
Die letzten zwei Zeilen sprach er wie eine Liebeserklärung. Was für ein Gedicht! Ali Aghas Gesicht leuchtete auf. Solche Gedichte gibt es! Er küßte den Sheikh auf die Wangen, einige Male, bis dieser das Gesicht des Albaners in seine Hände nahm und freundlich von sich schob. Sie leerten einen weiteren Becher und lehnten sich zurück; mit dem Mundstück in der Hand, bliesen sie genüßlich dicke Schwaden durch die Luft. Ali Agha begutachtete das Geleistete, er erklärte sich mehr als zufrieden mit dem Verlauf ihrer anständigen Sünde. Aber die Zufriedenheit sackte bald in sich zusammen, der Bashibazuk wurde unruhig, er benötigte weitere Höhepunkte. Er richtete sich auf, er preßte seine Handflächen zusammen und rief aus: Das ist es, Bruder. Wir müssen etwas Großes tun. Etwas wahrhaft Großes! Was gibt es schon Größeres als dies? fragte der Sheikh desinteressiert. Wir müssen unseren Freund Hadji Wali bekehren. Er weiß nicht, wie man das Leben genießt. Was für eine drollige Idee, bemerkte der Sheikh. Kennst du etwa ein lohnenderes Opfer? Nein! Der Bashibazuk war resolut. Es muß Hadji Wali sein, kein anderer. Wir werden ihm das Saufen lehren wie das Einmaleins. Er wird es uns danken, wenn es ihm so gut wie uns geht. Wieso denn nicht, torkelte es Sheikh Abdullah durch den Kopf, bei seiner Figur, wer weiß, vielleicht ist er bereit, ein Konvertit inkognito, vielleicht wartet er nur auf eine Einladung. Auf unsere Einladung. Er stand auf und erklärte mit übervoller Würde, er werde Hadji Wali holen.
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