So lehrte Sheikh Mohammed seinen Schüler Sheikh Abdullah, in dem vorderen Zimmer einer Unterkunft in einem Wakalah in Kairo, aber er war bereit, wie er am Ende ihrer Treffen laut und wiederholt verkündete, ihn überallhin zu begleiten, bis zur dunklen Seite des Berges Kaf.
Es ist eine Frage der Geduld, seiner Zunge Zeit zu geben, sich zu akklimatisieren, sich zu dehnen und zu strecken nach den gaumennahen, den kehlig asthmatischen Lauten. Seinen Oberkörper zu wiegen bei den Hebungen und Senkungen eines flüssigen Rezitierens. Der rechten Hand zu überlassen, was Rechtens und rein ist. Im Sitzen und in drei dankbaren Schlucken zu trinken. Seinen Bart in Verwunderung und Überlegung einzubeziehen. Jede Hoffnung, jeden Gedanken an die Zukunft in ein Inshallah zu kleiden. Sich daran zu gewöhnen, daß er nun, nach reiflicher Überlegung, ein Pathan ist, in Britisch-Indien geboren und aufgewachsen, und daher im Hindustani eher beheimatet als in den Dialekten seiner afghanischen Vorfahren. Er hat sich gewöhnt daran, es ist ihm geläufig geworden, selbstverständlich. Wie weit ist er gekommen seit damals, als er, der junge Student, auf eigene Faust die arabische Schrift zu entschlüsseln versuchte und einem Spanier stolz vorführte, wie fließend er schon schreiben konnte. Doch anstelle von Lob erntete er nur Hohn, der Señor mit einem jener drapierten iberischen Namen belehrte ihn, daß er rechts beginnen müsse. Es gab keinen Arabischunterricht in Oxford, keine Alternative zum Latein, falsch ausgesprochen von den Greisen, die sich nichts sagen ließen.
Viel schwieriger ist es, den Erwartungen an einen Derwisch zu genügen. Salbungsvolles Gerede ist von geringem Nutzen. Ebenso unangemessen wirkt überlegtes und zurückhaltendes Benehmen. Roh und ungezogen muß er sich geben, der Zivilisation kein Untertan, die kleineren menschlichen Sorgen verachtend, der rationalen Ordnung enthoben. Nähe zu Gott kann nicht mit den Gewichten gemessen werden, die im Basar Verwendung finden. Das Zikr singt er nach dem Morgengebet, bis seine Hingabe aufkocht und seine Rufe sich den schläfrigen Ohren seiner Nachbarn einprägen. Wer seinen Weg kreuzt, dem wirft er einen finsteren Blick voller verschlüsselter Drohungen zu. Er läßt keine Gelegenheit aus, Willige zu hypnotisieren — und wenn sie willenlos sind, fordert er sie zu Handlungen auf, die sie entlarven als lächerliche Kreaturen. Schmerzhaft sind die Lektionen eines Derwisch für Kleingeister und Krämer. Er wartet nicht lange, bevor er die Hypnotisierten zurückholt und sie auffordert, den Versammelten ihr Wohlbefinden zu bestätigen. Die Magie muß in der Heilung ihren Ausgleich finden.
Erstaunlich, wie schnell er es in Kairo zum begehrten Arzt gebracht hatte. Bald nach seiner Ankunft hatte er sich zu einem der Träger im Hinterhof der Karawanserei gesetzt und in dessen trübes Auge etwas Silbernitrat getröpfelt und ihm zugeflüstert, daß er — Sheikh Abdullah — niemals Geld nehme von jenen, die es sich nicht leisten könnten. Du verstehst, einem Derwisch gebührt fettere Beute. Am nächsten Tag klopfte der Träger an seiner Tür und bedankte sich — dem Auge ginge es viel besser —, und hinter ihm stand ein Freund, der ein anderes Leiden mitbrachte. Sheikh Abdullah verabreichte einige Pillen, der Zustand des Kranken verbesserte sich, ebenso der Ruf des neuen Medikus. Die Tür zu seinem vorderen Zimmer — ins innere Zimmer ließ er niemanden hinein — wurde belagert von Armseligen, die den Arzt auch nach ihrer Heilung aufsuchten, um ihm nun die Mittel abzuverlangen, jenes Leben zu erhalten, das er bewahrt hatte. Worüber er in Wut geriet, in schreckliche Wut, und die Fordernden sich rasch verabschiedeten, bevor dem Derwisch einfiel, daß er Schaden nicht nur abwenden, sondern auch heraufbeschwören konnte.
Nachdem das Volk ihn berühmt gemacht hatte, meldeten sich Patienten aus besseren Verhältnissen an, die ersten, die sich aufrafften, selber den Wahrheitsgehalt der Gerüchte zu überprüfen. Er wurde in ein Patrizierhaus gerufen, und fast hätte er einen gravierenden Fauxpas begangen, wäre ihm nicht im Hinterhof Hadji Wali begegnet, der sich wunderte, wohin der Arzt zu Fuß aufbrach. Der Händler beschwor ihn, er schulde es seiner Position, nach einem Diener mit Maulesel zu verlangen, der ihn abzuholen und zu geleiten habe, selbst wenn das Haus des Kranken sich um die Ecke befinden sollte. Einer meiner Leute kann die Botschaft überbringen, bot Hadji Wali an, und rief sogleich einen der Herumlungernden zu sich.
Auf dem Weg zum Patrizierhaus war es nützlich, so lernte er mit der Zeit, die Diener der Reichen auszuhorchen, die einem strengen Derwisch die Antworten nicht verweigern konnten. Kenntnis der Familienverhältnisse, der Befindlichkeiten, war die halbe Heilung. Er gab ein demutsvolles Entree, er verbeugte sich vor allen Anwesenden und führte die rechte Hand an seine Lippen und seine Stirn. Wenn sie ihn fragten, was er zu trinken wünsche, so verlangte er etwas, das mit Sicherheit nicht vorrätig war, um sich schließlich mit einem Kaffee und einer Wasserpfeife zu bescheiden. Er prüfte zuerst den Puls seines Patienten, betrachtete dann die Zunge und blickte ihm schließlich in die Pupillen. Er befragte ihn ausgiebig und führte dann seine Gelehrsamkeit vor. Seine Ausführungen waren mal griechisch, mal persisch furniert, oder zumindest, wenn sein Wissen nicht ausreichte, mit griechischen und persischen Suffixen angereichert. Der Patient redete ohne Amen von seinen Beschwerden — die Diagnose erkannte auf eine vorübergehende Schwächung einer der vier Verfassungen, worauf der Arzt aus Indien etwas Handfestes verschrieb, etwas Deftiges: ein Dutzend gewaltiger Brotpillen, getunkt in Aloesaft oder Zimtwasser, gegen die Dyspepsie des Wohlhabenden, und er versäumte es nie ›im Namen Gottes‹ eine schmerzhafte Therapie hinzuzufügen ›des Allbarmherzigen‹ die Haut regelmäßig zu reiben etwa ›des Erbarmers‹ mit einer Pferdehaarbürste. Die Behandlung gipfelte in dem unvermeidlichen Feilschen um das Entgelt. Der Arzt verlangte fünf Piaster, der Patient beschwerte sich, der Arzt gab sich unbeugsam, bis der Patient, über die maßlose Gier der Inder schimpfend, einige Münzen auf den Boden warf, sich weiter empörte, gar seine Heilung in Zweifel zog, und zu dem Schluß gelangte: Die Welt ist ein Kadaver, und jene, die nach ihr verlangen, sind Aasgeier. Der Derwisch konnte sich solch ein ungebührendes Verhalten nicht gefallen lassen: Er drohte, künftige Erkrankungen nicht zu behandeln, dies Haus auf ewig zu meiden und den anderen Meistern der Heilkunst nicht zu verschweigen, welch seelische Kränkung er hier erlitten habe.
Schließlich und letztlich hatte er ein Rezept zu hinterlassen, weswegen er um Feder, Tinte und Papier bat, und dann schrieb er, in einer Schrift, die ihre eigene Verschnörkelung kaum im Zaum halten konnte … im Namen Gottes … Lob an den Herrn aller Welten, den Heiler, den Gesunder … und Friede sei mit seiner Familie und seinen Begleitern … danach möge er aber Honig und Zimt und Album Graecum zu gleichen, halben Einheiten vermengen, und ein ganzes Teil von Ingwer, das zu mahlen ist mit der Honigmischung, und daraus sind Kügelchen zu drehen in Fingernagelgröße, und täglich eines von ihnen auf die Zunge zu legen, bis es mit dem Speichel zerrinnt. Wahrlich, die Wirkung wird wundersam sein … und er möge Abstand halten von Fleisch und Fisch, von Gemüse und Süßspeisen und von aller Nahrung, die Blähungen oder Sodbrennen verursacht … so wird er gesunden durch die Hilfe des Herrschers und Heilers.
Und der Friede — Wassalaam!
War das Rezept mit dem Ringsiegel des Arztes versiegelt, am Anfang sowie am Ende des Textes, so hatte sein Besuch ein erfolgreiches Ende gefunden, und der Abschied verlief in beiderseitig ausgesprochener Hochachtung.
An den Sharif von Makkah,
Abd al-Muttalib bin Ghalib,
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