— Ich möchte einen Paß beantragen.
— Wo kommst du her?
— Aus Indien.
— Wozu brauchst du einen Paß?
— Für die Hadj.
— Name?
— Mirza Abdullah.
— Alter?
— Dreißig.
— Betätigung?
— Arzt.
— Arzt? Soso, ein Arzt aus Indien? Soll ich nicht Quacksalber hinschreiben?
— Scharlatan wäre mir lieber.
— Du wagst es, mir zu widersprechen?
— Im Gegenteil. Ich bestätige nur Ihr Urteil.
— Besondere Kennzeichen, abgesehen von Unverschämtheit?
— Keine.
— Das kostet einen Dollar.
— Einen Dollar?
— Dafür erhältst du den Schutz des mächtigen britischen Imperiums. Das wird dir doch einen Dollar wert sein.
— Das große Imperium benötigt meinen Dollar?
— Schweig, du Henne, sonst laß ich dich hinauswerfen. Unterschreibe hier, wenn du schreiben kannst. Wenn nicht, kritzele ein Zeichen deiner Dummheit aufs Papier. So. Nun mußt du noch zum Zabit, die hiesige Polizei muß den Paß gegenzeichnen, sonst ist er nicht gültig.
Er wird nicht nur Arzt sein. Auch Derwisch: eine hervorragende Kombination. Als Arzt wird er das Vertrauen der Menschen gewinnen. Wenn er ihnen helfen kann, nur wenn er ihnen helfen kann. Er traut sich einiges zu. Er hat in der Heilkunst schon dilettiert. Die letzten Monate hat er intensiv studiert, Buch für Buch sein Wissen erweitert. Nun bedarf er der Übung; an Gelegenheiten dürfte es in Kairo nicht mangeln. Die einheimische Medizin, sie hat sich seit Jahrhunderten von ihrem Goldenen Zeitalter entfernt; zudem, die meisten Menschen in diesen Breiten sind durch Suggestion zu heilen, und darin ist er ein Meister. Und die Gestalt des Derwischs wird ihn schützen vor den Angriffen der Bigotten. Ihm wird eine gewisse Narrenfreiheit zugestanden werden. Unübliches Verhalten wird ihm nachgesehen werden. Ein Derwisch kann aus der Mißachtung des Gesetzes seinen eigenen wirren Segen schöpfen. Es ist gut ausgedacht: Er heißt Mirza Abdullah, er ist Derwisch, und er ist Arzt.
Vom Zabit zum Muhafiz, wo er eine lange Weile kauerte, bis ein Amtsträger ihm die Information zuwarf, die Bestätigung sei beim Diwan Kharijiyah einzuholen. Er fand seinen Weg zu einem Gebäude von wirrer Geometrie, gewaltig groß, die Außenwände so weißgewaschen, daß ihr Anblick im grellen Sonnenlicht schmerzte. In den Korridoren krümmten sich die Harrenden. Es erwies sich als Fehler, die offenen Zimmertüren als Einladung zu verstehen. Der angesprochene Amtsträger richtete sich von seinem Pult auf, um seinen Schreien Nachdruck zu verleihen, inmitten von Aktenstapeln, die fast bis zur Decke reichten. Mirza Abdullah trat wieder hinaus. Die wenigen Bäume im Innenhof waren aller Blätter beraubt. Keine Brise schlüpfte an den Wachen am Eingangstor vorbei. Er richtete sein Anliegen an einen Offizier, der es sich in einem schattigen Plätzchen bequem gemacht hatte. Störe mich nicht, sagten die geschlossenen Augen und die ausgestreckten Beine, das feistbeglückte Gesicht. Schon bei der Anrede spürte der Fragesteller die Vergeblichkeit seines Bemühens. Keine Ahnung, grummelte der Offizier, kaum vernehmbar, mit unbewegten Lidern. Mirza Abdullah hätte es mit Bestechung versuchen können, aber das war verfrüht und nicht billig, oder mit einer Drohung, der seine armselige Kleidung jedoch keinen Nachdruck verleihen konnte. So blieb ihm nur die Möglichkeit, die jedem Bittsteller zur Verfügung stand, die Option der Machtlosen: Er konnte den Offizier beharrlich belästigen, bis dieser seiner Ruhe zuliebe etwas unternahm. Er trat einen Schritt vor und wiederholte seine Frage. Hau ab, zur lauten Antwort öffneten sich die Augen. Der Bittsteller hielt die Stellung, mit gesenktem Kopf und unbeugsamer Bescheidenheit. Er lehnte sich vor und äußerte sein Anliegen ein drittes Mal. Hau endlich ab, Hund du! Aber, flüsterte Mirza Abdullah, wie steht es mit der Brüderschaft unter Moslems … Sein Plädoyer brach ab, denn der Offizier entriß sich seinen Träumen, eine Nilpferdschwanzpeitsche in der Hand.
Mirza Abdullah suchte weiter nach Auskunft, wo immer sie verfügbar schien, bei anderen Polizisten, bei Schreibern, Stallburschen, Eseltreibern und Herumlungernden. Er fühlte sich zunehmend in einer Enzyklopädie verloren, die nur aus Querverweisen bestand. In seiner matten Verzweiflung bot er einem Soldaten Tabak an und versprach ihm ein sattes Geldstück, wenn er ihm helfe, und der Mann fand Gefallen an dem Tabak und der versprochenen Münze, er nahm ihn an der Hand und führte ihn von einem Hochgestellten zum nächsten, bis sie eine mächtige Treppe hinaufstiegen und sich in die Gegenwart von Abbas Effendi begaben, des stellvertretenden Gouverneurs, eines kleinen Mannes mit hochgezogenem Kopf und zwei kleinen Butteraugen, die auf Lauer trieben. Wer bist du? fragte Abbas Effendi, und seine Augen verloren den Appetit, als der Mann ihm als Derwisch auf Hadj vorgestellt wurde. Nach unten! spuckte er aus, eine für den Bittsteller unverständliche Angabe, doch dem Soldaten reichte dieser Bescheid, um ein Zimmer ausfindig zu machen, das sich mit seiner Angelegenheit befassen würde.
Er wartete vor der Tür, inmitten von Männern aus Bosnien, Rumelien und Albanien, allesamt barfüßig, breitschultrig, mit finsteren Augenbrauen und erzürnten Gesichtsausdrücken, Bergbauern, die lange Pistolen und Jatagans am Gurt trugen sowie einige Kleidungsstücke über der Schulter, und deren brodelnde Unzufriedenheit zum Ausbruch kam, als ein Untergeordneter verkündete, sein Herr, der Zuständige, sei an diesem Tag nicht mehr zu sprechen. Die Wartenden packten den Überbringer des Hohns am Kragen und bezichtigten ihn und seinen Herrn der Faulheit, und die Flüche, die aus ihrem Rachen knurrten, zwangen den Beamten zu elaborierten Entschuldigungen, Beschwörungsformeln eines Dompteurs, dem die Kontrolle über seine wilden Tiere entgleitet.
Am nächsten Tag erhielt Mirza Abdullah die Erlaubnis, jeden Teil Ägyptens frei bereisen zu dürfen.
Es war nicht leicht, zu den Zimmern in der Karawanserei hinaufzusteigen. Das enge Treppenhaus war besetzt. Die Stufen waren so steil, daß die Träger von Wand zu Wand schwankten. Auf die Träger folgten Frauen in massiger Gruppe, die ihr Gespräch Stufe um Stufe nach unten führten, während ihre Kinder die Lücken zwischen ihnen ausfüllten und mit ihren Händen die schmutzigen Wände entlangrutschten. Als die letzte der Frauen an ihm vorbeiging, erschienen oben drei Soldaten, die sich in der Enge einen Witz teilten. Sie blieben stehen, für die Pointe, und setzten ihren Abstieg grölend fort. Mirza Abdullah schlüpfte hinter ihnen sofort in den Aufgang. Auf halbem Weg kam ihm ein übergewichtiger älterer Mann entgegen, der keine Anstalten machte, sich gegen die Wand zu drücken. Mirza Abdullah stellte sich vor und der Mann auch: Hadji Wali, Händler, Stammgast in diesem Wakalah. Dürfte ich Sie einladen zu einem Tee? Höflich nahm Mirza Abdullah an. Ich muß einige Anweisungen geben, der Händler wies zum Innenhof und lachte wohlbeherrscht. Unten waren die Werkstätten, die Läden, die Lagerräume. Und ich muß hinauf, sagte Mirza Abdullah. Sie sind der Jüngere, meinte der Händler, diese wenigen Stufen, fast keine Anstrengung für Sie. Und er lachte wieder. Seine trübseligen Augen und sein redseliger Mund hatten sich offenkundig nicht miteinander abgesprochen.
Die zwei Zimmer, die jedem Gast zur Verfügung gestellt wurden, waren nicht möbliert. Flecken von der Größe zerquetschter Mücken dekorierten die Wände. Dicke Spinnweben hingen von den schwarzen Sparren hinab, durch die Fenster schlüpfte staubige Luft, vom ursprünglichen Glas war Fraktur geblieben, an Stellen mit Papier überklebt. Mirza Abdullah lehnte sich hinaus. Immerhin besser, als sich den Innenhof teilen zu müssen mit angebundenem Vieh, heulenden Bettlern und Dienern, die sich auf gewaltigen Baumwollballen ausstreckten und versonnen kratzten. Hadji Wali durchquerte den Innenhof, er winkte ihm zu und wiederholte mit Gesten die ausgesprochene Einladung. Wenig später tauchte ein Diener auf, der ihn ins behaglich eingerichtete Außenzimmer des Händlers führte.
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