An einem Sommertag
im Schatten unterm Baum
da liegt sie, da liegt sie
die Kleider zieht sie hoch
ihren Kopf zu schützen
so sagt sie, so sagt sie
vor des Mondes Strahlen.
39.
NAUKARAM
II Aum Yagnakaayaaya namaha I Sarvavighnopashantaye namaha I Aum Ganeshaya namaha II
Am zweiten Tag begann der Lahiya sich Sorgen zu machen. Es war nicht so, daß Naukaram noch nie ein Treffen versäumt hatte. Einmal war er erkrankt, und ein anderes Mal hatte er ihm eine vermeintliche Beleidigung nachgetragen. Aber beide Male hatte der Lahiya Bescheid gewußt. Doch dieses Mal gab es keinen Grund für sein Ausbleiben. Er war in letzter Zeit mutloser als sonst gewesen, willenlos fast, schlaff. Das war das Problem mit den niederen Kasten, sie gaben leicht auf, wenn sie Widerständen begegneten. Es war nicht angenehm, einen ganzen Tag am Straßenrand zu sitzen und auf jemanden zu warten. Inmitten dieser Schakale, die sich die Gelegenheit nicht entgehen ließen, ihn zu verspotten. Sie konnten es nicht verkraften, daß er seit Wochen einen Kunden hatte, der ihn täglich aufsuchte, zu dieser Jahreszeit, in der ein Auftrag in der Woche als ein Segen galt. Eine Angst bemächtigte sich seiner. Was wäre, wenn Naukaram verschwinden würde. Wenn der Bericht jetzt abbräche. Das würde die Geschichte verstümmeln. Das durfte nicht geschehen, sie waren fast am Ende. Jetzt abzubrechen, das wäre schrecklich. Er war von der Intensität seiner Furcht überrascht. Sie richtete ihn auf. Am Nachmittag beschloß er, Naukaram zu suchen. Keine leichte Aufgabe. Er wußte nicht, wo er wohnte, er wußte nur, er war bei Verwandten nahe dem Sarkaarvaadaa-Palast untergebracht. Er fragte in allen Läden des Viertels nach. Kennen Sie einen hochgewachsenen, gebeugten Mann, der als Diener bei einem Firengi gearbeitet hat? Kennen Sie jenen, der Naukaram heißt? Keiner kannte ihn. Als er ihn schließlich doch fand, war es dem Zufall zu danken. Er kehrte in eine Maikhanna ein, weil der Durst ihn quälte und seine Füße schmerzten. Bevor er etwas bestellen konnte, sah er eine vertraute Gestalt. Naukaram, der alleine an einem Tisch saß und kaum noch bei Sinnen war.
— Ich dachte, Sie trinken keinen Daaru.
— Außergewöhnliche Tage erfordern außergewöhnliche Getränke.
— Was ist geschehen?
— Nichts. Ich bin am Ende. Nur das.
— Wieso am Ende?
— Es geht Sie nichts an. Unsere Zusammenarbeit, wie soll ich es sagen, sie ist zu Ende.
— Sie wollen nicht mehr?
— Ich kann nicht mehr. Ich bin ein Mann ohne Wert. Ich habe keine Rupie mehr. Nur Schulden.
— Bei wem?
— Ich bin von einem Bruder zum anderen gelaufen, von Maamaa zu Kaakaa. Jetzt leiht mir keiner mehr was, und diejenigen, die mir etwas leihen könnten, die wollen zuerst das Geld zurückhaben, das sie mir schon geliehen haben. Ich bin bei fast allen verschuldet, verstehen Sie. Weil es so lange dauert mit diesem Brief, der keiner ist.
— Sie können jetzt nicht aufgeben.
— Du! Du hast die Geschichte in die Länge gezogen, um mich zu schröpfen. Du hast mich ausgeraubt. Ich mußte mir Geld ausleihen. Ich habe die Sachen verpfändet, die ich aus Europa mitgebracht habe. Ich habe bei meinen Verwandten gebettelt, um dein Honorar zusammenzukratzen. Du hast mich an der Nase herumgeführt. Ich bin bei der ganzen Stadt verschuldet, und was habe ich dafür bekommen, nichts, nichts in den Händen. Außer einem Schrieb, den keiner lesen will.
— Sie können jetzt nicht aufgeben. Hören Sie mir zu, wenn man so weit gekommen ist, muß man die Sache zu Ende bringen. Sie erinnern mich an einen Mann, der vor Jahren beim Diebstahl erwischt wurde. Der Richter bot ihm an, sich die Strafe selber auszusuchen: entweder ein Kilo Salz zu essen, hundert Stockhiebe zu erhalten oder eine Geldstrafe.
— Der Schwätzer bist jetzt du.
— Der Dieb entschied sich für das Salz, er aß und aß, er quälte sich, und als er fast alles aufgegessen hatte, da bildete er sich ein, er könne keine einzige Prise mehr essen, und er rief aus, genug, genug von dem Salz, ich will doch lieber die Stockhiebe auf mich nehmen. Er wurde geschlagen, neunzigmal, oder fünfundneunzigmal, da bildete er sich ein, er könne keinen einzigen Schlag mehr ertragen, und er rief aus, genug, genug von den Schlägen, laßt mich bitte die Geldstrafe zahlen.
— Schlauer Lahiya. Der dumme Diener, der nichts versteht. Du kannst lesen und schreiben. Du bist Brahmane.
— Wenn Sie kein Geld mehr haben, das macht nichts, ich stunde es Ihnen.
— So großzügig, auf einmal. Vier Rupien werden nicht ausreichen, fürchte ich. Erinnerst du dich daran? Mindestens acht Rupien noch.
— Lassen Sie uns diese alten Geschichten nicht aufwärmen. Es ist mein Beruf.
— Ein ehrenwerter Beruf, wenn es je einen gegeben hat. Der ehrenwerte Lahiya. So viele Bedürftige, die er ausnutzen kann. Es ist zum Aufschreien.
— Ich bitte Sie. Es wird Ihnen guttun, wenn Sie sich die Geschichte, die ganze Geschichte, vom Herzen geredet haben. Vergessen wir das Geld.
— Willst du mir etwa alles zurückerstatten?
— Ihre Geschichte, sie ist mir wirklich ans Herz gewachsen, wie ich es Ihnen schon einmal gesagt habe. Ich werde das Papier und die Tinte zur Verfügung stellen, Sie müssen nur noch einige Tage Geduld aufbringen. Und am Ende werde ich Ihnen ein Schreiben überreichen, wie es noch nie ein Diener in den Händen gehalten hat.
— Das reicht mir nicht. Das ist nicht gut genug. Du mußt schon was Besseres anbieten.
— Gut, hören Sie zu, mein allerletztes Angebot.
— Da bin ich aber gespannt.
40.
OHNE VERGLEICH
An dem Tag, an dem sie erkrankte, bat Kundalini Burton, sie zu heiraten. Er hatte das bleiche, hagere Gesicht ihrer Nervosität zugeschrieben. Er fühlte sich überrumpelt, und im nachhinein sah er sich selbst, in seiner erbärmlichen Reaktion, als unwürdig an, unwürdig, sie jemals verdient zu haben. Er verhedderte sich in Ausflüchten. Sie unterbrach ihn mit einem bitteren Lachen. Keine Sorge, mein Herr, wir werden weder viermal um das heilige Feuer noch zum Altar schreiten. Mein Wunsch betrifft allein die Gandharva- vivaaha, eine bescheidene Zeremonie, zu der es nur unserer Übereinkunft bedarf und zweier Girlanden, daß wir zusammenbleiben werden, solange wir zusammenbleiben wollen. Es ist eine Zeremonie des Selbstverständlichen. Wir benötigen für diesen Akt nicht einmal die Hilfe Dritter, die Gandharva, die himmlischen Minnesänger, werden für uns Zeugnis ablegen. Was ist das für ein Unfug, sagte er, was bringt dir so eine Übereinkunft? Sie flehte ihn an, es war ihr wichtig. Ich darf keinen Sterblichen heiraten, erklärte sie. Wieso nicht? Das kann ich dir nicht sagen, es ist eine Sache des Glaubens, der Hingabe an einen Tempel. Er gab sich unverständig. Sie flehte ihn an mit matten Augen. Es ist so, als sei ich schon verheiratet, mit einer Gottheit, mehr kann ich dir nicht sagen. Aber du darfst trotzdem diese zweite Heirat eingehen? Es wäre für mich eine Befreiung, du kannst es jetzt nicht verstehen, aber wenn du mir vertraust, ich verspreche dir, dann wirst du es verstehen. Er hätte sie beruhigen sollen, sofort zusagen, er hätte den flehenden matten Blick mit einem ›Ja‹ erfreuen sollen, aber er war von dem Wunsch besessen, die Starre in ihrem Verhältnis aufzubrechen. Er war zu sehr damit beschäftigt, die Situation auszunutzen, um sie richtig einschätzen zu können. Im nachhinein zerfraßen ihn die Reue und die Unsicherheit, und er fragte sich, ob sie geahnt hatte, wie krank sie war, ob er ihre Erkrankung sogar verschlimmert hatte, als er ihr beschied, bald Antwort zu geben, obwohl die Antwort bereitlag. Hätte er ihr Leben gerettet, wenn sie sich gleich vermählt hätten mit den Minnesängern als Zeugen? Es war Ausdruck seiner Verwirrung, daß er so etwas überhaupt für möglich hielt.
Читать дальше