34.
HERR DER HIMMLISCHEN HORDEN
Seit Tagen wartete alles auf den großen Regen. Die Wolken, aufgequollen und schwarz, schrumpften die Sonne zu einer glitzernden Münze. Wellen schlugen gegen die Kaimauer, immer höher, schlugen über sie hinweg; die Welt war unruhig. Die Häuser behaupteten sich gegen den Dunst, einige Vögel irrten schrill und steil durch die Luft, als fürchteten sie, das Fliegen zu verlernen. In Bombay, so war in der Gazette zu lesen, sprang eine Welle — wie die hungrige Zunge eines Chamäleons — auf den Deich von Colaba und forderte ein erstes Opfer; kein Fischerboot konnte die Frau in dem aufgewühlten Wasser finden. Zeitungsfetzen flatterten hinauf, höher als die Vögel, Bäume bogen sich, sie waren leichter als Halme. Einzelne Blätter flogen einem in den Mund wie Hostien. Vor dem ersten Tropfen zweifelte keiner an seinem Kommen, unmißverständlich verkündeten es die Gerüche. Der erste Tropfen war friedlich, gefolgt von weiteren auf spitzen Füßen, zum Aufwärmen. Harmlos, harmlos wie zarte Miniaturen am Fenster. Punkte, die vor dem Verrinnen einen Augenblick innehielten. Hinter ihnen ließ ein milchiger Schleier Straßen, Märkte, Häuser, Viertel verschwinden. Was war zu vernehmen? Trommeln, Schreie, die ekstatisch klangen, vom Wind angeschlagene Töne der Besserwisserei, die von den Palmwedeln weitergetragen wurden — wer hätte nun Verzweiflung von Glück unterscheiden können? Dann schlägt der Regen zu, als bräuchte die Erde eine gehörige Tracht Prügel. Die Zeit zieht sich zurück, der Monsun fällt ein, rette sich, wer nicht hinter festen Mauern ausharren, wer sich auf das Versprechen der Dächer nicht verlassen kann.
Burton, nach einem Sturz von seinem Pferd nackt ausgestreckt auf dem Bett, versuchte Kundalinis Fingern zu folgen. Ich möchte ihre Zärtlichkeiten verstehen, dachte er. Die einzige Sprache, die er nicht erlernen konnte. Bedeuteten sie überhaupt etwas? Der Rausch des Regens nüchterte aus. Einzelne Tropfen rollten von den übersättigten Lippen der Erde. Alles lag unter Wasser, die Wurzeln auch, und die Erdlöcher, sein Pferd war darin eingeknickt, und als er im Schlamm lag, erinnerte er sich an die Warnung in der Regimentsmesse, nach dem Einbruch des Monsuns das Haus möglichst nicht zu verlassen. Geschieht ihm recht, hörte er sie sagen, hinter seinem wunden Rücken. Selbst mit offenen Augen würde er nicht erkennen, ob ihre Finger mehr als nur ihre Pflicht erfüllten. Auf die fetten Jahre folgen die mageren. Bei ihm genügte die Einzahl: Nach einem Jahr der erfüllten Sehnsüchte folgte ein Jahr der wieder ausbrechenden Unzufriedenheit. Es war stiller draußen, er konnte das Rauschen der Sturzbäche hören, die sich gnadenlos zur Stadt hinab ergossen. Die Hütten würden überschwemmt werden. Von seinem Hals bis zu seinem Hintern, sie entdeckte jeden Wirbel wieder, umkreiste ihn, ohne daß der Druck ihrer Finger schwankte. Ihre Hand verirrte sich nie. Sie wußte erstaunlich viel über den menschlichen Körper. Sie verließ das Zimmer. Er war mißgelaunt. Sie gab ihm so viel, sie war begierig, ihm zu gefallen, sie öffnete ihr Haar, weil es ihm gefiel, und sie flocht es zusammen, wenn er Abwechslung wünschte, sie horchte auf seine Launen, und gelegentlich war sie sogar verspielt. Und doch, und doch hielt sie so viel zurück. Es gab Momente, da blickte sie in eine Ferne, die er nicht kannte. Sie verließ ihn gelegentlich ohne Abschied oder Erklärung. Sie verbrachte nie die ganze Nacht mit ihm. Sie lehnte seinen Wunsch ab, ihm von ihrer Familie, ihrer Jugend, ihrer Vorgeschichte zu erzählen. Sie verweigerte ihm das Recht, sich in sie zu verlieben, und er war sich sicher, sie unterdrückte alle Gefühle, die sie ihm gegenüber verspüren könnte. Abgesehen von der Dankbarkeit, der sie regelmäßig Ausdruck verlieh, in einem Tonfall und einer Haltung, die keine Intimität duldete. Er hatte sich durchgerungen, mit ihr darüber zu sprechen. Das sind die schwierigen Aufgaben im Leben: Wie frage ich meine Geliebte, meine gekaufte Geliebte wohlgemerkt, wieso wir uns nicht verlieben wie zwei Debütanten auf einem Ball? Sie wich seiner Frage aus, bis er sie so sehr in eine Ecke drängte, daß sie mit einer Wut reagierte, die er nicht in ihr vermutet hätte. Ich bin eine Aussätzige, ihre Stimme war ein einsaitiges Instrument, ich kann dir jahrelang gefallen, oder einem anderen Mann, bis mein Körper mich verrät, bis nichts mehr von meiner Schönheit übrig ist, dann habe ich keine andere Wahl, als mich wieder Gott an den Hals zu werfen, und mein einziger Vorteil wird sein, daß kein Mann mehr sich an mir befriedigen will. Nur die Nähe des Todes schützt mich vor eurer Lust. Er schwieg. Glaubst du, ich möchte nicht ausbrechen? Ich will es. Aber nicht zu den Bedingungen einer weiteren Lüge. Er schwieg. Du willst Liebe? Für wie lange? Wie lange wirst du hier sein, einige Jahre, dann wirst du weiterziehen, und selbst wenn du hierbleiben solltest, irgendwann würdest du eine Frau von den Deinigen heiraten wollen, um mit ihr Kinder zu bekommen. Nein, unterbrach er sie, das will ich nicht, heiraten, Kinder, das behagt mir nicht. Dann setzte ein Schweigen ein, das sie auseinandertrieb.
Der Geruch von Öl erfaßte ihn wie eine Welle. Sie war zurückgekehrt. Das warme Öl rann über seine Haut. Er wußte, gleich würde sie seinen Mißmut ersticken, sie würde seine Lust anstacheln, immer weiter, um auf einmal innezuhalten, sie bewegte sich nicht mehr, sie ließ ihre Hände auf seiner Brust liegen, und sie begann zu sprechen, während sie auf seinem pulsierenden Staunen sitzen blieb, sprach in vollständigen Sätzen, in einem vertrauten Tonfall, der beiläufig erzählte, und doch seine ganze Aufmerksamkeit einforderte. Er mußte seine Stöße besänftigen, um ihren Worten folgen zu können, die einen weisen König beschrieben, der von einem heiligen Mann mit dem Apfel der Unsterblichkeit belohnt wird. Der König ist überglücklich, zunächst, bis ihm bewußt wird, daß er allein unsterblich werden würde, und alles, woran er sich im Leben erfreute, vergehen würde. Er überreicht den Apfel seiner Ehefrau. Die Frau nimmt das Geschenk als höchste Würdigung entgegen, insgeheim denkt sie, der König habe es ihr nur aus Gewohnheit gegeben. Sie übergibt den Apfel einem Adjutanten, der sich als außergewöhnlicher Liebhaber erwiesen hat. Der Adjutant reicht den Apfel an eine Kurtisane weiter, die er anhimmelt, und diese — nach längerem Nachdenken —, schenkt den Apfel dem König des Reiches, denn schließlich ist er der oberste Gönner und Schutzherr ihrer Kunst. Der König hält den Apfel in der Hand, er begreift, was geschehen ist. Er findet keinen Trost. Er ruft den gesamten Hofstaat zusammen und verflucht jene, die ihn hintergangen haben. Dhik tam tscha tvam tsha , Kundalini begann, ihre Hüften wieder zu bewegen, madanam tscha imam tscha mam tscha , ihre Hände krallten sich in seine Oberschenkel. Sag mir, was es bedeutet, keuchte Burton. Sie beschleunigte ihre Bewegungen, Fluch auf sie und Fluch auf dich , ihre Brüste schwangen schwerfällig wie wilde Gänse im Flug, auf die Liebe ein Fluch und auf die Geliebte , sie atmete schwerer, und verflucht sei auch ich .
Danach lag sie neben ihm. Sie waren getrennt wie Wasser und Öl. Ausgelaugt von dem Liebeskampf. Es fühlte sich an, als sei alles Leben in diesem einen Zimmer. Bis er den Ruf des Kuckucks hörte. Ihre Finger krochen über seine Brust, so bedächtig wie die Pflanze zum Fenster hereinwuchs. Wenn sie etwas sagen würde, im entwurzelten Mondlicht, wäre es ein Gedicht. Er küßte ihr geschlossenes Auge, nahm den Augapfel zwischen seine Lippen. Er war hart wie ein Edelstein, der nicht verschluckt werden kann. Nur seine Lippen spürten, daß sich ihr Auge bewegte, wie ein Kugelfisch knapp unter der Wasseroberfläche, wie eine Murmel, die nicht liegenbleibt. Es war stickig. Er stand auf, trotz ihres Einspruchs. Er war versöhnt, weil er meinte, sie wolle ihn nicht missen, nicht einmal für jene Minute, die es dauerte, zum Fenster zu schreiten, um es zu öffnen. Er hörte die Frösche quaken, er drehte sich zu ihr um mit einem durchlässigen Lächeln, schließ es schnell wieder, rief sie, die Insekten fielen schon ein, bevor er ihrem Wunsch nachkommen konnte, Termiten, Motten, Feuerfliegen, Heuschrecken, Käfer, Hunderte von Birbahuti, Fetzen roten Samts, ließen sich auf alles nieder, auch auf das Bett und auf ihren Körper.
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