— Vieles. Kleinigkeiten. Einzelheiten, an die ich nie gedacht hätte. Wie die Fingernägel geschnitten werden, wie man von seiner Mutter spricht, wie man mit dem Kopf wackelt, wie man auf seinen Fersen kauert, wie man seiner Begeisterung Ausdruck verleiht. Er wollte, daß ich mich zu ihm setze, während ich ihm etwas zeigte, etwas vorsagte. Das habe ich abgelehnt. Immer. Schreiben Sie das auf. Ich weiß der Vertrautheit Grenzen zu setzen. Ich habe seine Einladung stets abgelehnt, zusammen mit ihm am Tisch zu essen. Das hätte nicht gut ausgesehen vor den anderen Dienern. Ich war keineswegs überzeugt, im Gegensatz zu ihm, daß man seine Rolle im Leben wechseln kann.
20. EROBERER DES HERZENS
Einige Tage bevor sie plötzlich erkrankte, hielt er ihre Hand und versuchte ihr in Worten, die ihre wahre Bedeutung verbargen, seine Zuneigung zu erklären. Es war ein Desaster. Sie unterbrach ihn, sie befreite ihn mit einem Kuß, den sie ihm auf den Nacken tupfte. Sie entkleidete ihn, und entgegen dem bedächtigen Hergang, den sie ihm beigebracht hatte, führte sie — mit beinahe unziemlicher Eile — sein Glied in sich hinein. Er war bereit, seine Liebe ehrlicher zu erklären, als sie innehielt, sie bewegte sich nicht mehr, ließ ihre Hände auf seiner Brust liegen und begann zu sprechen, während sie auf seinem pulsierenden Staunen sitzen blieb, sprach in vollständigen Sätzen, in einem vertrauten Tonfall, der beiläufig erzählte und doch seine ganze Aufmerksamkeit einforderte. Er mußte seine Stöße besänftigen, um ihren Worten folgen zu können, die einen verliebten Mann beschrieben, verliebt in eine Unbekannte, die ihm wichtiger wird als alles andere auf der Welt. Er stellt ihr nach, wann immer sie ihr Haus verläßt, er verfällt ihr, läßt sie nicht mehr aus den Augen, er kann sich ein Leben ohne sie nicht vorstellen, sie nistet sich in jeden seiner Gedanken ein. Eines Tages überwindet er sich, er rafft seinen gesamten Mut zusammen, er spricht sie auf der Straße an, erklärt ihr aufgeregt seine Liebe, mit einer Stimme, die sich überschlägt, seine ewige Liebe, in Worten, die kein Ende finden, bis sie ihn unterbricht. Sie lächelt, und er denkt, es wird nie wieder Nacht, und sie sagt zu ihm, mit einer Stimme, die noch bezaubernder ist, als er sie sich vorgestellt hat, deine Worte sind wundervoll, sagt sie, sie erfreuen mich, sie ehren mich, aber ich verdiene sie nicht, denn meine Schwester, die hinter mir hergeht, sie ist um so viel schöner, um so viel reizvoller als ich. Ich bin mir sicher, wenn du sie gleich siehst, wirst du ihr den Vorzug geben. Worauf der unsterblich verliebte Mann seine Augen von der Angebeteten abwendet, um einen Blick, einen kurzen, prüfenden Blick nur, auf die gepriesene Schwester zu werfen. Die Angebetete versetzt dem Mann einen kräftigen Schlag auf seinen Kopf: Das ist also deine ewige Liebe! Kaum erwähne ich eine schönere Frau, wendest du dich schon ab von mir, um einen Blick von ihr zu erhaschen. Was weißt du schon von der Liebe?
Was erlaubte sie sich? Wie konnte sie ihn so herausfordern? Burton wollte sich von ihr lösen. Sie widersetzte sich, mit dem ganzen Gewicht ihres Körpers, das auf ihm lastete, mit ihren Hüften, sie umklammerte ihn, sie widersetzte sich jeder seiner Absichten, er wußte nicht mehr, ob er noch wütend war oder wieder erregt, sie trieb ihn mit ihren langen Fingern zur Kapitulation, sein Zorn umringte seine Lust, sie konnte nicht ausbrechen, sie konnte nicht abflauen, es war eine peinigende Erregung, die ihn so aufwühlte, er mußte um Erlösung bitten. Er schrie. Das war wenige Tage, bevor sie schwer erkrankte.
21.
NAUKARAM
II Aum Manomaaya namaha I Sarvavighnopashantaye namaha I Aum Ganeshaya namaha II
— Kaum hatte er gelernt, sich wie ein Kaschmiri zu geben, mußte er vergessen, daß er einer war. Er mußte eine neue Gestalt annehmen, und in dieser war es am besten, wenn er sich nicht einmal daran erinnerte, daß er einst ein Nandera-Brahmane war. Das war das Schwierige an der Aufgabe, die er sich selbst gestellt hatte. Er mußte sich umgewöhnen. Die Angrezi besetzen so viele Länder. Mit einer Verkleidung allein war es nicht getan. Die Wandlungen waren wie Jahreszeiten. So als würde ich im Frühling als Khelassy arbeiten, im Sommer als Kedmutgar, im Herbst als Bhisti und im Winter als Hajaum.
— Ich weiß nicht, ob ich das bewundern soll.
— Es war verwirrend, die Zeit im Sindh. Wir segelten nach Karachi. Von Bombay aus. Eine Reise von wenigen Tagen nur. Eine Reise in die Wildnis. Von dem Tag an, an dem ich meinen Fuß auf dieses Land setzte, wußte ich, ich gehörte nicht dazu. Ich fiel als Fremder auf. Ich blieb ein Fremder. Ich benötigte meine ganze Kraft, um nicht zu vergessen, wer ich war. Burton Saheb hingegen verdoppelte den Einsatz. Er wollte für einen Moslem gehalten werden. Können Sie sich etwas Schwierigeres vorstellen? Und Widerlicheres? Er mußte so viel auswendig lernen. Den ganzen Tag murmelte er vor sich hin. Ich verstand kein Wort. Trotzdem zwang er mich, ihm zuzuhören, wie er diese harschen Geräusche von sich gab. Die Gicht möge alle Zungen befallen, die sich so verkrümmen. Das allein reichte nicht. Er mußte mit einer Hand auf der Hüfte gehen. Er mußte sich das Pfeifen abgewöhnen. Wissen Sie, diese dämlichen Miya glauben, die Firengi unterhalten sich mit dem Teufel, wenn sie pfeifen. Statt dessen lernte er leise zu summen. Er mußte sich angewöhnen, mit der rechten Hand über seinen Bart zu streichen. Er mußte üben, lange zu schweigen. Das Schweigen für sich sprechen zu lassen. Ich muß Ihnen sagen, das fiel ihm am schwersten.
— All das hat er bestimmt nicht von einem Tag auf den anderen gelernt?
— Es hat gedauert. Er hat Monate gebraucht, bis er den Turban richtig binden konnte. Er war erstaunlich. Er konnte seinen Geist der Geduld anvertrauen, und er konnte in Tobsucht fallen, weil etwas nicht sofort erledigt wurde. Und mit wütender Geduld überwand er sogar die größte Herausforderung, die sich ihm stellte — das Kamel. Sein erster Versuch, auf einem Kamel zu reiten, endete in einer Schmach. Sie hat mich, ich muß es zugeben, sehr vergnügt. Er bildete sich ein, es sei ein leichtes, ein Kamel zu reiten, wenn man ein Pferd reiten konnte. Er schwang sich auf den Rücken eines Tieres, ohne sich vorher über sein Wesen informiert zu haben. Das Kamel jaulte und blökte, es wehrte sich mit allen Kräften. Als Lasttier war es einen Reiter nicht gewohnt. Kaum saß Burton Saheb, begann es nach ihm zu schnappen, nach seinen Stiefeln. Er zog sein Schwert und stach dem Tier in die Nase, jedesmal, wenn es seinen Kopf drehte. So ging es hin und her, bis das Tier ohne Vorwarnung lostrabte. Endlich, es gehorcht seinen Befehlen, dachte ich. Ich irrte. Bald galoppierte es auf den nächsten Baum zu, es jagte unter dem dornigen Schirm des Baumes hinweg, und wenn Burton Saheb sich nicht geistesgegenwärtig geduckt hätte, sein Gesicht wäre zerkratzt und seine Augen ausgestochen worden. Als auch dieser Trick nichts half, blieb das Kamel regungslos stehen. Nichts, was Burton Saheb versuchte, konnte das Tier aus seiner Erstarrung bewegen. Er versuchte alles, er redete ihm gut zu, er gab ihm die Hacken, er peitschte auf das Kamel ein, er bearbeitete seine Flanken mit dem Rapier. Völlig vergeblich. Das Kamel entschied selbst, wann es sich wieder regen würde. Als es soweit war, schien es endlich gefügig zu sein. Es trabte los mit erhobenem Hals, scheinbar versöhnt, scheinbar gutmütig, und Burton Saheb grinste mich zufrieden an. Das Grinsen hielt sich nicht lange, das Tier verließ den Pfad und hielt schnurstracks auf den nahen Sumpf zu. Von weitem sahen wir, wie Burton Saheb sein Schwert hochhielt, als überlege er, ob er das Tier umbringen sollte, bevor es im Morast versank. Aber es war schon zu spät. Es rutschte schon hinein, es versank, es knickte ein und fiel zur Seite. Burton Saheb wurde abgeworfen, er landete im Schlamm, und wir mußten ihm, als wir ihn mit schnellen Schritten erreichten, einen langen Stock reichen, an dem er sich herausziehen konnte. Sie können sich vorstellen, wie er aussah. Wir mußten unsere Belustigung unterdrücken. Erst nachher, am Abend, konnten wir ungehemmt lachen.
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