»Das war ja eine kurze Runde!«, wundert sich Marcs Mutter, als wir wieder in der Wohnung sind.
»Wir waren auch gar nicht im Park, denn vor dem Hauseingang haben wir eine Patientin von mir getroffen. Ihr Frauchen hatte diese Torte für mich gebacken. Ich habe das Tier vor drei Wochen operiert, nachdem es vom Auto angefahren wurde.«
Frau Wagner wirft einen Blick auf die Torte. »Hm, Schwarzwälder Kirschtorte. Die sieht aber gut aus! Siehst du, das ist das Schöne an einer Praxis – die Dankbarkeit von Mensch und Tier.«
»Ja, Mutter, das ist wirklich schön. Möchtest du vielleicht ein Stück? Gewissermaßen als Nachtisch?«
»Gerne. Komm, ich decke kurz für uns in der Küche.«
»Gut, ich bringe Luisa ins Bett. Dann komme ich.«
Falls dieser Kuchen tatsächlich so lecker ist, wie er riecht, lohnt es sich bestimmt, wenn ich mich in diesem Fall an die Fersen von Oma hefte. Sie denkt doch eigentlich immer daran, dass auch Dackel Genussfreunde sind.
Ich scharwenzel also um ihre Beine und bemühe mich um einen möglichst unwiderstehlichen Dackelblick. Leider schaut sie nicht nach unten, kann also davon nicht beeindruckt sein. Vielleicht ein bisschen Jaulen? Kann bestimmt nicht schaden.
»Herkules, ich weiß genau, was du willst. Ein Stück von der Torte. Die sieht auch wirklich großartig aus, aber Marc hat neulich schon mit mir geschimpft. Ich muss also ein bisschen strenger mit dir sein. Es gibt nichts.«
Och nö. Wie doof ist das denn? Außerdem ist Marc gar nicht für meine Erziehung zuständig. Der hat genug mit Luisa zu tun. Soll er bei der streng sein. Caro hätte bestimmt nichts dagegen. Ich jaule noch ein bisschen lauter.
»Hach, na gut! Aber dann musst du dich beeilen, damit uns Marc nicht erwischt. Hier.«
Sie stellt mir ein kleines Tellerchen mit Torte direkt vor die Nase, ich schlabbere sofort los. HERRLICH! Und so was kann Cheries Frauchen backen? Können die mich nicht adoptieren? Sofort?
Die Küchentür geht auf.
»Mutter! Du hast doch nicht etwa Herkules ein Stück abgegeben, oder?«
»Ach Junge, er hat so lieb geguckt. Es war auch nur ein ganz, ganz kleines.«
»Das glaube ich jetzt nicht! Da ist bestimmt Alkohol drin. Mutter, du hast jahrelang in einer Tierarztpraxis gearbeitet, du weißt doch, wie schädlich das für Hunde ist!« Marc klingt sehr, sehr vorwurfsvoll. Ich bekomme ein schlechtes Gewissen. War ja im Grunde genommen meine Idee. Also lasse ich von dem Schälchen ab, schleiche zu ihm hinüber und lege mich ergeben vor seine Füße. Große Demutsgeste.
»Okay, Herkules, du kannst die Show einstellen.« Er seufzt. »Ich gebe zu, es ist schwer, ihm zu widerstehen, Mutter. Aber bitte füttere ihn nicht mehr, wenn er bettelt. Wir haben hier sonst binnen kürzester Zeit einen fetten, kurzatmigen Dackel.«
Das sind wirklich keine verlockenden Aussichten. So will mich Cherie bestimmt nicht. Ich lasse also den Rest Torte auf dem Teller liegen und trolle mich unter den Esstisch.
»Ich habe auch noch einen Kaffee gekocht. Möchtest du?« Oma Wagner holt Tassen aus dem Schrank und trägt sie zum Tisch.
»Gerne. Danke.«
»Weißt du, ich habe den Erfolg deines Vaters auch immer als meinen eigenen betrachtet. Das war mir Bestätigung genug. Es war eben unsere Praxis. Ich habe mich schon ein wenig gewundert in den letzten Wochen. Deine neue Freundin scheint sich überhaupt nicht für deinen Beruf zu interessieren.«
»Mutter, ich weiß wirklich nicht, wie du darauf kommst.«
Ich kann es natürlich von meiner Position unter dem Tisch aus nicht sehen, aber ich wette, Marc runzelt gerade die Stirn. Seine Stimme klingt jedenfalls genau so.
»Na, also ich bitte dich. Die normalste Sache der Welt wäre doch, wenn sie dir nun assistieren würde. Gut, sie ist nicht vom Fach, aber zumindest, bis Frau Warnke wieder da ist, könnte sie doch ein bisschen aushelfen. Ich meine, ich freue mich ja, dass du mich gefragt hast. Aber gewundert habe ich mich trotzdem.«
»Ich habe es bereits gesagt, und ich wiederhole es gerne nochmal: Carolin ist berufstätig. Sie hat eine eigene Werkstatt, die sie seit mehreren Jahren sehr erfolgreich führt. Da kann sie nicht einfach mal ein paar Wochen wegbleiben, weil bei mir die Sprechstundenhilfe ausgefallen ist.«
»Sabine hat schließlich auch ihren Beruf für dich aufgegeben. «
»Halt mal – den hat sie nicht für mich aufgegeben, sondern für unser gemeinsames Kind. Und aufgegeben hat sie ihn auch nicht, sondern nur reduziert. Was als angestellte Stewardess deutlich einfacher ist als als selbständige Handwerkerin.«
»Tja, und deswegen musst du jetzt stundenweise die Praxis schließen, um eine Feier für dein Kind zu organisieren. Das hätte ich damals nie von deinem Vater verlangt. Da war mir die Familie immer wichtiger.«
Marc seufzt so laut, dass es sogar unter der dicken Tischplatte zu hören ist. »Luisa ist aber nicht Carolins Tochter.«
»Ja, vielleicht ist das das Problem. Vielleicht hättet ihr euch damals nicht so schnell trennen sollen.«
Plötzlich gibt es einen lauten Knall, vor Schreck fange ich an zu bellen und schieße unter dem Tisch hervor. Was ist passiert? Hat Marc irgendetwas auf den Tisch gehauen? Vielleicht mit der Hand? Die liegt jedenfalls noch zur Faust geballt auf der Tischplatte und zittert leicht.
»Verdammt noch mal, Mutter, hör endlich auf damit! Du weißt genau, wie das damals war. Wir haben uns nicht getrennt – Sabine ist abgehauen. Und zwar bei Nacht und Nebel, wie man so schön sagt. Ich kam nach Hause, und sie war weg. Mitsamt Luisa. Und dass du findest, dass ich mit dieser Frau …«
Oma Wagner legt beschwichtigend die Hand auf Marcs Unterarm. »Schatz, ich weiß doch, wie weh dir das getan hat. Aber das ist nun drei Jahre her, und manchmal muss man auch verzeihen können. Denk an deine Tochter.«
»Ich denke an meine Tochter. Die braucht vor allem einen glücklichen Vater. Und ich bin glücklich, wenn ich mit Carolin zusammen bin. Denn ich liebe diese Frau. Im Übrigen verstehen sich Caro und Luisa blendend. Caro hat sofort gemerkt, dass sich Luisa an ihrer neuen Schule nicht so wohl fühlt, und ist dann auf die Idee mit den Ponys gekommen. Dass ich mich um die Umsetzung kümmere, weil ich derjenige von uns bin, der den alten Grafen kennt, finde ich selbstverständlich. So, und damit ist das Thema für mich beendet. Ich möchte nicht weiter mit dir darüber reden.«
Schweigend trinken die beiden ihren Kaffee und essen etwas von der Torte. In meinem Kopf rattern die Gedanken, und ich merke, dass ich Ohrensausen bekomme. Alte und neue Frauen, eigene und fremde Kinder, Omas und gebrauchte Männer – das Leben der Menschen ist wirklich undurchsichtig. Ich beschließe, mich einfach in mein Körbchen zu legen und zu schlafen. Morgen sieht die Welt vielleicht wieder etwas übersichtlicher aus.
Leine, Fressnapf, Hundefutter, Kuscheldecke – meinst du, du brauchst auch seinen Impfpass?« Carolin wühlt noch einmal in der großen Tasche, die sie soeben bei Nina im Flur abgestellt hat. Die verdreht die Augen.
»Carolin, ihr seid drei Tage weg. Eigentlich nur zweieinhalb. Was soll ich da mit seinem Impfpass? Das Kerlchen bekommt regelmäßig sein Happi, tagsüber kann er mit Herrn Beck in den Garten, und ansonsten schläft er hoffentlich viel. Nein, ich brauche keinen Impfpass. Falls etwas Schlimmes passiert, rufe ich euch in eurem romantischen Winkel an, und ihr kommt wieder nach Hamburg. So einfach ist das.«
»Na gut. Dann mache ich mich jetzt auf den Weg. Komm, Herkules, gib Caro ein Küsschen.«
Ich trabe rüber zu Carolin, die nimmt mich auf den Arm und drückt mich nochmal ganz fest. Sie riecht fast ein bisschen traurig. Ob sie wirklich bald zurück ist?
Herr Beck liegt in der Ecke schräg gegenüber der Wohnungstür und amüsiert sich augenscheinlich köstlich. Er rollt sich von links nach rechts und verdreht sich dabei ziemlich den Hals, um die Abschiedsszenerie besser beobachten zu können. Als Caro weg ist, kommt er zu mir und gibt mir einen Stoß mit seiner Tatze.
Читать дальше