»Ich meine – den ganzen Tag hämmert der da in der Bude rum. Das ist doch nicht normal! Ich hatte heute Vormittag zwei Patienten, die hätte ich fast wieder nach Hause geschickt, weil es wirklich ein ohrenbetäubender Lärm war. Gestern auch schon! Und das ohne jede Vorankündigung durch die Hausverwaltung, so dass ich mich hätte darauf einstellen können. Nichts von alledem. Eine Frechheit! Als es dann heute Nachmittag wieder losging, bin ich hoch und habe mal zart nachgefragt, wie lange das denn noch so gehen soll.«
Unter zart nachgefragt stelle ich mir aber etwas anderes vor. Nach meinem Eindruck war Nina schon ganz schön auf Zinne. Vielleicht wäre das Gespräch auch insgesamt besser verlaufen, wenn Nina den Mann nicht gleich so angefahren hätte. Oder ist der Subtext – was für ein tolles neues Wort! – von Anschreien he, ich finde dich nett ?
»Und was hat er dazu gesagt?«
»Im Wesentlichen, dass ich mich mal nicht so anstellen soll und er sich schließlich an die Ruhezeiten der Hausordnung hält. Und dass er ja irgendwann renovieren müsse.«
»Hm, klingt aber ehrlich gesagt, als sei es nicht ganz von der Hand zu weisen«, gibt Carolin zu bedenken.
»Das war nun wieder klar, dass man dich mit dieser Hausordnungsnummer sofort kriegt. Du bist eben viel zu defensiv. Ich meine – hallo? Ich verdiene in der Wohnung mein Geld. Ich brauche Ruhe. Der soll sich gefälligst ein paar vernünftige Handwerker nehmen – dann ist die Renovierung ruckzuck fertig, und ich gehe solange ins Hotel. Auf seine Rechnung.«
»Äh, ja. Und was war das mit den Ohrstöpseln?«
»Ohrstöpsel?« Nina guckt verständnislos.
»Du sagtest, ich solle mir meine Ohrstöpsel sonst wohin … Ich meine, als du mir die Tür geöffnet hast.«
»Stimmt. Ich war nach meiner Beschwerde gerade wieder in der Wohnung angekommen, als es an der Tür geklingelt hat. Na, dachte ich mir, da ist wohl jemand zur Vernunft gekommen und will sich entschuldigen. Stand aber niemand vor der Tür. Stattdessen lag ein Päckchen mit einem Post-it davor. Hier.« Sie kramt in ihrer Handtasche und drückt Caro die kleine Box mit dem gelben Zettel in die Hand. Die fängt an zu lächeln und liest laut vor: » Mit den besten Grüßen an Ihre empfindlichen Ohren, Alexander Klein . Wie süß. Ohropax.«
»Süß?! Also ich bitte dich! Das ist nicht süß, das ist unverschämt. Der Typ will mich provozieren. Und dann so ein Bengel – bestimmt zehn Jahre jünger als ich! Süß? Von wegen!«
Caro schüttelt den Kopf.
»Echt, Nina, jetzt komm mal wieder runter. Oder trink schnell noch ein Glas Sekt. So schlimm ist das nun wirklich nicht. Die Renovierung wird ja nicht ewig dauern, und möglicherweise gewinnst du einen netten neuen Nachbarn. Aber nicht, wenn du ihn gleich so verschreckst. Mit dem hast du doch auch ansonsten gar nichts zu tun. Ich meine – sieh mich mal an. Ich treffe nun jeden Abend auf meine Quasi-Schwiegermutter und mache dazu noch ein freundliches Gesicht.«
»Tja, fragt sich nur, wie lange noch. Außerdem bist du auch kein Maßstab. Du bist eh zu gut für diese Welt.«
»Ich will eben mit ihr auskommen. Selbst wenn sie mich ab und zu nervt. Ist schließlich Marcs Mutter.«
»Sag ich doch: zu gut für diese Welt.«
»Wenn du meinst. Aber damit kannst du mich gar nicht aus der Ruhe bringen. Dafür bin ich heute viel zu gut gelaunt.«
Carolins Lächeln wird tatsächlich noch strahlender und überzieht nun ihr gesamtes Gesicht. Mehr Lächeln geht nicht. Das sieht einfach toll aus, ich liebe es, wenn sie so strahlt. Das können einfach nur ganz wenige Menschen: so von den Augen bis zum Mund durchgehend lächeln. Und meine Carolin gehört dazu.
»Dann lass mich mal an deiner Freude teilhaben«, fordert Nina sie auf, »vielleicht bessert sich meine Laune dann wieder. «
»Das kann sogar sein«, gibt Carolin ihr Recht. »Es hat nämlich mit jemandem zu tun, den du auch kennst und magst.«
»Schieß los – ich bin gespannt.«
»Mein Treffen eben. Rate mal, mit wem das war.«
Nina schüttelt den Kopf. »O nö! Nicht solche Spielchen! Nun sag schon!«
»Hast Recht. Kommste sowieso nicht drauf. Ich habe mich eben mit Daniel getroffen.«
Jetzt reißt Nina wirklich die Augen auf. »Echt? Mit Daniel? Seit wann ist der denn wieder in Hamburg? Das ist ja toll!«
»Aurora gibt morgen ein Konzert in der Laeiszhalle, und Daniel begleitet sie.«
»Also ist er immer noch mit dieser Schnepfe zusammen.«
Caro zieht die Augenbrauen hoch. »Aurora ist ganz nett.«
»Unsinn. Ist sie nicht. Du – ich wiederhole mich – bist einfach zu gut für …«
»Also«, unterbricht Caro sie, »willst du nun weiter rumstänkern oder lieber die Geschichte zu Ende hören?«
Nina rollt mit den Augen, sagt aber nichts mehr.
»Ich wusste von Auroras Konzert und habe Daniel angerufen und ihn gefragt, ob er mitkommt. Ich wollte nämlich etwas mit ihm besprechen.«
»Aha. Du hast erkannt, dass du nicht mit Marc zusammenpasst, und willst es doch noch mal mit Daniel versuchen, der selbstverständlich noch immer heimlich in dich verliebt ist? Sehr clever.« Nina kichert. Findet sie das wirklich lustig, oder ist das der Prosecco?
»Ach, Mann, Nina. Bleib doch mal ernst. Ich habe einen Großkunden, der mit einem noch viel größeren Auftrag winkt. Den kann ich aber nicht allein schaffen. Der Kunde wiederum kennt Daniel noch aus alten Zeiten, und ich habe ihm versprochen, mit Daniel zu besprechen, ob er Lust zu einer zeitlich begrenzten Kooperation mit mir hat. Hier in Hamburg. Also habe ich ihn gefragt, ob er sich vorstellen könnte, die nächsten zwei, drei Monate nach Hamburg zu kommen.«
»Und, konnte er?«
Sagte ich eben, mehr Lächeln geht nicht? Es geht doch. Carolin beweist es gerade, und im Violetta wird es mit einem Schlag heller, so sehr strahlt sie nun.
»Ja. Er hat gesagt, dass er sich über mein Angebot freut und es sehr gerne annimmt.«
»Na, da schau her.« Mehr sagt Nina nicht. Aber jetzt lächelt sie auch.
Hm. Sieht von außen aus wie ein ganz normaler Schuhkarton. Was da wohl drin ist? Neugierig robbe ich mich möglichst nah an Luisa heran, ich will schließlich dabei sein, wenn das Geheimnis gelüftet wird. Carolin und Marc haben Luisa den hübsch verpackten Karton eben feierlich überreicht und von einer Überraschung gesprochen. Daraufhin hat sich Luisa sofort damit auf den Teppich im Wohnzimmer gesetzt und das Geschenkpapier aufgerissen.
Jetzt nimmt sie den Deckel ab, und ich sehe – ja, was sehe ich da eigentlich? Ein Häuschen, gebastelt aus Papier, davor lauter kleine Pferdefiguren. Das Häuschen erinnert mich an irgendetwas. Um es mir mal genauer anzusehen, stecke ich meine Nase in den Karton.
»Herkules, vorsichtig!« Luisa zieht mich sanft am Nacken. »Sonst machst du noch mein Geschenk kaputt!«
Ich ziehe den Kopf wieder zurück, ich habe auch so schon genug gesehen. Das Häuschen sieht aus wie Schloss Eschersbach! Das ist ja ein Ding!
Marc kniet sich neben Luisa. »So, mein Schatz, hier siehst du die lang angekündigte gute Idee, die Carolin hatte.«
Luisa guckt etwas verständnislos. Das ist kaum verwunderlich, denn auch ich habe noch nicht begriffen, was es mit diesem Mini-Schloss im Karton auf sich hat. Ganz zu schweigen von den davor platzierten kleinen Pferdchen.
»Spielzeugpferde?« Luisa klingt enttäuscht.
»Keine Sorge, die sind nicht das Geschenk. Der ganze Karton ist eigentlich nur ein Gutschein. Für ein Pony-Schloss-Wochenende mit deinen Freundinnen. Freitags könnt ihr hinfahren, und dann lebt ihr drei Tage auf einem echten Schloss und könnt so viel reiten, wie ihr wollt«, erklärt Carolin. »Dein Papa wollte sich nur besondere Mühe geben und hat deswegen Schloss Eschersbach und die dazugehörigen Pferde gebastelt.«
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