Katzenjammer
von Uwe Kling
Copyright 2011 by Uwe Kling
published at epubli GmbH, Berlin
www.epubli.de
ISBN 978-3-8442-1255-6
Ausgeliefert!
Nur langsam kämpfte sich ihr Geist durch die Nebel der nachlassenden Reise-Stasis, die bleischwer auf ihrem Gehirn lastete. Das Gefühl verursachte ihr Übelkeit. Der Eintritt in die Atmosphäre dieses Planeten machte sich durch heftiges Rütteln bemerkbar, was ihr zwar half aus der Betäubung aufzutauchen, aber nicht gerade zur Linderung ihrer rasenden Kopfschmerzen beitrug. Hilflos versuchte sie sich aus dem Stasis-Schlauch zu befreien, doch mit jeder Bewegung schien sich dieser Schlauch aus speziell gezüchteter Bantawi-Haut enger um sie zu schnüren und nahm ihr die Luft.
Nie hätte sie sich auf diesen Trip mit ihrem Vater einlassen sollen. Noch dazu in einer altersschwachen Schrottkiste mit einem zwielichtigen Piloten, der, immer wenn er ihre Füße erblickt, geiferte, als habe er die letzten zwanzig Jahre in einem Strafgefangenenlager auf irgendeinem öden Asteroiden abgesessen.
Jetzt war es zu spät.
Wie ein flacher Kieselstein, den man über eine Wasseroberfläche springen lässt, stieß das Raumschiff immer wieder von der Oberfläche des Planeten ab. Trotz der Stasis-Schläuche, in denen die Insassen normalerweise sicher eingeschlossen sind, wurden sie bei jedem Aufprall schmerzhaft zusammengestaucht. Die anschließende, kurze Schwerelosigkeit, machte den nächsten Aufprall nur um so härter. Endlich, nach vier oder fünf dieser Stöße, schrubbte das Schiff auf dem Boden entlang. Es ächzte unter dem Trommelfeuer der vielen Objekte, die während ihrer Rutschpartie von außen auf die Hülle einschlugen. Immer tiefer werdendes metallisches Kreischen begleitete das Ende ihres Höllenritts. Dann war es still.
Die Stasis-Schläuche lösten sich und sie wurde auf den Boden des Schiffs gespuckt. Vorsichtig versuchte sie sich zu bewegen. Arme und Beine bereiteten kaum Schwierigkeiten. Als sie den Kopf auf die Seite legt, zuckte sie unwillkürlich. Dieser Schmerz würde sie noch eine Weile begleiten, fürchtete sie. Sonst schien sie aber keinen ernsthaften Schaden davon getragen zu haben.
“Na, war doch halb so wild”, murmelte der Pilot vor sich hin. Dann drehte er sich vorsichtig um. “Alle noch am Leben?”
“Stümper!”, fauchte sie und stellte befriedigt fest, dass auch er bleich war.
“Lea, bitte”, ein kleiner, dünner Mann neben ihr hatte sich ebenfalls aufgerichtet.
Sie funkelte ihn grimmig an. “Du musst still sein, Papa. Wer ist denn schuld, dass wir hier sind?”
“Wir hatten uns diesen Ausflug alle ein wenig anders vorgestellt.” Die Frau unter dem letzten Schlauch versuchte, noch ein wenig benommen, zu lächeln.
“Ach, Mutter”, irritiert schüttelte sie den Kopf. “Irgend etwas in meinem Bauch hat mir von Anfang an gesagt, lass diesen Trip lieber sein. Ich hätte auf das Gefühl hören sollen.
“Das ist doch jetzt völlig egal.” David schüttelte den Kopf. “Wir werden uns doch von dieser kleinen Panne nicht aus dem Konzept bringen lassen.”
Lea sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.
“Schließlich sind wir Allimá. Ich bin sicher unser Pilot hat schon einen genauen Plan, wie wir vorgehen müssen um uns aus dieser misslichen Lage zu befreien.”
“Papa, ich glaube du verstehst nicht, wie ernst unsere Lage ist.”
“Lea, bitte”, ihre Mutter sah sie beschwichtigend an.
“Danke, Aurora. Es ist schön zu wissen, dass wenigstens ein Familienmitglied meiner Meinung ist.” Er wendete sich an den Piloten. “Was gedenken Sie denn jetzt zu tun?”
Keine Reaktion. Lea konnte ein verächtliches Schnauben nicht unterdrücken. Der Pilot saß mit geschlossenen Augen auf dem einzigen Sitz in der Mitte des Raums. Er hatte sich eine mit Gel gefüllte Haube übergestülpt, in der sich rötliche Schlieren umher bewegten.
David räusperte sich. “Entschuldigung.”
Er öffnete die Augen.
“Ich fragte Sie gerade, was Sie nun zu tun gedenken.”
“Rausgehen und mir den Blecheimer mal von außen ansehen.” Er zog die Haube von seinem kahlen Schädel und hielt sie David hin. “Wenn irgend etwas schief geht, wissen Sie was Sie zu tun haben.”
David schluckte. Er nahm die Haube und nickte.
“Was hast du zu tun?” Lea spürte, wie sich ihre Nackenhaare sträubten.
David hatte die Haube bereits aufgesetzt und schüttelte angespannt den Kopf. “Nicht jetzt.”
“Basisstation, hier Feuervogel 1. Das Ding hat eine zwölfspurige Autobahn in den Wald gefräst. Over.” Der Mann im Hubschrauber schüttelte den Kopf, als er die Verwüstung sah, die das Schiff hier angerichtet hatte.
“Feuervogel 1, hier Basisstation. Kannst du das Objekt schon sehen? Over.” Die Stimme aus den Kopfhörern klang näselnd.
“Nein. Over. Halt, doch. Da vorn ist es. Over.”
“Wie sieht es denn aus? Over.”
“Also, ein Meteor ist das ganz sicher nicht. Dazu ist die Oberfläche viel zu gleichmäßig. Zumindest von dem Teil, der noch aus der Erde heraus ragt. Over.”
“Was heißt gleichmäßig? Over.”
“Na, gleichmäßig halt. Schön rund und glatt, wie der Arsch von Amanda. Over.”
Es knackte in den Kopfhörern, dann war eine weibliche Stimme zu hören.
“Halt dich zurück, Charlie, oder du schiebst mehr Wochenend-Dienst als du Dir vorstellen kannst.”
Der Mann im Hubschrauber grinste, wurde aber gleich wieder ernst. “Jedenfalls ist das Ding kein Meteor.”
“Bist du dir sicher? Over.”
“Völlig sicher. Oder habt ihr schon mal einen Meteor mit Blinklichtern gesehen? Over.”
“Blinklichter? Hast du gesoffen, Charlie? Over.”
“Wenn ihr mir nicht glaubt, fliegt doch beim nächsten mal selber. Over.”
“Charlie, du bleibst wo du bist. Keine Experimente! Beobachte das Ding aus sicherer Entfernung. Ich alarmiere das Militär. Over.”
“Ach, Scheiße, immer wenn’s spannend wird. Over.”
“Du unternimmst gar nichts und bleibst in sicherer Entfernung, ist das klar? Over.”
“Was ist los? … Hallo? … Ich verstehe euch nicht …”
” Charlie? … Charlie, mach keinen Scheiß! … Charlie?!!”
David kauerte auf dem Sitz des Piloten mit seiner Haube und hatte die Augen geschlossen.
“Was passiert denn da draußen?”, fragte Lea ungeduldig.
“Moment.” David öffnete die Augen um sie mit einem ungehaltenen Blick zu strafen. “Ich muss mich mit dieser Steuerung erst zurecht finden.” Er schloss die Augen wieder und lehnte sich zurück. “Aha, da geht die Tür auf. … So. … Und wo kann ich jetzt die Umgebung sehen? … Ah, hier.”
Der Pilot stieg vorsichtig aus dem Raumschiff und sah sich um. Er stieß einen leisen Pfiff aus, als er die breite Schneise sah, die das Schiff in den Wald geschlagen hatte. Dann drehte er sich um. “Ach du Scheiße!”
“Er hat ach du Scheiße gesagt”, informierte David seine Familie.
“Wie vulgär”, meinte Aurora.
“Muss uns das beunruhigen?” Leas Magen war gerade bis zu ihren Kniekehlen durchgesackt.
Er zuckte mit den Schultern. “Mit den optischen Einheiten kann ich nur die Umgebung und nicht das Schiff sehen. Moment. Ich glaube, er stellt ein paar mobile Einheiten außerhalb des Schiffes auf. Wenn er die angeschlossen hat, kann ich mehr sagen.”
Angespannt tupfte Aurora den Schweiß von der Stirn ihres Mannes.
“Ach du Scheiße”, sagte David.
“Hat er das jetzt schon wieder gesagt?” Aurora schüttelte den Kopf.
“Er hat gar nichts gesagt”, antwortete David tonlos. “Ich kann jetzt unser Schiff von außen sehen.”
“Oh.”
“Was denn, ist es so schlimm?” Lea begann ihre Hoffnung auf ein baldiges Ende dieses katastrophalen Ausfluges zu begraben.
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