Friedrich Bornemann - Kling Glöckchen

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Auf einer Baustelle am Großen Markt in Wesel, wo Stück für Stück die Historische Rathausfassade wieder entsteht, wird ein Toter entdeckt. Er liegt unbekleidet auf einer Palette, die hoch oben am Haken des Baukrans baumelt.
Im benachbarten Willibrordi-Dom gerät das Glockenspiel völlig außer Kontrolle. Statt des vorgesehenen 'Ännchen von Tharau' spielt es plötzlich einen aktuellen Pop-Titel von Lena.
Bei ihren Ermittlungen lassen sich die Beamten vom KK11 der Weseler Kriminalpolizei von Privatdetektiv Beo Wulf helfen, der einen Zusammenhang zwischen den beiden mysteriösen Fällen aufdeckt.

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Friedrich Bornemann

Kling Glöckchen

Ein Niederrhein-Krimi

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Inhaltsverzeichnis Titel Friedrich Bornemann Kling Glöckchen Ein - фото 1

Inhaltsverzeichnis

Titel Friedrich Bornemann Kling Glöckchen Ein Niederrhein-Krimi Dieses ebook wurde erstellt bei

Eiszeit

Kumpanei

Alles paletti

Ferngesteuert

Ganz in Weiß

Turm-Verlies

Schlüsselfragen

Frau Wirtin

Unbemerkt

Von der Rolle

Leergut

Nervensache

Kling Glöckchen

Nuancen

Tippgeber

Aufgepasst

Viel Betrieb

Organismus

Tropfenweise

Geläute(r)t

Zaungäste

Carilloneur

Fingerprints

Code-Knacker

Ausgeschieden

Freundschaften

Auf dem Schirm

Große Lage

Abdrücke

Trio

Wirrungen

Abgestürzt

Erregung

Wahrheiten

Motivation

Fundstücke

Männer

Nachklang

Anhang

Impressum neobooks

Eiszeit

Beo und Enna hatten es sich unter einem der leuchtend gelben Sonnenschirme vor dem Eiscafé ‚La Gondola’ bequem gemacht. Enna löffelte ein großes Spaghetti-Eis, während Beo zufrieden an seinem obligaten Eiskaffee nuckelte.

Der Name des Lokals und die Farbe der Sonnenschirme erinnerte Beo jedes Mal an Venedig. Enna und er hatten vor zwei Jahren ihr Detektivbüro für ein paar Tage geschlossen und eine erholsame Zeit in der Lagunenstadt verbracht. Natürlich hatten sie auch den Markusplatz mit dem Campanile besucht. Enna war die unzähligen Stufen im Glockenturm hinaufgeklettert, um die herrliche Aussicht über Venedig und den Canale Grande zu genießen. Beo hatte so lange auf einem mit gelben Tischen und Stühlen ausgestatteten Bereich am Rande des Markusplatzes gewartet, ein Bitter Lemon getrunken und drei Musikern zugehört, die auf ihrem kleinen Podium vor sich hin fiedelten.

Auf dem Großen Markt in Wesel waren natürlich keine Gondeln zu sehen, und statt eines frei stehenden Glockenturms gab es nur einen kleinen Dachreiter oben auf dem Dom. Die Temperaturen konnten in diesem Sommer aber ohne Weiteres mit denen in Venedig konkurrieren.

Am Nebentisch saß eine Frau mit einem etwa vierjährigen Mädchen, vermutlich ihre Tochter. Die Mutter - eine ausgesprochen modische Erscheinung mit halblangen blonden Haaren und einer Sonnenbrille mit großen, fast schwarzen Gläsern - blätterte gelangweilt in einer VOGUE, die sie ab und zu auch als Wind spendenden Fächer benutzte. Die Kleine leckte an zwei roten Eiskugeln in einer Waffel. Dabei sang sie fröhlich vor sich hin. Was sie da interpretierte, war nicht ohne weiteres erkennbar. Jedenfalls nicht für Beo und Enna, die mit Interesse ihre Bemühungen verfolgten, gleichzeitiges Eislecken und Singen zu koordinieren. Das schien nicht ganz einfach zu sein, weil das Eis in der Mittagssonne ziemlich schnell dahinschmolz. Mehrere rote Kleckse waren bereits auf dem ansonsten blütenweißen Top der Kleinen gelandet. Aber die Mutter blickte nur einmal kurz auf und bemerkte: „Das macht nichts. Wird nachher gewaschen.“

Beo blickte ein wenig verwundert, woraufhin Enna ihm ins Ohr flüsterte: „Wenn man mit so einer Handtasche unterwegs ist, dann reagiert man anders als das gemeine Volk!“ Beo blickte nach unten und sah auf dem Boden, zwischen der Kleinen und ihrer Mutter, eine geöffnete beigebraune Tasche stehen, die er spontan ‚potthässlich und höchstens zum Gemüse-Einkaufen geeignet’ fand. Enna klärte ihn flüsternd auf: „Das ist eine richtig teure Designertasche, eine Gucci, die kostet mindestens 700 Euro!“

„Oh!“, flüsterte Beo beeindruckt zurück. „Ich würde damit aber trotzdem nur Kartoffeln trans-

portieren.“

„Banause!“, wies Enna ihn grinsend zurecht.

„Deine Designertasche aus Dinslaken finde ich jedenfalls besser. Und die war viel billiger.“

„Preiswerter“, korrigierte ihn Enna. „Du hattest daran auch etwas zu meckern, als ich die gekauft habe.“

„Ich kann mich nicht erinnern.“

„Ich umso besser. Du hast gesagt, die sähe aus wie ein Bündel getrockneter Tabakblätter!“

„Na ja, tut sie doch auch. Aber immer noch besser als dieser Gemüsebeutel.“

Der Gesang der Kleinen wurde jetzt lauter und ihr Eis immer glitschiger. Beo blickte zu der Mutter hinüber und versuchte, sie auf das drohende Unheil aufmerksam zu machen:

„Äh, junge Frau, ihre Toch…“. Weiter kam er nicht. Ziemlich rüde wurde er angefahren:

„Äh, junger Mann, lassen Sie das Kind in Ruhe! Wenn der Gesang Sie stört, dann setzen Sie sich doch woanders hin! Ist doch schön, wenn Kinder singen! Hört man viel zu selten!“

Sprach’s und vertiefte sich wieder in ihre Zeitung. Beo schob noch „Äh, aber, ich wollte doch

nur …“ nach. Dann gab er auf.

Inzwischen nahm das Unheil – von der Mutter unbemerkt - seinen Lauf: Die Kleine machte vor Schreck über die Auseinandersetzung zwischen Beo und ihrer Mutter eine unkoordinierte Bewegung mit der Waffel, und die übrig gebliebene Eiskugel nutzte die Gelegenheit, Bekanntschaft mit der Gucci-Tasche zu machen. Die glitschige Masse beschrieb einen halbkreisförmigen Bogen und verschwand dann im Innern der Tasche, wo sie sich vermutlich inmitten der bei solchen Objekten üblichen Ansammlung von unentbehrlichen Utensilien ausbreitete. Kurz danach blickte die Mutter von ihrer Zeitung auf.

„Ah, Anna-Natalie, du bist fertig. Dann können wir ja gehen.“

Sie klappte ihre VOGUE zusammen, steckte diese ebenfalls in die Tasche, und verschwand mit Anna-Natalie.

Beo und Enna schienen das nicht mehr mitzubekommen. Sie schauten interessiert zur gegenüberliegenden Seite des Marktplatzes, wo die historische Weseler Rathausfassade - 555 Jahre nach ihrem ursprünglichen Bau und 65 Jahre nach der Zerstörung durch die Alliierten - wieder entstehen sollte. Die gesamte Baustelle war durch einen mannshohen Zaun und eine zusätzliche Plane abgesperrt, die die Sicht auf die Arbeiten verhinderte. Man konnte aber über dem Zaun das Haus Nr. 9 erkennen, das in den nächsten Monaten allmählich hinter der - in Anlehnung an alte Pläne und Fotos neu erstehenden - Gotikfassade verschwinden würde.

Als die Kleine und ihre Mutter den Marktplatz verlassen hatten, brachen Beo und Enna in wieherndes Gelächter aus.

„Stell dir das Gesicht der Alten vor, wenn sie zu Haus ihre Handtasche aufmacht“, japste Enna, als sie wieder einigermaßen sprechen konnte.

Beo reimte grinsend: „Die Gucci ist dann flutschi.“

Und Enna ergänzte lachend: „Und die VOGUE ook.“

Kumpanei

Am nächsten Morgen sprang Beo bestens gelaunt aus dem Bett. An diesem Tag gab es gleich zwei Gründe für ihn, sich zu freuen: Zum einen herrschte draußen das Sonnenhoch ‚Beowulf’. Er betrachtete das herrliche Wetter als sein ganz persönliches. Natürlich durften auch die übrigen, insbesondere alle netten Zeitgenossen, daran teilhaben. Aber schließlich hieß nur er Bengt Ole - abgekürzt Beo - Wulf. Dabei war er sich durchaus bewusst, dass der Name des aktuellen Sonnenhochs sich nicht auf ihn, sondern auf den Protagonisten des gleichnamigen angelsächsischen Heldenepos bezog. Das konnte seine gute Stimmung aber nicht mindern.

Außerdem sollte heute auf der Baustelle auf dem Großen Markt ein ganz besonderer Stein eingebaut werden: das ‚Tympanon’, ein geschmücktes Giebelfeld über dem Türsturz, unter dem sich später die Eingangstür zum Turm befinden würde.

Beo hatte die Auseinandersetzungen über den Sinn oder Unsinn einer nachgebauten Gotikfassade von Anfang an mit Interesse verfolgt. In Wesel gab es zwei diametrale Lager: eines, das den Wiederaufbau eines verloren gegangenen Baudenkmals grundsätzlich ablehnte mit der Begründung: ‚Was kaputt ist, ist kaputt! Und durch einen Wiederaufbau kann nichts wirklich Neues entstehen’. Die Anhänger des anderen Lagers sehnten sich nach einem Stückchen sichtbarer Geschichte in ihrer Heimatstadt, die zum Ende des Zweiten Weltkrieges fast völlig zerstört worden war. Später, beim Wiederaufbau der Innenstadt nach dem Krieg, hatten - mit Ausnahme des Willibrordi-Doms - mehr pragmatische Aspekte im Vordergrund gestanden.

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