Frauke Scheunemann
Katzenjammer
Katzenjammer, der [katzənjamər]: die Ernüchterung nach überschwänglicher Freude
Mein Leben ist schön. Und es wird täglich schöner. Zufrieden räkle ich mich auf dem kleinen Rasenstückchen unseres Vorgartens und beobachte drei Männer dabei, wie sie schwere Kartons aus unserem Haus heraustragen und in dem großen Lastwagen verstauen, der auf der Straße davor parkt.
Ein tiefes Seufzen neben mir erinnert mich daran, dass nicht alle mit dem heutigen Tag so glücklich sind wie ich. Ich schaue über meine Schulter und sehe meinen Freund, den Kater Herrn Beck, der langsam auf mich zugeschlichen kommt.
»So. Und das soll nun also das vielbeschworene Happy End sein. Na ja.« Becks negative Ausstrahlung macht mich noch wahnsinnig! Warum kann er sich nicht einfach mal mit mir freuen?
»Ja, das ist das Happy End, Punkt!«
»Meiner Erfahrung nach gibt es das bei Menschen gar nicht. Glückliche Enden, meine ich. Die finden immer ein Haar in der Suppe.«
»Okay, von mir aus. Auf alle Fälle ist es MEIN Happy End.« Beck seufzt und schüttelt den Kopf. Das sieht bei einem dicken schwarzen Kater immer sehr fatalistisch aus. »Also dann wird es jetzt ernst, oder?« Er setzt sich neben mich.
»Ja, ich schätze mal noch zehn Kartons, dann sind sie fertig. « Beck nickt und schweigt. Vielsagend, wie mir scheint.
»Nun komm schon! Für uns wird sich gar nichts ändern. Wir bleiben weiterhin die besten Freunde.« Beck sagt nichts. »Okay, ich verstehe ja, dass es für dich netter wäre, wenn wir weiterhin im gleichen Haus wohnen würden. Aber ich habe mir immer eine richtige Familie gewünscht. Und dazu gehören für mich eben mehrere Menschen. Und Kinder. Ich bin so froh, dass Carolin glücklich mit Marc ist, ich wäre mit ihr auch sonst wohin gezogen. Und jetzt ist es doch nur die andere Seite des Parks.« Beck sagt immer noch nichts. Ich unternehme einen letzten Anlauf. »Außerdem bin ich tagsüber immer noch da. Ihre Werkstatt behält Carolin schließlich hier im Haus. Es geht doch nur um die Wohnung.« Becks Schwanzspitze zuckt.
»Lass gut sein, Kumpel. Ich hatte mich eben doch mehr an dich gewöhnt, als ich es selbst für möglich gehalten hätte. An einen Dackel! Das muss man sich mal vorstellen. Hätte man mir das vor einem Jahr geweissagt, ich hätte es mit Abscheu und Empörung von mir gewiesen. Offensichtlich werde ich altersmilde.«
»Nee, ich würde sagen, du bist einfach schlauer geworden und hast erkannt, dass der Hund nicht nur der beste Freund des Menschen, sondern auch des Katers ist. Ist doch nicht das Schlechteste.« Für diese Bemerkung ernte ich einen weiteren abgrundtiefen Seufzer. Gut, das hat wohl keinen Sinn. Dann soll er eben weiter hier rumhängen und Trübsal blasen. Das ist für mich an diesem aufregenden Tag natürlich keine Alternative, und ich beschließe nachzuschauen, wie weit Carolin schon mit dem ganzen Krimskrams ist, der nicht in Kartons gepackt wurde. Vielleicht kann ich noch irgendwas aus dem Kühlschrank abstauben? Ich bilde mir ein, dass der heute Morgen noch gut gefüllt war. Zumindest roch es ganz vielversprechend, als Carolin ihn öffnete, um eine Tüte Milch herauszunehmen.
Die Wohnung – unsere Wohnung! – sieht ganz seltsam aus: Das Sofa, auf dem Carolin und ich so oft zusammen gekuschelt haben, fehlt, ebenso alle anderen Möbel. Nur das kleine Tischchen mit dem Telefon steht noch im Wohnzimmer, einsam und verlassen. Ansonsten wirkt der Raum nun wie eine Halle. Ich gebe es ungern zu, aber bei diesem Anblick wird mir doch ein bisschen mulmig, und ich hoffe, dass Becks Bemerkung über Menschen und das Fehlen von glücklichen Enden nur sein übliches Geunke war. Carolin und Marc werden sich das schon gründlich überlegt haben.
In diesem Moment packen mich zwei riesige Hände und wuchten mich nach oben. Autsch! Nicht so grob!
»Na, Kleiner? Was stromerst du denn noch hier rum?« Ich blicke direkt in die Augen eines dunkelhaarigen Mannes, den ich noch nie zuvor gesehen habe. Er gehört offensichtlich zu den Menschen, die gerade die Wohnung ausräumen, jedenfalls trägt er die gleichen Arbeitsklamotten wie die anderen und riecht nach Schweiß. Jetzt wiegt er mich ein wenig hin und her, als würde er überlegen, was er mit mir anstellen soll. Sofort runterlassen! , möchte ich am liebsten laut rufen, ich bin schließlich kein Möbelstück. In Ermangelung einer menschlichen Stimme muss ich mich aber leider darauf beschränken, den Typen anzuknurren. Der zieht die Augenbrauen hoch.
»Nanu? Wirste etwa frech?«
Bitte? Wer rückt denn hier wem auf die Pelle? Ich knurre noch lauter. Vorsicht! Normalerweise beiße ich nicht, aber wenn es gar nicht anders geht …
»Also gut, du hast es nicht anders gewollt.«
Mit diesen Worten setzt mich Herr Grobian in den Umzugskarton, der noch neben dem Telefontischchen steht. Bevor ich auch nur daran denken kann herauszuhüpfen, schließt er den Deckel. Um mich herum wird es dunkel, und der Geruch von Pappe und Staub steigt in meine Nase. Sofort schwappt eine Woge der Erinnerung über mich hinweg: Schloss Eschersbach, mein Geburtsort, und der alte von Eschersbach, der mich in einen ebensolchen Karton hebt. Mich, den Dackelmischling Carl-Leopold, den er in seiner Zucht nicht duldet. Mein Erstaunen, als ich beim Verlassen des Kartons feststelle, dass ich nicht mehr zu Hause, sondern an einem Ort namens Tierheim bin. Und mein Entsetzen, als sich dieser Ort als wahrer Alptraum herausstellt, aus dem mich Carolin allerdings schon nach einem Tag rettet. Und mich fortan Herkules nennt. Ich beginne zu winseln.
»He, Sie! Haben Sie da etwa gerade meinen Hund in einen Karton gesteckt?«
Durch die Pappe klingt Carolins Stimme ganz dumpf, trotzdem erkenne ich sie natürlich sofort. Der Deckel wird wieder aufgeklappt, Carolins Gesicht erscheint am oberen Rand, mit ihren großen, hellen Augen schaut sie mich mitleidig an.
»Du Armer! Kein Wunder, dass du weinst! Ganz allein in diesem dunklen, engen Karton!«
Sie hebt mich heraus und streichelt mir über den Kopf.
»Alles wieder gut, Herkules. Und Sie merken sich mal eines«, faucht sie den Mann an, »Finger weg von meinem Hund, sonst gibt es gleich richtig Ärger!«
Der guckt sie so blöd an, wie es tatsächlich nur Menschen können. Natürlich – wenn denkende Wesen dem Stumpfsinn anheimfallen, ist es eben viel dramatischer, als wenn beispielsweise ein Goldfisch komplett unterbelichtet ist.
»Is ja gut, is ja gut – ich wollte dem Kleinen doch nichts tun. Nur ein bisschen mit ihm spielen!«
Aha, der wollte nur spielen. Unter Hundebesitzern ja angeblich eine beliebte Ausrede für verzogene Vierbeiner. Dass jetzt schon Zweibeiner darauf zurückgreifen, sagt so einiges über den Zustand aus, in dem sich die Menschheit befindet. Carolin setzt mich wieder auf den Boden, und ich überlege kurz, ob ich an dem Idioten mein Bein heben soll – verwerfe den Gedanken aber als niveaulos. Ein Carl-Leopold von Eschersbach pinkelt nicht aufs Parkett.
Der Mann verzieht sich, und Carolin kniet sich neben mich und streicht sich eine Strähne ihres langen blonden Haares aus dem Gesicht.
»So, Herkules, den sind wir erst mal los. Aber vielleicht gehst du trotzdem wieder in den Garten? Nicht, dass dir gleich der Nächste auf die Pfoten tritt.«
Auf keinen Fall! Meine Mission lautet schließlich Kühlschrank! Ich laufe also Richtung Küche. Dort angekommen, warte ich, bis Carolin mir gefolgt ist, setze mich auf meinen Po und gucke sie so treuherzig an, wie es mir als Dackel nur möglich ist. Zur Unterstreichung meiner Bedürftigkeit fiepe ich noch ein bisschen und hebe eine Vorderpfote. Carolin lacht.
»Aha, daher weht der Wind! Monsieur hat Hunger. Na gut, ein kleiner Snack ist wohl okay.« Sie öffnet die Kühlschranktür und nimmt ein Schälchen heraus. Hm, obwohl die Portion kalt ist, breitet sich ein verführerischer Geruch in der Küche aus. Lecker! Herz!
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