»Lasst uns den Kaffee trinken«, sagte er. »Nicki wird ihn im Salon vorbereitet haben.«
»Genau«, sagte James, das Stichwort ergreifend. »Komm, Olivia.«
Die drei verließen das Esszimmer und ließen Milly und Simon schweigend zurück. Nach einer Weile sah Simon auf und bemerkte, dass Milly ihn anstarrte. In ihrem Gesicht waren weder Spott noch Mitleid zu lesen.
»Es tut mir leid«, murmelte er beschämt. »Ich benehme mich wie ein absolutes Arschloch.«
»Ich habe mich noch gar nicht für das Geschenk bedankt«, sagte Milly.
Sie beugte sich zu ihm und küsste ihn mit warmen, weichen Lippen. Simon, gefangen von ihrer Süße, schloss die Augen und nahm ihr Gesicht in beide Hände. Allmählich verschwand sein Vater aus seinen Gedanken, seine Verärgerung ließ nach. Milly war ganz sein – und allein das zählte.
»Lass uns abhauen«, meinte er unvermittelt. »Die Hochzeit kann uns mal. Lass uns einfach ganz für uns im Standesamt heiraten.« Milly machte sich von ihm los.
»Möchtest du das wirklich?«, fragte sie. Simon erwiderte ihren Blick. Er hatte es nur halb im Ernst gesagt, aber sie sah ihn durchdringend an. »Sollen wir, Simon?« In ihrer Stimme schwang leichte Nervosität mit. »Morgen?«
»Nun«, sagte er ein bisschen überrascht. »Das könnten wir. Aber wären dann nicht alle stocksauer? Deine Mutter würde uns das nie verzeihen.« Milly sah ihn einen Augenblick an und biss sich dann auf die Lippen.
»Hast recht«, sagte sie. »Es ist eine dumme Idee.« Sie schob ihren Stuhl zurück und stand auf. »Komm. Bist du bereit, dich deinem Vater gegenüber dankbar zu zeigen? Er ist sehr freundlich, weißt du.«
»Warte«, sagte Simon. Er nahm ihre Hand und umklammerte sie. »Würdest du wirklich mit mir ausreißen?«
»Ja«, sagte Milly schlicht. »Würde ich.«
»Ich dachte, du freust dich auf die Hochzeit. Das Kleid, die Feier und all deine Freundinnen und Freunde …«
»Hab ich mich auch«, sagte Milly. »Aber …«
Sie sah fort und zuckte die Achseln.
»Aber du würdest das alles aufgeben und ausreißen«, meinte Simon mit bebender Stimme. »Du würdest das alles aufgeben.« Er sah Milly an und dachte bei sich, dass er noch nie eine solche Liebe, einen solchen Edelmut erlebt hatte.
»Keine andere Frau würde das tun«, sagte er mit bewegter Stimme. »Herrgott, ich liebe dich. Ich weiß nicht, was ich getan habe, um dich zu verdienen. Komm her.«
Er zog sie auf seine Knie und fing an, ihren Hals zu küssen, tastete nach ihrem BH-Träger, zog eilig am Reißverschluss ihres Rockes.
»Simon …«, begann Milly.
»Wir machen die Tür zu«, flüsterte er. »Schieben einen Stuhl unter den Türgriff.«
»Aber dein Vater …«
»Er hat uns warten lassen«, sagte Simon gegen Millys warme, parfümierte Haut. »Und nun lassen wir ihn warten.«
Am Morgen darauf erwachte Milly erfrischt. Das reichhaltige Essen, der Wein und die Unterhaltung vom Vorabend schienen spurlos an ihr vorübergegangen zu sein: Sie fühlte sich beschwingt und voller Energie.
Als sie zum Frühstücken in die Küche ging, saßen zwei Gäste bei ihrem Kaffee und nickten freundlich.
»Morgen, Milly!« Ihre Mutter sah vom Telefon auf. »Schau, eine weitere Sonderzustellung für dich!« Sie deutete auf eine große Pappschachtel auf dem Boden. »Außerdem hat jemand eine Flasche Champagner geschickt. Ich habe sie in den Kühlschrank gestellt.«
»Champagner!«, freute sich Milly. »Und was ist das?« Sie goss sich eine Tasse Kaffee ein und begann, die Schachtel aufzureißen.
»Sieht spannend aus«, meinte Mrs. Able ermutigend.
»Und Alexander sagt, er trifft dich um halb elf«, sagte Olivia. »Um ein paar Fotos zu machen und ein bisschen zu plaudern.«
»Oh.« Milly wurde plötzlich übel. »Gut.«
»Du legst vorher lieber noch etwas Make-up auf«, sagte Olivia. Sie musterte Milly kritisch. »Schatz, stimmt etwas nicht?«
»Nein, alles in Ordnung.«
»Ah, Andrea«, wandte Olivia sich wieder dem Telefon zu. »Ja, ich habe verstanden. Und es hat mich, ehrlich gesagt, beunruhigt.«
Mit zittrigen Fingern begann Milly, an der Plastikverpackung zu ziehen, und spürte Panik in sich aufsteigen. Sie wollte Alexander nicht sehen. Sie wollte weglaufen wie ein Kind und ihn aus ihrem Gedächtnis streichen.
»Na, dann wird Derek halt vielleicht einen Cut kaufen müssen«, meinte Olivia gerade scharf. »Andrea, diese Hochzeit ist keine Allerweltsfeier, sie ist ein gesellschaftliches Ereignis. Nein, ein guter Straßenanzug würde mit Sicherheit nicht reichen.« Sie verdrehte vor Milly die Augen. »Was ist es?«, fragte sie mit stummen Mundbewegungen und deutete auf das Geschenk.
Wortlos zog Milly ein Paar Reisetaschen von Louis Vuitton heraus und starrte sie an. Ein weiteres luxuriöses Geschenk. Sie versuchte zu lächeln, versuchte, ein freudiges Gesicht zu machen. Doch alles, woran sie denken konnte, war die dumpfe Angst, die in ihr wuchs. Sie wollte die prüfenden Augen nicht wieder auf ihrem Gesicht spüren. Sie wollte sich verstecken, bis sie sicher mit Simon verheiratet war.
»Wow!«, sagte Olivia.
»So etwas habe ich ja noch nie gesehen!«, sagte Mrs. Able. »Geoffrey! Schau dir doch bloß das Hochzeitsgeschenk an! Woher sind die, Liebes?«
Milly sah auf die Karte. »Von jemandem, von dem ich noch nie gehört habe.«
»Von einem von Harrys Freunden, schätze ich«, sagte Olivia und legte den Hörer auf.
»So eine Hochzeit habe ich noch nie erlebt!« Mrs. Able schüttelte den Kopf. »Was werde ich zu Hause alles zu erzählen haben!«
»Ich habe Ihnen doch erzählt, wie die Trauung abläuft, nicht wahr?«, fragte Olivia und ging selbstzufrieden zum Herd hinüber. »Wir lassen eigens einen Organisten aus Genf einfliegen. Offensichtlich ist er der Beste. Und sobald Milly bei der Kirche eintrifft, spielen drei Trompeter eine Fanfare.«
»Eine Fanfare!«, sagte Mrs. Able zu Milly. »Da werden Sie sich ja wie eine Prinzessin vorkommen.«
»Schatz, iss ein Ei«, sagte Olivia.
»Nein, danke«, sagte Milly. »Ich möchte bloß Kaffee.«
»Bist wohl noch etwas angeschlagen von gestern Abend«, meinte Olivia munter und schlug Eier in einer Pfanne auf. »Nicht, Milly, das Dinner war wundervoll?« Sie lächelte Mrs. Able an. »Ich muss sagen, Harry ist ein wunderbarer Gastgeber.«
»Ich habe gehört, dass seine geschäftlichen Dinner etwas ganz Besonderes seien«, meinte Mrs. Able.
»Na, mit Sicherheit«, entgegnete Olivia. »Aber natürlich ist es anders, wenn wir unter uns sind.« Sie lächelte in der Erinnerung. »Da gibt es diese steifen Formalitäten nicht – wir amüsieren uns alle einfach nur. Wir essen, wir trinken, wir unterhalten uns …« Sie warf Mr. und Mrs. Able einen Blick zu, um sich zu vergewissern, dass sie auch zuhörten. »Schließlich ist Harry einer unserer engsten Freunde. Und bald wird er zur Familie gehören.«
»Man denke nur«, sagte Mr. Able. »Harry Pinnacle, Teil Ihrer Familie! Und dabei betreiben Sie nur ein Bed-and-Breakfast-Haus!«
»Ein vornehmes Bed and Breakfast!«, brauste Olivia auf. »Das ist ein Unterschied!«
»Geoff!«, flüsterte Mrs. Able verärgert. »Sie müssen sicher oft mit ihm dinieren«, sagte sie rasch zu Olivia. »Wo Sie so enge Freunde sind.«
»Na ja …«, sagte Olivia in besänftigtem Ton. Sie schwenkte ihren Omelettwender vage in der Luft.
Zweimal, dachte Milly. Zweimal hast du mit ihm diniert.
»Es hängt ganz davon ab.« Olivia lächelte Mrs. Able freundlich an. »Eine feste Vereinbarung gibt es da nicht. Manchmal ist er wochenlang nicht im Lande – dann kommt er zurück und möchte einfach nur mal ein paar Tage mit Freunden verbringen.«
»Waren Sie schon mal in seinem Londoner Domizil?«, fragte Mrs. Able.
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