Die Konkurrenz ist in diesen Monaten so stark geworden, daß wir den Gedanken unserer Obst-Export-Firma in aller Stille begraben müssen. Dagegen ist uns durch den Tod unseres Freundes Destilliano und durch die Übernahme seines großen Erbes durch Sie eine Aufgabe erwachsen, die wir nicht übersehen dürfen. Wir haben das Werk Ricardos zu krönen und seinen Geist auf ewig für die Menschheit wachzuhalten. Mehr denn je braucht heute die Menschheit in der Not den Segen der Wissenschaft und daher auch uns, die wir sie in das Volk tragen.
Ich möchte Sie daher bitten, zu mir nach Amsterdam ins >Europäische Haus< zu kommen, wo ich Ihnen einen Plan vorlegen werde, der ganz im Sinne unseres Ricardo ist und der bereits bis ins einzelne vorbereitet ist: die Gründung der Pharmazeutischen Export-Company Manolda & Co. Ich darf Sie in den nächsten Tagen in Amsterdam erwarten. Immer Ihr Manolda.«
Dr. Albez war sich vollkommen darüber im klaren, daß dieser Brief eine Falle war. Er gab sich von Beginn an nicht der Illusion hin, Manolda würde wirklich noch leben und hätte dieses Schreiben geschickt in der Absicht, dem Zustand des Rätselratens ein Ende zu bereiten.
Jetzt geht es um das Ganze, dachte er sich. Und jetzt wird es sich vor allem auch zeigen, was hinter den geheimnisvollen Toten verborgen liegt und warum Anita sterben mußte!
Anita! Sie war noch immer der Drehpunkt seiner Gedanken, und es verging kein Tag, an dem er nicht den Vorwurf gegen sich selbst bestärkte, irgendwie an dem Tode des geliebten Mädchens mitschuldig zu sein.
Und so saß er in seiner Limousine in den dicken Polstern, blaß, vergrämt, zusammengefallen - ein Millionär, den seine Millionen fraßen.
Brummend bog der schwere Wagen um die Ecke und schoß dann mit großer Geschwindigkeit auf der Straße nach Lissabon dahin.
Als er um die Ecke der Felsenstraße bog, trat ein kleiner, unscheinbarer Mann aus einer Gesteinsnische und blickte dem Auto nach. Dann schob er ein Motorrad aus einer Felsspalte, trat den Anlasser herunter und ratterte mit springenden Rädern in entgegengesetzter Richtung davon.
Der Kreis um Dr. Albez hatte sich geschlossen.
Er schien es zu ahnen und lächelte in seinen dicken Polstern, als der Wagen sich den Vororten Lissabons näherte.
In der kleinen Villa Konsul Manoldas in Den Haag saßen um die gleiche Zeit zwei Männer vor einem kleinen, tickenden Kurzwellenempfänger und nahmen eine Meldung auf, die sie sichtlich befriedigte.
»Er kommt also«, sagte der eine mit einem südländischen Typus und einer leicht singenden Sprache. »Sie müssen versuchen, ihn entweder zu überzeugen oder ihn einfach kaltzustellen. Sie wissen, wer dieser Dr. Albez ist.«
»Pieter van Brouken.«
»Richtig. Er lebt seit sieben Jahren in einer Bewußtseinsspaltung. Will er auf unsere Vorschläge nicht eingehen, so betäuben Sie ihn mit Chloroform und bringen ihn hierher. Wir werden ihn dann mittels Schrecktherapie und durch ein Nervenserum wieder als Pieter van Brouken auf die Beine stellen.«
Der andere nickte lächelnd.
»Womit ein Dr. Albez aufgehört hat zu leben und wir einfach aufgrund eines plötzlich aufgefundenen Testaments, in dem er sich als Selbstmörder bekennt, das schöne Erbe antreten. Nicht übel, mein Freund.«
»Man muß Ideen haben«, sagte der andere selbstbewußt, »um im Leben etwas zu werden ... «
Dann bauten sie gemeinsam den Empfänger ab und versteckten die Teile in verschiedenen Kelleräumen unter Kohlen und altem Gerumpel.
Um die gleiche Zeit wurde Chefkommissar Selvano von der alarmierenden Meldung überrascht, daß sich der Rauschgiftschmuggel wieder stabilisiert habe, und zwar in Westeuropa. Man hätte große Organisationen in Aachen, Paris und Brüssel festgestellt, die Kokain, Marihuana und vor allem das neu eingeführte Dagga aus Afrika in katastrophaler Menge unter die Leute brächten. Die Spur führe nach wie vor nach Las Palmas, das als der Umschlaghafen dieser Organisation angesehen werden müsse.
Für Selvano war es somit klar, daß Biancodero und Manolda nicht die Köpfe dieser Organisation sein konnten, wie auch Destilliano vielleicht hie und da einmal ein Rauschgiftpaket verkauft haben mochte, aber niemals der Initiator dieser Verbrechen gewesen sein konnte. Das Aufleben der neuen großen Schmuggelfahrten war nun wieder ein Beweis, daß man sein Interesse auf einen völlig falschen Punkt konzentriert und die Spürnase Primo Galbez dieses Mal kläglich versagt hatte.
Kommissar Selvano war es unangenehm, daran zu denken. Niemand erinnert sich gern an einen großen Fehlschlag, und so nahm er sich vor, nie mehr an diesen Fall zu denken.
Es war der 20. Juni 1930, als die dunkle Limousine mit knirschenden Bremsen am Kai des Lissaboner Hafens hielt und Dr. Albez in einem weiten Reisemantel und mit zwei hellen Schweinslederkoffern über die Laufbrücke an Bord der >Espana< ging, die in wenigen Minuten in Richtung Marseille auslauten mußte. In dem Gedränge achtete Dr. Albez nicht auf die anderen Menschen, die zwischen Kisten, Ballen, verschalten Autos und Bergen von Koffern sich zur Paßkontrolle schoben, sondern mit dem Selbstbewußtsein des geachteten Mannes schritt er an dem Kontrolleur vorbei und reichte ihm kurz seinen Paß hin.
Der Polizist grüßte und ließ Dr. Albez passieren. In diesem Augenblick hob Primo Galbez in dem Telefonhäuschen am Kai den Hörer ab und sagte mit einer leicht ironischen Stimme :
»Lieber Selvano - unser Vogel geht an Bord der >Espana< in Richtung Marseille. Ich nehme an, daß er nach Sevilla will, um dort hinzugehen, wo er herkam. Was soll ich machen?«
Antonio de Selvano lehnte sich am anderen Ende des Drahtes in seinen Sessel zurück und spielte mit dem Bleistift.
»Sie sind ein unverbesserlicher Kauz, Galbez«, antwortete er. »Sie wissen, daß ich jede Unterstützung ablehne. Biancodero wird ein wenig in die Ferien fahren. Die Trauer strengt an! Überhaupt ein Wunder, wie Sie das wieder ausgeknobelt haben ... Aber machen Sie, was Sie wollen. Am besten ist, Sie lassen Biancodero in aller Ruhe fahren und kümmern sich lieber um den Mord in der Rua Carcalla.«
Ärgerlich hieb Primo Galbez den Hörer auf die Gabel, stieg in seinen Wagen, blickte noch einmal sehnsüchtig auf den mächtigen Leib der >Espana<, schüttelte den Kopf und brauste dann trotzig mit einem verkehrswidrigen Tempo dem Innern Lissabons zu.
Unter mächtigem Tuten der Schiffssirenen wurde das Fallreep eingezogen, die kleinen Schlepper stießen zischend Qualm aus ihren Schloten, und langsam, gezogen von den Booten, schob sich das Riesenschiff aus dem Hafen, dem spiegelnden, weiten, in der Sonne flimmernden Atlantik entgegen.
Oben an der Reling, auf dem Laufgang der Kabinen erster Klasse, stand Dr. Albez und blickte zurück auf die weiße, herrliche Stadt Lissabon.
Dort, umflossen von goldener Sonne, lag der Monte do Castello. Die alte Burg stand in scharfen Konturen gegen den lichtblauen Himmel.
Der Monte do Castello. Und unter ihm lag ein Haus mit einem weiten, verwilderten Garten, der einmal widertönte von dem hellen, jubelnden Lachen einer perlenden Stimme ...
Dr. Albez wandte sich ab und ging zurück in die Kabine. Die Arme auf die Knie gestützt und die Hände vor die Augen gelegt, saß er auf dem Bettrand und zwang sich, zu vergessen.
Er saß noch so da, als der Steward die Kabinen abging und die Herrschaften zum Abendessen einlud.
Er saß so die ganze Nacht ...
Als Dr. Albez, von Marseille mit dem Flugzeug kommend, in Amsterdam eintraf und verabredungsgemäß im >Europäischen Haus<, dem größten Hotel, ab stieg, war Konsul Condes de Manolda zwar schon angemeldet, aber noch nicht aus Den Haag herübergekommen.
Dr. Albez nahm sich ein Apartment nach der Straße zu, bezahlte für eine Woche im voraus und bat, ihn sofort bei der Ankunft des Konsuls zu verständigen. Den Boy, der die Koffer auspacken wollte, schickte er mit einem guten Trinkgeld wieder weg und hängte die Anzüge selbst in den Schrank. Ganz zuletzt nahm er ein Bild Anitas in einem schweren Goldrahmen aus dem Koffer und stellte es auf den Schreibtisch des Herrenzimmers, legte einen im Foyer des Hotels gekauften Orchideenstrauß davor und nahm dann ein heißes Bad.
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