2. Offizier mitteilt - ist unbekannt. Der Mord geschah zu der gleichen Zeit, in der Biancodero mit Baron v. Pottlach auf dessen Plantage verhandelte.«
Galbez zuckte hoch.
»Chef«, rief er, »ich würde sofort den Baron v. Pottlach verhaften lassen!«
Selvano lächelte. Er schwenkte das Telegramm aus Dakar.
»Ist bereits geschehen! Der Gute war auf der Flucht nach Dakar, wohin auch Biancodero fuhr. Wahrscheinlich wollte er seinen Geschäftspartner in den dunklen Hafenvierteln still und gefahrlos für ihn verschwinden lassen! Von Pottlach wurde in dem Augenblick verhaftet, als er an Land ging. Biancodero ist auf der Fahrt zurück nach Lissabon. Die Kette scheint mir klar: Erst Manolda, dann der Spürhund Permez, zuletzt sollte Biancodero fallen. Manolda und v. Pottlach hätte den größten Obsthandel West- und Südeuropas gehabt!«
Sie waren vor dem Hause angelangt, traten in die weite Säulenhalle ein und wandten sich links dem Arbeitszimmer zu, wo
Selvano an dem breiten Fenster, das zum Meer hinausführte, in einem der Sessel Platz nahm.
»Ich habe eine Überraschung für Sie, Selvano«, sagte Galbez nach einer Zeit des Schweigens. »Es gelang mir doch, mit einem Zug sieben meiner Bewacher - die ganze Kolonne, wie sich später herausstellte - zu fangen und hier in der Eremitenklause unterzubringen. Nach einem langen Verhör habe ich folgendes zu Protokoll gegeben, was Sie, unterschrieben von der ganzen Bande, gleich in den Akten nachlesen können: Die Bewachung wurde angeordnet von einem Auftraggeber in Santa Cruz.«
Selvano zuckte auf.
»Von Pottlach?!« rief er fragend.
»Ja! Mittels verschlüsselter Kabelgramms standen sie mit ihm in direkter Verbindung und erhielten von Santa Cruz aus ihre genauen Anweisungen. Somit steht also fest, daß v. Pottlach ein Interesse an Biancodero hatte, das über das geschäftliche hinausgeht. Zwei von der Bewachung waren direkt aus Las Palmas nach Lissabon transportiert und gestanden, daß sie an der Aushöhlung der Äpfel mitgeholfen hatten. Sie fand statt in einer Faktorei des Barons von Pottlach!«
»Fabelhaft!« schrie Selvano.
»Über den Sinn der Überwachung konnte ich nichts erfahren, da der Auftrag der Burschen lediglich darin bestand, das Haus und Biancodero zu beobachten und alles, was im Haus geschah, zu melden. Das ist aber auch nicht wichtig! Wichtig ist allein das Kabelgramm, das Pottlach gestern an die Brüder schickte und in dem es heißt, daß die Leiche Manoldas aus dem Grabe fortgeschafft werden soll!«
»Galbez!« schrie Selvano und sprang auf. »Galbez, Sie Genie, Sie Lausekerl: Das ist das letzte Kettenglied: Der Tote ist Manolda! Sie haben es schriftlich, von dem guten Pottlach sogar! Die Zusammenhänge sind somit klar! Wir können zugreifen!«
»Nicht mehr nötig!« Galbez lächelte. »Von Pottlach haben Sie schon, Biancodero ist unschuldig, die sieben Bewacher spielen im Keller mit leeren Weinflaschen Kegel, und die Lager in Las Palmas und Santa Cruz stehen unter Polizeibewachung. Das habe ich bereits angeordnet, weil ich Sie in den letzten zwölf Stunden nicht erreichen konnte. Was uns nur noch fehlt, ist die
Lösung eines Rätsels: Warum beging Anita Almiranda Selbstmord und versuchte vorher, ihren Onkel mit einem Leuchter zu erschlagen? Daß sie von dem Schmuggel gewußt hat, halte ich für ausgeschlossen, denn sonst würde es auch Biancodero von ihr erfahren haben, und die Konsequenzen wären radikal gewesen! Irgendwie ist in diesen fünf Jahren eine Lücke ... «
»Das steht jetzt auch nicht zur Debatte.« Selvano hob den Hörer des Telefons vom Schreibtisch ab. »Ich rufe den Präfekten an und werde ihm melden, daß Sie, Primo Galbez, den größten Rauschgiftschmugglerring Europas gesprengt haben. Im voraus gratuliere ich zur Beförderung zum Kommissar, die Ihnen sicher ist. Am meisten aber wird der gute Biancodero staunen, wenn er sieht, daß er nur eine Puppe war, mit der man nach Gutdünken spielte. Tut mir leid, der arme Kerl, er sieht das Leben nicht real genug. Und staunen wird er, wenn er erfährt, was sein Freund Manolda wirklich war. Seine Leiche haben Sie doch auch, Galbez?!«
»Ja. Sie liegt, in einem Sack vernäht, in einer Felsenhöhle ganz in der Nähe. Man wollte sie anscheinend ins Meer werfen, denn in dem Sack befinden sich ungefähr drei Zentner Steine.«
Zu der gleichen Stunde zog in schneller Fahrt die Jacht Anita durch den Atlantik, Lissabon entgegen. In seiner Kabine saß Dr. Albez, hatte den Panamahut in den Nacken geschoben und schüttelte zum wiederholten Male den Kopf.
»Die Welt ist total verrückt geworden«, sagte er dabei und spielte mit den Fingern an einem kleinen Papier, das allein auf der blanken Platte des Schreibtisches lag.
Dann stand er auf und öffnete die Klappe des Sprachrohres zur Kommandobrücke.
»Kapitän«, sagte er, »nehmen Sie äußerste Kraft. Ich muß heute nacht noch in Azenhas do Mar sein.«
Langsam trat Dr. Albez von dem Sprachrohr zurück und ging wieder unter die Tischlampe. In der Hand hatte er noch immer den kleinen Zettel.
Es war ein Telegramm aus Amsterdam.
Aufgegeben vor vier Stunden.
In Amsterdam.
Ein Telegramm von Konsul Manolda ...
Eine drückende Schwüle lag über Dakar. Zwar war das Klima dieses Hafens schon immer berüchtigt gewesen, und eine Versetzung in dieses Fieberloch galt in der französischen Armee als eine Strafe, doch das Wetter an diesem Oktobertag des Jahres 1929 übertraf selbst die dunkelsten Ahnungen pessimistischer Poilus, die am Hafen standen und ein Fallreep bewachten, über das vor ein paar Minuten ein deutscher Kaufmann aus Santa Cruz in Begleitung dreier Beamter der Sürete geschritten war.
»Merde«, sagte einer der Soldaten und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Steht man da wegen eines Lumpen in der Sonne! Was hat er eigentlich gemacht?«
Der andere Poilu zuckte die Schultern.
»Was wird's schon sein? Hat ein bißchen mit >Schnee< gehandelt. Als ob das ein Verbrechen wäre! Was wäre das Leben in dieser Fieberhölle, wenn man nicht des Abends sein Pfeifchen mit den braunen Kugeln hat oder das nette Pülverchen des Vergessens. Was bedeutet es, daß man zehn Jahre früher als sonst vor die Hunde geht, das Leben ist eine grande cocotte!«
Der erste blickte seinen Kameraden scheel von der Seite an. Philosophie am Rande der Wüste ist die einzige Unterhaltung, dachte er. Kenne ich von der Fremdenlegion her. Da liegen sie auf ihren Matten in den Wüstenforts, die Knarre im Arm, und träumen. Wie gut, daß die Mischlingsmädchen nicht so spröde sind ... man könnte sonst irrsinnig werden ...
Aber er antwortete nicht. Achselzuckend drehte er sich wieder
um und blickte weiter auf das weiße Schiff.
Im Inneren des Kahns saß in einer verschlossenen Kabine, deren Bullauge von außen zugeschraubt war, Baron v. Pottlach und spielte mit den Fingern. Sein Monokel hatte er eingebüßt, aber sein weißer Anzug und seine ganze Haltung hatten das Aristokratenhafte behalten, und auch, als er jetzt aufstand und mit kleinen Schritten den Raum durchmaß, wirkte er wie ein Luxusreisender, nicht aber wie ein Gefangener, zehn Stunden vor seiner Auslieferung und seinem Urteil von etlichen Jahren Zwangsarbeit in den Steinbrüchen von Portugals Küste.
Sinnend blieb Baron v. Pottlach stehen und betrachtete den in der Kabine aufgestellten Schreibtisch. Er war herausklappbar in die Kabinenwand eingelassen und enthielt eine Feder, einen Stapel Papier und ein Fläschchen Tinte. Ferner lagen neben einem kleinen Petroleumkocher Siegellack und ein Siegelpetschaft.
Baron v. Pottlach mußte lächeln. »Man denkt an alles«, murmelte er. »Das Geständnis des Verbrechers, geschrieben in der verriegelten Luxuskabine des Dampfers Liberte!« Er lachte laut und setzte sich dann doch an den Schreibtisch, spielte mit dem Papier und drehte den Federhalter in den Fingern.
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