Er entwarf einen Plan für uns. Ich kam als Erster an die Reihe. »Männer sind nicht kompliziert«, sagte er und trommelte mit den Fingern auf seinen Mahagoni-Schreibtisch. »Die Genitalien eines Mannes sind wie sein Verstand: simpel, sehr wenige Überraschungen. Aber die Damen sind da schon anders… nun, der liebe Gott hat sich eben Gedanken gemacht, als er Sie und Ihre Geschlechts genossinnen erschuf.« Ich fragte mich, ob er diese Bemerkungen wohl bei allen Paaren anbrachte, die zu ihm kamen.
»Da sind wir ja richtige Glückspilze«, sagte Soraya.
Dr. Rosen lachte. Es klang beinahe echt. Aber nur beinahe. Er gab mir einen Laborzettel und ein Plastikgefäß und Soraya eine Überweisung für eine Reihe von Blutuntersuchungen. Wir schüttelten einander die Hände. »Willkommen an Bord«, sagte er, als er uns hinausbegleitete.
Ich schnitt glänzend ab.
Und bei Soraya jagte in den nächsten Monaten ein Test den anderen: Basal-Körpertemperatur-Messungen, Bluttests für jedes nur erdenkliche Hormon, Urintests, ein so genannter Gebärmutterhalsabstrich, Ultraschall, noch mehr Bluttests und noch mehr Urintests. Soraya unterzog sich einem Verfahren, das sich Hysteroskopie nannte, dabei sah sich Dr. Rosen mit einem Hysteroskop in ihrer Gebärmutter um. Er fand nichts. »Alles an Ort und Stelle«, verkündete er und zog sich mit einem schnappenden Geräusch die Latexhandschuhe von den Händen. Als die Tests vorüber waren, eröffnete er uns, dass er keine Erklärung dafür hatte, warum wir keine Kinder bekommen konnten. Offenbar war das gar nicht so ungewöhnlich.
Dann folgte die Behandlungsphase. Wir versuchten es mit einem Medikament und einer Reihe von Spritzen, die sich Soraya selbst gab. Als das fehlschlug, riet uns Dr. Rosen zur künstlichen Befruchtung. Wir erhielten ein höfliches Schreiben unserer Krankenkasse, in dem man uns viel Glück wünschte, es aber bedauerte, dass man für diese Kosten nicht aufkommen könne.
Wir benutzten den Vorschuss für meinen Roman, um dafür zu bezahlen. Die künstliche Befruchtung erwies sich als eine langwierige, umständliche, frustrierende und letztendlich erfolglose Angelegenheit. Nach monatelangem Herumsitzen in Wartezimmern und der Lektüre von Zeitschriften wie Good Housekeeping und Reader’s Di gest, nach endlosen kalten und sterilen Untersuchungsräumen, die nur von Neonlampen beleuchtet waren, der wiederholten Demütigung, jedes Detail unseres Liebeslebens mit einem völlig Fremden diskutieren zu müssen, Unmengen von Spritzen und Sonden und Probeentnahmen, kehrten wir wieder zu Dr. Rosen und seinen Eisenbahnen zurück.
Er saß uns gegenüber, trommelte mit den Fingern auf seinen Schreibtisch und benutzte zum ersten Mal das Wort »Adoption«. Soraya weinte auf dem ganzen Nachhauseweg.
Soraya eröffnete ihren Eltern die Neuigkeit an dem Wochenende nach unserem letzten Besuch bei Dr. Rosen. Wir saßen auf Klappstühlen im Garten der Taheris, grillten Forellen und tranken Joghurt -dogh. Es war ein früher Märzabend im Jahr 1991. Khala Jamila hatte ihre Rosen und ihre frisch gepflanzte Heckenkirsche gegossen, und der Duft vermischte sich mit dem Geruch der gar werdenden Fische. Schon zweimal hatte sie sich aus ihrem Stuhl vorgebeugt, um Soraya über das Haar zu streichen und zu sagen: »Gott weiß, was das Beste für uns ist, bachem. Vielleicht sollte es einfach nicht sein.«
Soraya blickte immer wieder auf ihre Hände hinunter. Ich wusste, dass sie müde war, dieser ganzen Dinge müde. »Der Arzt hat gesagt, wir sollten über eine Adoption nachdenken«, murmelte sie.
General Taheris Kopf zuckte hoch. Er schloss den Deckel des Grills. »Hat er das?«
»Er sagte, es sei eine Möglichkeit«, erwiderte Soraya.
Wir hatten uns schon zu Hause über eine Adoption unterhalten. Soraya wurde von widersprüchlichen Gefühlen geplagt. »Ich weiß, dass es albern ist und vielleicht auch eitel«, kam sie im Auto, auf dem Weg zum Haus ihrer Eltern, noch einmal darauf zu sprechen. »Aber ich kann einfach nicht anders. Ich habe immer davon geträumt, dass ich das Baby einmal in dem Bewusstsein in den Armen halten würde, dass mein Blut es neun Monate lang versorgt hat, dass ich eines Tages in seine Augen blicken und voller Erstaunen dich oder mich in ihm sehen würde, dass das Baby heranwachsen und dein oder mein Lächeln haben würde. Aber ohne all das… Ist das falsch?«
»Nein«, erwiderte ich.
»Bin ich egoistisch?«
»Nein, Soraya.«
»Denn wenn du es wirklich gern tun würdest…«
»Nein«, sagte ich. »Wenn wir es tun, dann sollten wir keinerlei Zweifel haben und uns absolut einig sein. Sonst wäre es dem Kind gegenüber nicht fair.«
Sie lehnte den Kopf ans Fenster und sagte nichts mehr.
Nun saß der General neben ihr. »Bachem, diese… Adoptionssache… also, ich weiß nicht so recht, ob das etwas für uns Afghanen ist.« Soraya blickte mich erschöpft an und seufzte.
»Zum einen werden die Kinder größer und wollen wissen, wer ihre biologischen Eltern sind«, sagte er. »Und das kann man ihnen schwerlich vorwerfen. Manchmal verlassen sie das Zuhause, in dem du dich jahrelang abgeschunden hast, um für sie zu sorgen, und suchen nach den Menschen, die ihnen das Leben geschenkt haben. Blut besitzt eine ganz besondere Macht, bachem, das solltest du nie vergessen.«
»Ich möchte nicht mehr darüber reden«, sagte Soraya. »Eins lass mich noch sagen«, erwiderte er. Ich befürchtete, dass er sich langsam warm redete; wir würden wohl einen der kleinen Vorträge des Generals zu hören bekommen. »Nimm doch nur einmal Amir jan hier. Wir alle kannten seinen Vater, ich weiß, wer sein Großvater in Kabul war und sein Urgroßvater vor ihm. Ich könnte hier sitzen und Generationen seiner Vorfahren zurückverfolgen, wenn du mich darum bitten würdest. Das ist der Grund, warum ich, als sein Vater — er möge in Frieden ruhen — für seinen Sohn um deine Hand anhielt, nicht gezögert habe. Und du kannst mir glauben, dass sein Vater nicht zugestimmt hätte, um deine Hand zu bitten, wenn er nicht gewusst hätte, wessen Nachkomme du bist. Blut besitzt eine ganz besondere Macht, bachem, und bei einer Adoption weißt du nicht, wessen Blut du dir in dein Haus holst. Wenn du Amerikanerin wärest, würde es keine Rolle spielen. Die Leute hier heiraten aus Liebe, der Familienname und die Vorfahren spielen dabei überhaupt keine Rolle. Und so adoptieren sie auch — solange das Baby nur gesund ist, sind alle glücklich. Aber wir sind Afghanen, bachem.«
»Ist der Fisch nicht langsam gar?«, fragte Soraya. General Taheris Augen verweilten auf ihr. Er tätschelte ihr Knie. »Freu dich einfach darüber, dass du gesund bist und einen guten Ehemann hast.«
»Wie ist deine Meinung, Amir jan ?«, fragte Khala Jamila.
Ich stellte mein Glas auf das Fenstersims, wo eine ganze Reihe Geranien in Blumentöpfen stand, von denen Wasser herabtropfte. »Ich stimme General Sahib zu.«
Der General nickte beruhigt und wandte sich wieder dem Grill zu.
Wir alle hatten unsere Gründe, die gegen eine Adoption sprachen. Soraya hatte ihre, der General seine, und ich hatte diesen einen: dass vielleicht irgendetwas, irgendjemand irgendwo entschieden hatte, mir die Vater schaft aufgrund der Dinge, die ich getan hatte, zu versagen. Vielleicht war das meine Strafe und vielleicht sogar eine gerechte dazu. Vielleicht sollte es einfach nicht sein, hatte Khala Jamila gesagt. Oder vielleicht sollte es eben genau so sein.
Einige Monate später benutzten wir den Vorschuss meines zweiten Romans als Anzahlung für ein hübsches viktorianisches Haus mit zwei Schlafzimmern in Bernal Heights, einem Stadtteil von San Francisco. Es hatte ein Spitzdach, Holzböden und einen winzigen Garten, an dessen Ende sich eine Sonnenterrasse und eine Vertiefung zum Grillen befanden. Der General half mir dabei, die Terrasse auf Hochglanz zu bringen und die Wände zu streichen. Khala Jamila beklagte, dass wir beinahe eine Stunde von ihnen entfernt wohnen würden, vor allem weil sie glaubte, dass Soraya so viel Liebe und Unterstützung wie nur möglich nötig habe — ohne sich bewusst zu sein, dass gerade ihr gut gemeintes, aber übertriebenes Mitgefühl Soraya zu einem Umzug bewogen hatte.
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