Mit einer Gewehrmündung im Rücken nahm Allan die Mütze ab und dankte den drei erschossenen Kommunisten dafür, dass sie ihm auf dem Weg über den Himalaya Gesellschaft geleistet hatten. Irgendwie würde er sich niemals richtig daran gewöhnen, dass alle neuen Freunde, die er fand, früher oder später vor seinen Augen sterben mussten.
Doch man ließ ihm nicht viel Zeit zum Trauern. Vielmehr fesselte man ihm die Hände auf dem Rücken und warf ihn auf eine Decke auf der Ladefläche eines Lkws. Mit der Nase in der Decke bat er die Männer auf Englisch, ihn zur schwedischen Botschaft in Teheran zu bringen, oder wahlweise zur amerikanischen, für den Fall, dass Schweden keine diplomatische Vertretung in der Stadt haben sollte.
» Khafe sho! «, lautete die drohende Antwort.
Allan verstand sie nicht, aber er begriff trotzdem. Es konnte sicher nicht schaden, wenn er jetzt eine Weile den Mund hielt.
* * * *
Auf der anderen Seite des Erdballs, in Washington, D. C., hatte Harry S. Truman so seine eigenen Sorgen. Langsam, aber sicher standen in Amerika Präsidentschaftswahlen an, und es galt, sich richtig zu positionieren. Die wichtigste strategische Frage war die, wie weit er den Negern in den Südstaaten entgegenkommen wollte. Es galt, einen Mittelweg zu finden: sich einerseits fortschrittlich geben, andererseits aber auch nicht zu nachgiebig wirken. Auf diese Weise gewann man die öffentliche Meinung für sich.
Auf der Weltbühne musste er sich mit Stalin auseinandersetzen. Hier war er allerdings zu keinerlei Kompromissen bereit. Stalin mochte den einen oder anderen eingewickelt haben, aber nicht Harry S. Truman.
China war inzwischen schon längst Geschichte. Stalin ließ diesem Mao jede erdenkliche Hilfe zukommen, und Truman konnte den Amateur Chiang Kai-shek einfach nicht in gleichem Maße weiter unterstützen. Song Meiling hatte bekommen, worum sie gebeten hatte, aber jetzt war es auch mal genug. Was wohl aus Allan Karlsson geworden war? Wirklich ein netter Kerl.
* * * *
Chiang Kai-sheks militärische Niederlagen häuften sich. Und Song Meilings eigene Unternehmungen scheiterten, als der verantwortliche Sprengstofftechniker verschwand und obendrein noch die Braut der Witzfigur mitnahm.
Song Meiling verlangte wiederholt eine Audienz bei Präsident Truman, um ihn eigenhändig dafür zu erwürgen, dass er ihr diesen Allan Karlsson geschickt hatte. Doch Truman hatte nie Zeit, sie zu empfangen. Vielmehr zeigten die USA der Kuomintang jetzt die kalte Schulter und ließen sie mit Korruption, galoppierender Inflation und Hungersnöten allein. All das spielte natürlich Mao Tse-tung in die Hände. Schließlich mussten Chiang Kai-shek, Song Meiling und ihr Hofstaat nach Taiwan fliehen. Festlandchina wurde kommunistisch.
12. KAPITEL Montag, 9. Mai 2005
Den Freunden auf Sjötorp war endgültig klar geworden, dass sie dringend ihren Bus besteigen und verschwinden mussten. Doch zuvor hatten sie noch ein paar eilige Angelegenheiten zu erledigen.
Die Schöne Frau zog Regenmantel, Mütze und Gummihandschuhe an und holte den Gartenschlauch, um die Überreste des kleinen Gauners abzuspülen, den Sonja breit gesessen hatte. Vorher wand sie dem Toten allerdings den Revolver aus der rechten Hand und legte ihn vorsichtig auf die Veranda (wo sie ihn prompt vergaß). Die Mündung drehte sie so, dass sie auf eine dicke Fichte in vier Meter Entfernung zeigte – man konnte ja nie wissen, wann so ein Apparat einfach mal losging.
Nachdem sie Humpen von Sonjas Scheiße gereinigt hatte, schoben Julius und Benny ihn unter den Rücksitz seines eigenen Ford Mustang. Da hätte er sonst bestimmt nicht druntergepasst, doch jetzt war er ja hübsch geplättet.
Dann setzte sich Julius ans Steuer des Mustang und fuhr los, gefolgt von Benny im Passat der Schönen Frau. Sie wollten sich einen einsamen Ort suchen, der weit genug von Sjötorp entfernt war, um dort das Auto des Ganoven mit Benzin zu übergießen und anzuzünden – wie es eben richtige Gangster in dieser Situation gemacht hätten.
Doch dazu brauchten sie erst einen Kanister und dann auch noch Benzin, um ihn zu befüllen. Also hielten Julius und Benny an einer Tankstelle am Sjösåsvägen in Braås. Benny ging hinein, um zu besorgen, was sie brauchten, während Julius sich etwas zum Naschen kaufen wollte.
Ein nagelneuer Ford Mustang mit V8-Motor mit über 300 PS vor einer Tankstelle in Braås ist ungefähr genauso sensationell, als würde eine Boeing 747 auf dem Sveavägen in Stockholm herumstehen. Humpens kleiner Bruder und einer seiner Kollegen von The Violence einigten sich in Sekundenschnelle auf die Carpe-diem-Strategie: Der kleine Bruder sprang in den Mustang, während sein Kumpel den mutmaßlichen Besitzer im Auge behielt, der gerade drinnen neben der Kasse im Süßigkeitenregal kramte. Was für ein Fang! Und was für ein Trottel! Wer lässt denn bitte bei so einem Auto die Zündschlüssel stecken?!
Als Benny und Julius wieder herauskamen – der eine mit einem noch nicht befüllten Benzinkanister, der andere mit einer Zeitung unter dem Arm und dem Mund voller Bonbons –, war der Mustang weg.
»Hatte ich das Auto nicht hier geparkt?«, fragte Julius.
»Doch, das hattest du hier geparkt«, bestätigte Benny.
»Haben wir jetzt ein Problem?«, fragte Julius.
»Ja, jetzt haben wir ein Problem«, bestätigte Benny.
Dann fuhren sie mit dem ungestohlenen Passat zurück nach Sjötorp. Der leere Kanister war immer noch leer. Aber das war ja jetzt auch schon egal.
* * * *
Der Mustang war schwarz mit hellgelben Rallyestreifen. Ein richtiges Prachtexemplar, für das Humpens kleiner Bruder und seine Kumpels ordentlich abkassieren würden. Der Diebstahl war ebenso spontan wie problemlos gewesen. Keine fünf Minuten nach dem ungeplanten Coup stand das Auto schon sicher bei The Violence in der Garage.
Tags drauf tauschte man das Kennzeichen aus. Der kleine Bruder ließ einen seiner Handlanger mit dem Auto zu den Geschäftspartnern in Riga fahren und mit dem Schiff wieder zurückkommen. Normalerweise sorgten die Letten dann mit Hilfe falscher Nummernschilder und Dokumente dafür, dass das Auto als Privatimport an ein Mitglied von The Violence zurückging, und schon war aus einem gestohlenen Auto ein legales Gefährt geworden.
Doch ausgerechnet dieses Mal lief es anders, denn während das Auto aus Schweden in der Garage in Ziepniekkalns am südlichen Stadtrand von Riga stand, begann es ganz grauenvoll zu stinken. Der Chef der Werkstatt ging der Sache auf den Grund und entdeckte eine Leiche unter dem Rücksitz. Er fluchte das Blaue vom Himmel herunter und entfernte dann gründlich alles, was irgendwie die Herkunft dieses Wagens verraten könnte. Danach drosch er auf den wunderschönen Mustang ein, bis das Auto total verbeult war und völlig wertlos aussah. Dann fand und bestach er einen Säufer, der das Wrack für vier Flaschen Wein zum Schrotthändler fuhr, wo es komplett verschrottet werden sollte – Leiche inklusive.
* * * *
Die Freunde in Sjötorp waren startklar. Dass der Mustang mit dem Toten gestohlen worden war, war natürlich unschön, aber dann meinte Allan, es sei eben, wie es sei, und es komme, wie es komme. Außerdem meinte er, man könne sich ja berechtigte Hoffnungen machen, dass die Autodiebe keinen Kontakt zur Polizei aufnehmen würden. Schließlich liege es in der Natur des Autodiebs, einen gewissen Abstand zur Polizei zu halten.
Sie fuhren am frühen Abend um halb sechs los. Es war ganz gut, dass sie noch vor der Dämmerung loskamen, denn der Bus war groß und der Weg zurück zur Landstraße schmal und kurvig.
Sonja stand in ihrem Stall auf Rädern. Von Hof und Viehstall hatte man alle Spuren des Elefanten sorgfältig entfernt. Der Passat und Bennys Mercedes konnten hier stehen bleiben, denn sie konnten ja mit keinem Verbrechen in Verbindung gebracht werden. Und was hätten sie auch sonst mit den Autos tun sollen?
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