Abends lachte Asiadeh. Heiterkeit erfüllte ihre Augen. Sie stand vor dem Spiegel des Ankleidezimmers, und der Lippenstift in ihrer Hand glich einem Zepter. Die Türken waren doch ein edles Volk. Sie wußten, was sich bei einer Dame gehört, auch wenn diese Dame sie beschimpft und angefahren hat. Sie spitzte die Lippen und fuhr vorsichtig mit dem Stift darüber. Sie wird heute den ganzen Abend türkisch sprechen. Es war ihr gleich, wer die Fremden waren. Es waren Landsleute. Klumpen Erde vom heimatlichen Boden. Sie öffnete den Parfumflakon und berührte mit dem Glasstäbchen ihre Schläfen. Sie wollte heute abend von anatolischen Dörfern sprechen und von den kleinen Booten, die an den Inseln des Marmarameeres kreisen und von rüstigen Arnauten geführt werden. Sie wollte den Staub der asiatischen Hügel spüren und die engen sonnengeschützten Gassen der fernen Städte.
Sie nahm eine schmale Bürste und fuhr über ihre weichen Wimpern. Sie wird im Ozean der heimatlichen Klänge baden, und die Fremden werden von Kamelen erzählen, die aus der Wüste kommen und gelbe Augen haben. »So«, sagte sie und blickte auf ihre rosigen Nägel. Sie wollte nett zu den Fremden sein, die sie beschimpft hatte und die den Staub der Heimat an ihren Fersen trugen.
Sie verließ das Haus. In der Hotelhalle erhob sich Sam Dooth. Neben ihm, die leeren, hellen Augen in die Ferne gerichtet, die Lippen zusammengepreßt, John Rolland. Er sah Asiadeh, seine Hand drückte ihre rosigen Finger. Die gebogene Osmanennase witterte den Geruch ihres Körpers, und er sagte gelassen: »Hanum, ich bin Euer Sklave.«
Sie saßen im Hotelrestaurant. Schweigsame Kellner servierten. Rollands Hände glitten über die Speisen. Gläser klirrten. Asiadeh sprach von ihrem Vater, der in Berlin lebte, von ihren Brüdern, die im Felde fielen, und von ihrem Hause, das am Bosporus stand.
»Sind Sie schon lange aus Istanbul weg?« fragte sie.
John sah sie an. Seine müden Augen glänzten matt unter den halb geschlossenen Lidern. Eine Frau! — dachte er — welche Frau! Zerreißt Geld und kann sich wehren. Eine richtige Osmanin, bester Istanbuler Schliff. Man soll eine Frau nie verstoßen, bevor man sie angeschaut hat. Ich war ein Narr. Aber jetzt bin ich klug. Das Gebet ist besser als der Schlaf. Und eine Frau ist besser als Wein. Sie wird meine Frau sein.
»Ja«, sagte er. »Wir sind schon lange aus Istanbul weg. Aber wir wissen: dem Volk geht es gut, die Heimat gedeiht, die Armee ist stark. Es gibt kein Leid mehr in Istanbul.«
»Und es gibt keine Osmanen mehr«, warf Asiadeh ein.
»Ja.« Johns Stimme klang sehr gleichgültig. Auch er war bester Istanbuler Schliff. »Es gibt keine Osmanen mehr. Es gibt nur noch Türken. Und es ist gut so. Die Osmanen waren wie alte Wölfe mit herausgefallenen Zähnen.«
»Sie hatten immerhin ihre Verdienste«, sagte Perikles, denn es war ihm bange vor Johns gleichgültiger Stimme.
»Ein Verdienst gibt keinen Anspruch auf ewige Dankbarkeit«, sagte John. »Alles war bemessen und alles abgewogen. Das Maß war voll!«
»Ich war mit einem Mitglied des Hauses Osman verlobt«, sagte Asiadeh. »Ein Diener soll nicht schlecht über seinen gestürzten Herrn sprechen.«
»Ich war nie Diener des Hauses Osman.« Rollands Wimpern hoben sich. »Aber Sie selbst, Hanum, zogen es vor, einen Wiener statt eines Osmanen zu heiraten. Das zeigt, daß das Maß voll war.«
»Er hat mich verlassen.« Asiadehs Stimme klang sehr kühl, und Sam Dooth entsann sich plötzlich, daß er noch telephonieren müsse und dann vielleicht noch ein Telegramm aufgeben wolle. Er ging und befahl dem Portier, eine Flasche Whisky auf Johns Nachttisch zu stellen. Er war ein kluger und vorsorglicher Mensch.
»Ich habe Ihren Vater in Berlin getroffen. Er hat mir aufgetragen, Sie zu grüßen.« John sprach leise, und seine Hände hingen schlaff herab.
»Sie haben meinen Vater gesehen? Sie kennen ihn?«
»Natürlich kenne ich ihn, sogar seit langer Zeit. Ich sah ihn zuerst am Babi-Saadet, an der Pforte der Glückseligkeit. Es war, als Memed-Raschid zum erstenmal den Mantel des Propheten küßte. Es ist schon eine Weile her. Wir traten durch das Tor des Kaisers ein. Es war am fünfzehnten Tag des Ramasan. Der Kaiser trug die Marschalluniform, und hinter ihm schritt der Großwesir. Wir gingen zum Saal des Heiligen Mantels. Er war ganz mit schwarzem Tuch ausgeschlagen. In riesigen Goldlettern waren Koranverse in das Tuch gestickt. In der Mitte stand die edelsteinbeschlagene Truhe, die den Mantel des Propheten barg. Aber ich langweile Sie mit diesen Erinnerungen. Es ist schon so lange her, und Sie sind eine moderne Frau.«
»Sprechen Sie weiter.« Asiadeh legte das Besteck weg. Ihre Wangen röteten sich. Es gab eine Zeit, in der ihr Vater neben dem Kaiser schritt, durch die Pforte der Glückseligkeit, zum Saale des Heiligen Mantels.
»Der Mantel des Propheten war in vierzig goldgestickte Gewänder gehüllt. Der Saal war mit Kerzen beleuchtet. Es war sehr heiß, und es dauerte sehr lange, bis die vierzig Gewänder abgestreift wurden. Der Kaiser war ein kranker Mann. Er stand da, auf das Schwert gestützt, seine Augen waren fast geschlossen. Er betete. Dann küßte er als erster den Mantel des Propheten. Nach ihm alle andern, der Reihe nach. Ihr Vater stand an achtunddreißigster Stelle. Er war damals noch ein junger General. Rechts vom Mantel stand der kaiserliche Hofmarschall. Er hielt ein Samtkissen auf ausgestreckten Händen. Auf dem Kissen lagen seidene Tücher. Nach jedem Kuß wischte er den Mantel mit einem seidenen Tuch ab. Jeder Würdenträger bekam ein Tuch. Dann kamen die Palastdiener. Sie trugen einen silbernen Wasserbehälter. Der Saum des Mantels wurde gespült. Das Wasser des Behälters wurde in kleine Flaschen gegossen. Jeder bekam eine Flasche, mit dem kaiserlichen Siegel versiegelt. Es war ein schöner Tag, als ich Ihren Vater zum erstenmal gesehen habe.«
Asiadeh starrte vor sich hin. Sie saß im großen hellerleuchteten Raum. Ein Ober im Frack verbeugte sich am Nebentisch. Auf einem Rollwagen wurden zahlreiche Hors d’њuvres vorbeigefahren. Der Mantel des Propheten war ein Gespenst, das unwirklich im Raume spukte, seltsam beschworen von den Worten des Fremden. Ein dunkles Zimmer, mit schwarzen Tapeten und ein kranker Kaiser, auf das Schwert gestützt. Die Bilder gingen ineinander über, sie durchkreuzten sich. Der Kranke saß am Tisch, und im silbernen Wasserbehälter schwammen die Forellen.
»War das das einzige Mal, daß Sie meinen Vater gesehen haben?«
»Nein, zehn Jahre später sah ich ihn wieder. In der Moschee des Fahnenträgers Ejub. Es war an dem Tage, als Wachdeddin sich mit dem Schwerte Osmans umgürtete. Neben dem neuen Sultan stand der dicke Talaat-Pascha. Enver trug volle Gala und hatte einen stachligen Schnurrbart. Ihr Vater war damals bereits Leiter des Privatkabinetts des Sultans. Wachdeddin hatte eingefallene Wangen und lange Hände. Er war der letzte, der sich mit dem Schwerte Osmans umgürtete.«
Er saß sehr ruhig da und trank Mokka. Jetzt runzelte er kaum merklich die Stirn. Er sah wie ein Automat aus, der mechanisch die Bewegungen vollführt, die ihm ein fremder Wille eingeprägt hatte.
»Wenn mein Vater der Achtunddreißigste im Gefolge Memed-Raschids war, an welcher Stelle standen dann Sie?« Asiadehs Stimme klang ganz harmlos.
»Ich? Ich war der Siebzehnte.«
Beide schwiegen. Am Nebentische gab ein Gast weitschweifig eine Bestellung auf.
»Sie sind ein Hochstapler«, sagte Asiadeh sanft. »Aber es macht nichts. Ich unterhalte mich gern über die alten Zeiten.«
»Ich bin kein Hochstapler.« Johns Stimme klang traurig. »Warum denken Sie, daß ich einer bin?«
»Weil… na ja. Es ist ja ganz einfach. Sie sind bestimmt nicht über vierzig. In der Zeit, als mein Vater der Achtunddreißigste im Gefolge des Kaisers war, konnten Sie noch keine zwanzig Jahre alt sein. Und Sie wollen an der siebzehnten Stelle gestanden haben?«
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