Der Tag verlief rege und mit bescheidenen, aber konstanten Verkäufen. Fermín ließ sich keine Gelegenheit entgehen, meinen Vater für den Segen der Krippe und dieses Jesuskinds mit der Statur eines baskischen Gewichthebers zu loben.
»Da ich sehe, dass Sie ein echtes Verkaufsgenie sind, ziehe ich mich nach hinten zurück, um sauberzumachen und die Sammlung durchzusehen, die uns die Witwe neulich anvertraut hat.«
Ich packte die Gelegenheit beim Schopf, folgte Fermín nach hinten und zog den Vorhang zum Laden zu. Er schaute mich einigermaßen beunruhigt an, und ich lächelte versöhnlich.
»Wenn Sie wollen, helfe ich Ihnen.«
»Wie Sie belieben, Daniel.«
Einige Minuten lang packten wir die Bücherkartons aus und stapelten den Inhalt nach Gattung, Zustand und Größe. Fermín öffnete die Lippen keinen Spaltbreit und wich meinem Blick aus.
»Fermín…«
»Ich habe Ihnen schon gesagt, dass Sie sich wegen des Briefes keine Sorgen zu machen brauchen. Ihre Frau Gemahlin ist kein Flittchen, und wenn sie Sie eines Tages sitzenlassen will, und da sei Gott vor, wird sie es Ihnen ins Gesicht sagen, ohne Groschenromanintrigen.«
»Botschaft angekommen, Fermín. Aber es ist nicht das.«
Er schaute bekümmert auf, da er ahnte, was kommen würde.
»Ich habe gedacht, wir beide könnten heute Abend nach Ladenschluss essen gehen«, begann ich. »Um über unsere Angelegenheiten zu plaudern. Über den Besuch von neulich. Und über das, was Ihnen Sorgen macht — ich spüre es im Urin, dass es da einen Zusammenhang gibt.«
Fermín legte das Buch, das er gerade saubermachte, auf den Tisch. Er schaute mich mutlos an und seufzte.
»Ich stecke in der Klemme, Daniel«, murmelte er schließlich. »Und ich weiß nicht, wie ich da rauskommen soll.«
Ich legte ihm die Hand auf die Schulter. Unter dem Kittel war nichts weiter zu spüren als Haut und Knochen.
»Dann erlauben Sie mir, Ihnen zu helfen. Wenn man sie gemeinsam angeht, sehen solche Dinge gleich etwas weniger schlimm aus.«
Er schaute mich verloren an.
»Bestimmt haben wir schon aus größeren Schwierigkeiten herausgefunden, Sie und ich«, setzte ich nach.
Er lächelte traurig, wenig überzeugt von meiner Diagnose.
»Sie sind ein guter Freund, Daniel.«
Nicht halb so gut, wie er es verdiente, dachte ich.
Zu jener Zeit hauste Fermín noch in der alten Pension in der Calle Joaquín Costa, wo, wie ich aus sicherer Quelle wusste, die anderen Untermieter in engem Zusammenwirken mit der Rociíto und ihren Kampfgefährtinnen einen Junggesellenabschied für ihn vorbereiteten, der in die Geschichte eingehen würde. Fermín erwartete mich schon vor dem Hauseingang, als ich ihn kurz nach neun Uhr abholte.
»Großen Hunger habe ich eigentlich nicht«, sagte er zur Begrüßung.
»Schade, ich hatte gedacht, wir könnten ins Can Lluís gehen«, schlug ich vor. »Heute Abend gibt’s gekochte Kichererbsen mit Schweinekopf und — füßchen…«
»Na ja, man darf auch nicht allzu voreilig sein«, stimmte er zu. »Gutes Essen ist wie junge Mädchenblüte — nur Schwachköpfe wissen es nicht zu schätzen.«
Mit dieser Perle aus dem Aphorismenschatz des vortrefflichen Don Fermín Romero de Torres als Motto spazierten wir zum Can Lluís hinunter, das unter allen Lokalen in Barcelona wie auch im Großteil der restlichen bekannten Welt eines der Lieblingslokale meines Freundes war. Es lag in der Calle de la Cera 49, auf der Schwelle zum Herzstück des Raval-Viertels. Sich schlicht gebend, mit einem Hauch von Wanderbühnennostalgie und randvoll von den Geheimnissen des alten Barcelona, zeichnete sich das Can Lluís durch eine hervorragende Küche, einen Service wie aus dem Lehrbuch und durch selbst für Fermín oder mich erschwingliche Preise aus. Unter der Woche versammelte sich da abends eine Bohemegemeinde — Theater- und Literaturmenschen und weitere Kreaturen, die gut oder elend lebten und alle miteinander anstießen.
Im Can Lluís trafen wir einen Stammkunden des Ladens an, Professor Alburquerque, stadtbekannter Gelehrter, Dozent an der philosophischen Fakultät und feinsinniger Kritiker und Artikelschreiber, der hier sein zweites Zuhause hatte und jetzt an der Theke zur Zeitungslektüre dinierte.
»Sie lassen sich selten blicken, Professor«, sagte ich im Vorbeigehen. »Besuchen Sie uns doch mal wieder, um Ihre Bestände aufzustocken — der Mensch lebt nicht von der Lektüre der Todesanzeigen in der Vanguardia allein.«
»Das würde ich nur zu gern tun. Das sind diese verflixten Diplomarbeiten. Bei dem ganzen Schwachsinn, den dieses eingebildete Pack heute zusammenstottert, werde ich über kurz oder lang legasthenisch.«
Da servierte ihm ein Kellner den Nachtisch: einen runden Flan, der in einem Tränenmeer aus gebranntem Zucker wabbelte und nach delikater Vanille roch.
»Diese Anwandlung dürfte Euer Hochwohlgeboren nach zwei Löffeln von diesem Wunderwerk sogleich vergehen«, sagte Fermín, »wo es mit seinem Karamellwackeln dermaßen Doña Margarita Xirgus Busen gleicht.«
Der gelahrte Dozent betrachtete seine Nachspeise im Lichte dieser Überlegung und stimmte verzückt bei. Wir überließen ihn dem Genuss der zuckersüßen Reize der Bühnendiva und fanden an einem Ecktisch im hinteren Speisesaal ein Unterkommen. Nach kurzer Zeit wurde uns ein üppiges Essen aufgetragen, das Fermín wie ein Scheunendrescher wegputzte.
»Und ich dachte, Sie hätten keinen Hunger«, warf ich hin.
»Es ist der Muskel, der Kalorien heischt«, erklärte er, während er mit dem letzten Stück Brot den Teller auf Hochglanz polierte, aber ich hatte das Gefühl, es sei pure Beklemmung, was ihn aufzehrte.
Pere, unser Kellner, trat an den Tisch und erkundigte sich nach unserem Ergehen. Als er sah, dass Fermín keinen Stein auf dem anderen gelassen hatte, reichte er ihm die Dessertkarte.
»Ein Nachtischchen, um das Werk zu vollenden, Meister?«
»Also zu zwei Flans nach Art des Hauses, wie ich vorher einen gesehen habe, würde ich nicht nein sagen, nach Möglichkeit mit je einer blutroten Sauerkirsche.«
Pere nickte und erzählte, als der Wirt gehört habe, wie Fermín die Konsistenz und die metaphorische Kraft dieses Rezepts glossierte, habe er beschlossen, den Flan in Margarita umzutaufen.
»Für mich nur einen kleinen Kaffee«, sagte ich.
»Der Chef sagt, Dessert und Kaffees gehen aufs Haus«, sagte Pere.
Wir prosteten mit den Weingläsern dem Wirt zu, der sich hinter der Theke mit Professor Alburquerque unterhielt.
»Ein guter Mensch«, murmelte Fermín. »Manchmal vergisst man geradezu, dass es auf dieser Welt nicht nur Gesindel gibt.«
Die Härte und Bitterkeit seines Tons überraschte mich.
»Warum sagen Sie das, Fermín?«
Mein Freund zuckte die Achseln. Gleich darauf kamen die beiden Flans, auf denen sich die Sauerkirschen verführerisch in prekärem Gleichgewicht hielten.
»Ich möchte Sie daran erinnern, dass Sie in ein paar Wochen heiraten, und dann ist Schluss mit den Margaritas«, scherzte ich.
»Ich Ärmster«, sagte er. »Ich bin bloß noch Mundwerk. Ich bin nicht mehr der von früher.«
»Keiner von uns ist der von früher.«
Wonniglich genoss er seine beiden Flans.
»Jetzt weiß ich gar nicht mehr, wo, aber einmal habe ich gelesen, dass wir im Grunde nie die von früher gewesen sind, dass wir uns nur an das erinnern, was nie geschehen ist…«, sagte Fermín.
»Das stammt aus dem Anfang eines Romans von Julián Carax«, antwortete ich.
»Stimmt. Was mag wohl aus dem guten Carax geworden sein? Fragen Sie sich das nie?«
»Jeden Tag.«
Fermín lächelte, als er sich an unsere Abenteuer aus früheren Zeiten erinnerte. Dann deutete er mit dem Finger fragend auf meine Brust.
»Tut es noch weh?«
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