Der König der Lüfte rutschte nervös auf der Stuhlkante hin und her.
»Wie bitte? Ich verstehe nicht, was Sie meinen.«
»Ciudad Bolívar ist so klein, dass Gerüchte sich wie ein Lauffeuer verbreiten«, antwortete Cardona freimütig. »Ich habe gehört, dass Sie in finanziellen Schwierigkeiten stecken. Ein paar Freunde und ich finden es nicht gerecht, wenn jemand wie Sie, der so entscheidend dazu beigetragen hat, dieses Land, das ich schon fast als meine Heimat betrachte, noch schöner und anziehender zu machen, sich mit solchen Problemen herumschlagen muss.«
»Ich bin Ihnen sehr verbunden, aber…«
»Jetzt zieren Sie sich nicht so!«, unterbrach ihn der Spanier brüsk. »Wir beide sind Piloten und wissen, was das bedeutet. Wir haben die Pflicht, uns jederzeit und unter allen Umständen gegenseitig zu helfen, so wie die Seeleute es untereinander auch tun. Sie sind unter uns Fliegern eine Legende, die noch größer sein wird, wenn Sie beweisen können, dass dieser Wasserfall tatsächlich existiert. Für mich und für alle, die so denken wie ich, wäre es eine ungeheuerliche Schande, wenn wir Ihnen in dem Augenblick, in dem Sie es am meisten brauchen, nicht zur Hilfe kommen würden.«
»Ich habe Ihnen auch nicht geholfen, als Sie mich darum baten.«
»Wir hatten unterschiedliche Ziele«, erklärte der Spanier. »Nach dem, was mit Ihrem Freund Dick Curry geschehen ist, fand ich es nur logisch, dass Sie keine weitere Verantwortung übernehmen wollten.« Er deutete mit einer Geste auf Mary, die das Gespräch aufmerksam verfolgte. »Ihre Frau kam damals zu mir und hat mir Ihre Gründe erklärt. Und ich habe sie verstanden. Ich weiß, dass Sie mir meinen Wasserfall nicht stehlen wollten, aber das Schicksal hat es so gewollt. Was mich angeht, so ist dieses Thema erledigt.« Er sah ihm in die Augen. »Und jetzt sagen Sie mir schon, was Sie am nötigsten brauchen.«
»Es gibt nichts, was ich…«
»Jimmie Angel!«
Das war die vorwurfsvolle Stimme seiner Frau.
»Ich kann doch nicht…«
»Vergiss endlich deinen Stolz!«, ermahnte ihn seine Frau scharf. »Und sei nicht so dickköpfig! Wenn du in Lebensgefahr wärst und ein anderer Pilot dir zu Hilfe käme, fändest du es völlig normal, weil auch du dein Leben für den anderen riskiert hättest. Aber wenn man dir Geld anbietet, schlägst du es aus.« Sie schnaubte verächtlich. »Ihr Männer seid so verdammte Machos, dass ihr dem Geld mehr Bedeutung schenkt als dem Leben!«
»Sie sprechen mir aus der Seele, Señora!«, pflichtete der Spanier bei und sagte anschließend an Jimmie gewandt: »Außerdem sollten Sie nicht vergessen, dass es nicht nur meine Idee gewesen ist. Wie gesagt, ich gehöre zu einer Gruppe von Gleichgesinnten, die alle der Meinung sind, dass man Ihnen gegenüber ungerecht ist. Manche Journalisten haben Sie sogar als Aufschneider und verrückten Gringo beschimpft. So etwas bringt mich einfach auf die Palme.«
Lange Zeit herrschte völlige Stille, während Jimmie mit gerunzelter Stirn und finsterem Gesicht grübelte. Seine Frau und der Spanier beobachteten ihn.
Schließlich schien er eine Idee zu haben.
»Und was wäre, wenn wir eine Gesellschaft gründen?«, schlug er vor. »Sie finanzieren mein Unternehmen und ich…«
»Zum Teufel noch mal, Sie Gringo!«, rief Cardona und lachte. »Man hat mich hergeschickt, damit ich Ihnen unter die Arme greife, und Sie faseln von einer Gesellschaft! Für wen halten Sie uns eigentlich? Für Bankiers? Oder Anwälte? Wir sind Träumer, keine Geschäftsleute!«
»Sehr richtig.«
»Vielen Dank, Señora. Mit Ihnen verstehe ich mich viel besser als mit diesem Dickkopf.«
»Jetzt ist aber Schluss!«, fuhr Jimmie dazwischen. »Es war ja nur eine Idee.« Er schenkte sich Kaffee nach und ließ sich Zeit mit seiner Antwort. »Ich kann nicht leugnen, dass uns langsam die Felle davonschwimmen, wie man so schön sagt«, räumte er schließlich ein. »Der Sprit, das Öl, die Ersatzteile, die Miete für das Haus haben unsere letzten Ersparnisse aufgezehrt. Wir besitzen praktisch nur noch die Maschine, aber ein Flugzeug ohne Sprit ist nichts wert. Wenn es zu regnen aufhört und ich jemanden zu den Wasserfällen fliegen kann, ändert sich die Lage vielleicht, aber im Augenblick sieht es ganz und gar nicht gut aus.«
»Das ist schon besser!«, sagte Félix Cardona erleichtert, zog einen braunen Umschlag aus der Brusttasche und legte ihn diskret auf den Tisch. »Dieses Geld stammt von Freeman, Aguerrevere, Gustavo Henry, Mundó, Armaral, López Delgado und noch einigen anderen. Es ist keineswegs eine milde Gabe. Das Geld ist dazu bestimmt, den Beweis für diesen Wasserfall zu erbringen. Nimm einen Notar mit, mein Junge, mach Fotos oder was immer du willst, aber erbring den Beweis.« Er lächelte herzlich und schlug ihm sanft auf das Knie. »Und wenn es aufklart, kannst du uns hinfliegen. Wir wären zufrieden, wenn wir dieses Wunder mit eigenen Augen sehen könnten. Abgemacht?«
»Abgemacht!«
Nachdem ihr Gast gegangen war, setzte sich Mary Angel zu ihrem Mann, der gedankenverloren seine Pfeife paffte und auf den ungeöffneten Umschlag starrte.
»Woran denkst du?«, fragte sie.
»Ich weiß es nicht«, antwortete er unsicher. »Einerseits bin ich wegen der Solidarität dieser Menschen, die ich nicht einmal kenne, tief bewegt, andererseits passt es mir nicht in den Kram, dieses Geld annehmen zu müssen. Du kannst es drehen und wenden, wie du willst, es bleibt eine milde Gabe.«
»Das sehe ich nicht so«, widersprach seine Frau unbefangen. »Wenigstens gibt es ein paar Leute, die deine Leistung würdigen. Sieh es als eine Art Preis, den die venezolanische Regierung an dich vergeben hat.«
»Red keinen Unsinn!«, fuhr Jimmie sie an. »Es ist weder ein Preis noch sonst irgendwas. Es ist der Beweis dafür, dass ich es mit meinen sechsunddreißig Jahren nicht geschafft habe, mir eine sichere Existenz aufzubauen. Was wird aus dir werden, wenn ich eines Tages abstürze?«
»Dann werde ich in meinen alten Beruf zurückkehren und Gott dafür danken, dass ich so lange Zeit glücklich sein durfte. Das ist mehr, als die meisten Menschen in ihrem ganzen Leben bekommen.«
»Du hast wirklich eine Gabe, schwierige Dinge einfach darzustellen.«
»Weil sie im Grunde genommen ganz einfach sind«, entgegnete Mary, ohne seinen Worten eine besondere Bedeutung beizumessen. »Ich war ein ganz gewöhnliches Mädchen, bis ich dich kennen gelernt habe. Und da ich wesentlich jünger bin als du und weiß, dass du einen gefährlichen Job hast, gehe ich ohnehin davon aus, dass du vor mir stirbst. Du wirst also nur ein Intermezzo in meinem Leben sein. Allerdings wünsche ich mir, dass dieses Intermezzo solange wie möglich dauert.«
»Auch wenn du dafür in einem Loch am Ende der Welt leben musst?«
»Das ist kein Loch. Es ist unser Zuhause. Und es liegt auch nicht am Ende der Welt. Es ist das Tor zur letzten jungfräulichen Zuflucht auf dieser Welt, und obendrein zu deinen Wasserfällen. Du solltest endlich aufhören zu jammern. Ich bin nämlich stolz darauf, dass eine Gruppe von Unbekannten die Verdienste meines Mannes zu würdigen weiß.«
»Du hast immer auf alles eine Antwort. Und bist mit allem zufrieden.«
»Warum auch nicht? Ich hatte eine langweilige Arbeit ohne Perspektiven in einer trostlosen, kalten Stadt. Dann bist du in mein Leben getreten und mit dir kamen Träume und die Liebe an einem phantastischen Fluss in einem warmen, freundlichen Land. Ich würde einen Tritt in den Hintern verdienen, wenn ich nicht zufrieden wäre. Gewiss, ich muss bange Augenblicke durchmachen, aber dann erinnere ich mich daran, dass man dich nicht umsonst den König der Lüfte nennt.«
»Den König der Lüfte. Dass ich nicht lache!«, rief Jimmie spöttisch. »Ein König, dessen Untertanen Enten und Reiher sind.« Er beugte sich vor und griff nach dem Umschlag. »Mal sehen, wie viel drin ist und wie lange es uns über Wasser halten kann.«
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