In den seltenen Fällen, wenn Robin und Brian, etwa bei Hochzeiten, noch gemeinsam ausgingen, hütete Denise in der Panama Street ein. Sie brachte den Mädchen bei, wie man Spinatpasta machte und Tango tanzte. Sie hörte zu, wenn Erin die amerikanischen Präsidenten aufzählte. Sie durchsuchte mit Sinead die Schubladen nach Kostümen.
«Denise und ich sind jetzt mal Ethnologen», sagte Sinead, «und du kannst eine Hmong sein, Erin.»
Wenn sie Sinead mit Erin zusammen überlegen sah, was wohl eine Hmong-Frau auszeichnete, wenn sie beobachtete, wie
Sinead mit trägem, halb gelangweiltem Minimalismus zu Donna Summer tanzte, wie sie die Füße kaum vom Boden hob, ganz leicht die Schultern rollte und ihr Haar über den Rücken gleiten und schwingen ließ (während Erin epileptische Anfälle bekam), liebte Denise nicht nur das Mädchen, sondern auch dessen Eltern für das Erziehungswunder, das sie, auf welche Weise auch immer, an ihm vollbracht hatten.
Robin war weitaus weniger beeindruckt. «Klar, dass sie dich lieben», sagte sie. «Du versuchst ja auch nicht, Sinead die Kletten aus dem Haar zu kämmen. Du streitest dich nicht zwanzig Minuten lang mit ihnen darüber, was ‹Bettenmachen› heißt. Du kennst Sineads Mathenoten nicht.»
«Sind die nicht gut?», fragte die vernarrte Babysitterin.
«Sie sind verheerend. Wenn sie nicht besser werden, könnten wir ihr demnächst damit drohen, dass sie dich nicht mehr sehen darf.»
«O nein, bitte nicht.»
«Vielleicht willst du ja mal periodische Dezimalbrüche mit ihr üben.»
«Klar, auch das.»
An einem Sonntag im November, als die fünfköpfige Familie im Fairmount Park spazieren ging, sagte Brian zu Denise: «Robin hat dich richtig ins Herz geschlossen. Ich war mir da vorher nicht so sicher.»
«Ich mag Robin sehr», sagte Denise.
«Am Anfang fühlte sie sich, glaube ich, ein bisschen von dir eingeschüchtert.»
«Aus gutem Grund. Nicht wahr.»
«Ich hab ihr nie etwas erzählt.»
«Na, besten Dank.»
Denise entging nicht, dass dieselben Eigenschaften, die es Brian ermöglicht hätten, Robin zu betrügen — seine
Anspruchshaltung, seine treuherzige Überzeugung, dass alles, was er tat, in jedermanns Sinn war — , es einem auch leicht machen würden, ihn selbst zu betrügen. Denise spürte, dass sie für Brian allmählich zu einer Erweiterung von «Robin» wurde, und da «Robin» in Brians Augen dauerhaften Großartigkeitsstatus besaß, brauchte er weder über sie noch über «Denise» weiter nachzudenken.
Ähnlich absolutes Vertrauen schien Brian in Denise' Freund Rob Zito als Geschäftsführer des Generators zu setzen. Brian versuchte, einigermaßen auf dem Laufenden zu bleiben, doch je kälter es draußen wurde, desto häufiger war er nicht da. Denise fragte sich kurz, ob er eine andere hatte, doch wie sich herausstellte, war seine neue Flamme ein freischaffender Regisseur, Jerry Schwartz, der für seine hervorragenden Soundtracks ebenso bekannt war wie für die Gabe, immer wieder jemanden aufzutreiben, der seine künstlerisch wertvollen Rote-Zahlen-Projekte finanzierte. («Ein Film, den man am besten mit geschlossenen Augen genießt», schrieb Entertainment Weekly über Schwartz' trübseligen Messerstecher-Streifen Moody Fruit.) Gerade als Schwartz die Hauptszenen einer zeitgenössischen Verbrechen und Strafe — Verfilmung zu drehen begann, in der Raskolnikow, gespielt von Giovanni Ribisi, ein junger, irgendwo im nördlichen Philadelphia untergetauchter Anarchist und Hifi-Fan war, kam Brian, ein glühender Bewunderer der Schwartz'schen Soundtracks, wie ein Engel mit den rettenden fünfzig Mille herabgeschwebt. Während Denise und Rob Zito im Generator Technik- und Beleuchtungsentscheidungen trafen, besuchte er Schwartz und Ribisi et al. am Drehort in den seelenvollen Ruinen von Nicetown, tauschte mit Schwartz aus identischen CD-Köfferchen mit Reißverschluss CDs oder aß mit ihm und Greil Marcus oder Stephen Malkmus im Pastis, New York, zu Abend.
Ohne sich dessen bewusst gewesen zu sein, hatte Denise geglaubt, dass Brian und Robin kein Sexleben mehr hätten. Als sie Silvester gemeinsam mit vier Paaren und einer Horde Kinder in der Panama Street verbrachte und Brian und Robin in der Küche knutschen sah, zerrte sie ihren Mantel unter dem Mantelhaufen hervor und rannte aus dem Haus. Eine gute Woche lang war sie zu aufgewühlt, um Robin anzurufen oder sich mit den Mädchen zu treffen. Sie hatte ein Auge auf eine heterosexuelle Frau geworfen, die mit einem Mann verheiratet war, den sie unter Umständen gern selbst geheiratet hätte. Es war ein einigermaßen hoffnungsloser Fall. Und St. Judas gab, und St. Judas nahm.
Robin beendete Denise' Moratorium mit einem Anruf. Sie kreischte vor Wut. «Weißt du, wovon Jerry Schwartz' Film handelt?»
«Hm, Dostojewski in Germantown?»
«Du weißt es also. Wie kommt es, dass ich es nicht wusste? Weil er es mir verheimlicht hat, weil ihm klar war, was ich davon halten würde!»
«Das ist ein Giovanni-Ribisi-als-dünnbärtiger-Raskolnikow-Verschnitt, so was in der Art», sagte Denise.
«Mein Mann», sagte Robin, «hat fünfzigtausend Dollar, die er von der W — Corporation bekommen hat, in einen Film über einen Anarchisten aus Nordphilly gesteckt, der zwei Frauen den Schädel einschlägt und dafür in den Knast muss! Er geilt sich daran auf, wie cool es ist, mit Giovanni Ribisi und Jerry Schwartz und Ian Schießmichtot und Stephen Sowieso rumzuhängen, während mein anarchistischer Bruder aus Nordphilly, der wirklich jemandem den Schädel eingeschlagen hat — »
«Ich sehe schon, aha», sagte Denise. «Klarer Fall von mangelndem Feingefühl.»
«Das glaube ich nicht mal», sagte Robin. «Ich glaube, er hat die Schnauze voll von mir und weiß es nur noch nicht.»
Von Stund an wurde Denise zu einer heimlichen Wegbereiterin des Ehebruchs. Sie fand heraus, dass sie Brian, sobald er es auch nur ein bisschen an Feingefühl mangeln ließ, bloß verteidigen musste, um Robin zu gewichtigeren Vorwürfen anzustacheln, und denen schloss sie sich dann widerstrebend an. Sie hörte zu und hörte zu. Sie gab sich Mühe, Robin besser zu verstehen als irgendjemand zuvor. Sie bestürmte sie mit Fragen, die Brian ihr nicht stellte: über Billy, über ihren Vater, über die Kirche, über ihre Gartenprojektpläne, über das halbe Dutzend Teenager, die sich mit dem Gärtnereibazillus angesteckt hatten und nächsten Sommer wiederkommen wollten, über das amouröse und akademische Kreißen ihrer jungen Halbtagskräfte. Sie nahm an der «Nacht der Samenkataloge» im Projekt teil und ordnete den Namen von Robins Lieblingsschülern Gesichter zu. Sie übte mit Sinead periodische Dezimalbrüche. Sie lenkte die Gespräche behutsam auf Filmstars oder Popmusik oder Mode, die heikelsten Themen in Robins Ehe. Für das ungeschulte Ohr klang es, als bereite sie nur einer engeren Freundschaft den Weg; aber sie hatte Robin essen sehen: Sie kannte den Hunger dieser Frau.
Als ein Abwasserproblem die Eröffnung des Generators verzögerte, nutzte Brian die Gelegenheit, um mit Jerry Schwartz das Kalamazoo-Filmfestival zu besuchen, und Denise nutzte die Gelegenheit, um fünf Abende nacheinander mit Robin und den Mädchen zu verbringen. Am letzten Abend stand sie in einem Videoladen gequält vor den Regalen. Nach langem Hin und Her entschied sie sich für Warte, bis es dunkel wird (schrecklicher Mann bedroht erfinderische Audrey Hepburn, deren Haarfarbe und Teint zufällig denen einer gewissen Denise Lambert ähnelten) und Gefährliche Freundin (die verrückte, wunderschöne Melanie Griffith befreit Jeff Daniels aus einer kaputten Ehe). Als sie in der Panama Street damit ankam, wurde Robin schon beim Lesen der Titel rot.
Zwischen den Filmen, es war bereits nach Mitternacht, tranken sie auf dem Wohnzimmersofa Whiskey, da fragte Robin mit einer Stimme, die selbst für ihre Verhältnisse ungewöhnlich piepsig war, ob sie Denise eine persönliche Frage stellen dürfe.
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