»Sie zieht in den Krieg.«
Während das Konföderiertenschiff die Isle of Anglesey ansteuerte, war George nach Massachusetts unterwegs, nach einem anderthalbtägigen Zwischenaufenthalt in Lehigh Station. Er hatte mit Jupe Smith konferiert, der ihn davon in Kenntnis setzte, daß die Legislative ihrem Antrag auf Bankzulassung nun sehr positiv gegenüberstand. »Welch eine Überraschung«, murmelte George. Anschließend war er mit Wotherspoon sieben Stunden lang die Bücher durchgegangen, hatte den Betrieb inspiziert und Hazards gegenwärtige Produktion überprüft. Bevor er abreiste, besuchte er das ungarische Paar und ihre schwarzen Zöglinge – mittlerweile fünfzehn. Um ihrer Einsamkeit zu entgehen, sagte Brett, helfe sie manchmal Mr. und Mrs. Ozorna und kümmere sich um die Kinder. Das war das einzige Mal, daß George bei seinem Besuch eine Spur von Lebhaftigkeit bei seiner Schwägerin entdecken konnte.
Nachdem er im Zug keinen Schlaf hatte finden können, kam George erschöpft in Braintree an. Old Sylvanus Thayer gestand ihm drei Stunden in einem bequemen Bett zu, weckte ihn dann und servierte ihm ein üppiges Frühstück. George, für gewöhnlich ein spartanischer Esser, verdrückte an diesem heißen Sommernachmittag sechs Spiegeleier, vier Scheiben Schinken und sechs Biskuits. Während er aß, redete Thayer.
»Sündenböcke, George. Man braucht sie am nötigsten, wenn die Dinge außer Kontrolle geraten. Im Krieg gab man der Armee die ganze Schuld, und zwar gerechterweise.« Für Thayer existierte stets nur ein Krieg: der letzte, der Kampf gegen England. »Jetzt jedoch fließt die Strömung in die andere Richtung. Ich nehme die Warnung Ihres Bruders ernst.«
George trank seinen Kaffee aus und zündete sich eine Zigarre an.
»Die ständige Behauptung, wir hätten den Feind ausgebildet, hängt mir langsam zum Halse raus.«
»Ich weiß, ich weiß.« Thayers Hände, so weiß wie das feine Tischtuch, ballten sich. Dunkelblaue Adern traten am Handrücken hervor. »Wir haben auch viele Offiziere ausgebildet, die loyal geblieben sind. Trotz all seiner ernsthaften Bemühungen kann der Präsident sie anscheinend nicht nutzbar einsetzen. Vielleicht mischt er sich zu sehr ein, was auch von Davis behauptet wird. Das ist eine Beobachtung, keine Entschuldigung für mangelnde Aktion. Wir können dem Unvermeidlichen nicht entgehen, George. West Point befindet sich im Krieg.«
Er nahm die Zigarre aus dem Mund. »Was soll das heißen, Sir?«
»Im Krieg. Diejenigen unter uns, die diese Institution lieben, müssen kämpfen, als würden wir einem übermächtigen Feind gegenüberstehen – was auch der Fall ist.« Eine Hand fuhr klatschend auf einen Stapel Zeitungen. »Wir müssen mit Intelligenz, Energie, mit unserer ganzen Seele kämpfen – und dürfen uns niemals auch nur die leiseste Möglichkeit einer Niederlage eingestehen. Wir dürfen nicht passiv darauf warten, bis unsere Stellungen überrannt werden. Wir werden zur Offensive übergehen.«
»Ich stimme dieser Strategie zu, Colonel. Aber mit welcher Taktik?«
Die Augen des alten Mannes funkelten. »Wir stellen unser Licht nicht unter den Scheffel. Wir machen mit unserer Vergangenheit Reklame – unseren Leistungen für die Republik in Mexiko und an der Grenze. Mit Trompetenstößen verkünden wir unseren Fall. Wir flüstern in einflußreiche Ohren. Wir brechen die Arme, die sich gegen uns erheben, wir schlagen ihnen die widerspenstigen Schädel ein. Wir greifen an, George – «
Donnernd krachte die Faust auf den Tisch.
»Angriff! Angriff! Angriff!«
Sie redeten bis in die Nacht. Absolventen und Freunde mußten dazu gebracht werden, für West Point einzutreten. Spontan entschloß sich George, auf dem Heimweg die Akademie zu besuchen. Erst gegen halb vier sank er ins Bett, doch Thayer war bereits eine Stunde vor ihm wieder auf, um halb sieben, und begleitete ihn zum Bahnhof. Selbst auf dem lärmerfüllten Bahnsteig arbeitete Thayers Verstand auf Hochtouren.
»Was für einflußreiche Verbündete haben wir im Kongreß? Haben wir überhaupt welche?«
»In erster Linie fällt mir da nur Wades Senatorkollege aus Ohio ein – Sherman’s Bruder John. Er und Wade mögen sich nicht besonders.«
»Kümmern Sie sich um Senator Sherman«, drängte Thayer, während er George die Hand schüttelte. George kam es vor, als hätte er seine Marschbefehle erhalten.
Nach einem kurzen Halt in Cold Spring und gemeinsamen Klagen mit Benent überquerte George den Hudson und begann anschließend seinen Feldzug. Professor Mahan versprach, seine Schriften über die Institution rasch herauszubringen. Captain Edward Boynton, ein Klassenkamerad von George und Orry, der als Adjutant zurückgekehrt war, sagte, er werde sein Manuskript über die Geschichte West Points so schnell wie möglich vollenden und dabei die lau gewordenen Kritiken im endgültigen Text widerlegen. Als George dann in dem überfüllten, rauchigen Zug nach Washington saß, fühlte er sich ein bißchen besser; die Offensive war gestartet.
Er hoffte, sie sei nicht zu spät in Gang gebracht worden. Anfang nächsten Jahres würde der Bewilligungsantrag dem Kongreß vorliegen. Ihnen blieben weniger als sechs Monate, um ihren kleinen Krieg zu gewinnen, während der große Krieg eine düstere Straße entlangrumpelte, deren Ende niemand absehen konnte.
Zu seinem Dienst zurückgekehrt, mußte George feststellen, daß die Kritik an der Armee heftiger denn je geworden war. Old Brains Halleck war aus dem Westen geholt worden, um den Oberbefehl zu übernehmen. McClellan führte immer noch die Potomac-Armee, die mittlerweile in erster Linie zur Verteidigung von Washington diente, und John Pope hatte die Armee von Northern Virginia nach seinem Erfolg bei Insel Nr. 10 übernommen. Pope stieß gleich zu Beginn die meisten seiner Männer mit der Bemerkung vor den Kopf, daß die Soldaten des westlichen Kriegsschauplatzes zäher waren und härter kämpften.
Lincolns Negerpolitik verursachte Schlägereien in Saloons und Armeelagern. Lediglich der Abschnitt des Konfiszierungsgesetzes, in dem die freigesetzten Sklaven zur Emigration in ein nicht näher bestimmtes tropisches Land ermutigt wurden, fand allgemeinen Beifall. »All dieses Gerede von Emanzipation, auf die wir noch gar nicht vorbereitet sind«, sagte George zu seiner Frau. »Niemand glaubt daran.«
»Das sollte man aber.«
»Ja, natürlich. Aber du kennst die Realitäten, Constance. Die meisten Nordstaatler scheren sich den Teufel um den Neger, und ganz sicher glauben sie nicht, daß er die gleichen Rechte haben sollte wie ein Weißer. Wenn die Emanzipation kommt, dann hab’ ich Angst vor den Konsequenzen.«
Ende August wurde die zweite große Schlacht in der Nähe von Bull Run geschlagen, mit ähnlichem Ausgang wie die erste. Geschlagene Einheiten der Union zogen sich nach Washington zurück, wo sich die Furcht vor einem direkten Angriff wie ein Präriebrand ausbreitete. Kriegsgegner forderten sofortige Friedensverhandlungen.
An einem stürmischen Tag Anfang September rief der Minister Stanley in sein Büro. Stanton hatte die Kontrolle über die Armee an Halleck übergeben, aber still und heimlich sammelte er die Fäden der Macht auf anderen Gebieten in seinen Händen. Einst hatte er Lincoln mit Verachtung betrachtet, aber mittlerweile hatte er sich beim Präsidenten eingeschmeichelt und war zu einem vertrauenswürdigen Ratgeber und erklärten Freund geworden. Edwin McMasters Stanton, noch keine fünfzig, mit runder Brille, parfümiertem Bart und Buddhagesicht, hatte sich, wie es hieß, zum zweitmächtigsten Mann im Lande entwickelt.
Er hatte sehr entschiedene Ansichten über die wachsende Unzufriedenheit:
»Wir müssen das ausrotten. Wir müssen diese Friedensdemokraten hart an die Kandare nehmen und ihnen klar machen, daß sie ins Gefängnis wandern, ja selbst Hochverratsprozesse zu fürchten haben, wenn sie weiterhin die Regierung und die Regierungsmaßnahmen angreifen.«
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